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Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 13. Juni 1869.

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[Beginn Spaltensatz] gestrige Spiel wieder. Er war über sich aufgebracht, wollte das Kind
gar nicht weiter beachten, legte sich endlich nieder und belächelte am
andern Morgen seine Aufregung. Von nun an begleitete ihn das
Kind täglich nach der Höhe. Jeden Abend schalt er sich einen Narren
und jeden Morgen konnte er es nicht erwarten, ihre klaren Augen zu
sehen und ihren lieblichen Gruß zu hören. Sie lernte von ihm
zeichnen, sang ihm die Volkslieder der Gegend mit natürlichem Aus-
druck und eigenen, kindlichen Variationen, und gab ihm ihre unschul-
dige Seele mit rührendem Vertrauen zu eigen. Der Maler spielte
mit ihr, wie ein Kind, arbeitete fleißig an seinem Gemälde und hatte
kaum noch Zeit, an seine Heimath zu denken.

Endlich war das Bild vollendet. Die Wirthsleute, die es jetzt
zum ersten Mal sahen, schlugen vor Verwunderung und Entzücken die
Hände über dem Kopf zusammen, und Giulietta's Augen hingen
leuchtend, in glückseligem Stolze, als ob sie Theil daran hätte, ab-
wechselnd an der Leinwand und an dem Gesicht des Malers.

Der Tag der Abreise wurde festgesetzt. Allein sei es, daß Staccoli
sich von seinem Aufenthalte nicht losreißen konnte und die Sehnsucht
nach den Seinigen abgenommen hatte, sei es, daß ihm die Ausführung
seiner Arbeit noch nicht genügte, er fand täglich an dem Bilde etwas
zu verbessern und verzögerte seine Abreise von Tag zu Tag. Jndessen
bemerkte er nach einiger Zeit, daß während er in unschuldigem Ge-
plauder mit Giulietta scherzte, die Augen der Wirthin mit einem
sonderbaren, aus Sinnen und Mißtrauen gemischten Ausdruck auf
ihm ruhten. Auch entging ihm nicht, daß sie einsilbiger gegen ihn
wurde, als es sonst ihre Art war. Der Maler zermarterte vergebens
seinen Kopf, um die Ursache dieser Veränderung aufzufinden, welche
er unmöglich der Verlängerung seines Aufenthalts über das festgesetzte
Ziel hinaus zuschreiben konnte, da er so überaus wohlwollend auf-
genommen worden. Gleichwohl, da ihm eine andere Ursache nicht
einfallen wollte, beschloß er, am folgenden Tage abzureisen, und theilte
seine Absicht der Wirthin mit. Wirklich glaubte er, bei seinen Wor-
ten, da er die Frau scharf beobachtete, ein Lächeln der Befriedigung
um ihren Mund zu entdecken. Jn nachdenklichen Betrachtungen über
die Unbeständigkeit der menschlichen Gefühle ging er daran, seine we-
nigen Habseligkeiten zusammen zu packen, bei welchem Geschäft Giu-
lietta, trotz mehrfachen Ablehnens von seiner Seite, ihm schweigend
behülflich war. Eben war das letzte Stück verpackt, und der Maler
bückte sich, um das Kind, welches, trotz Hitze und Anstrengung, blaß
aussah, mit der Frage, was ihm fehle, zum Dank für seine Be-
mühung auf die Stirn zu küssen, als Giulietta ihm mit einer plötz-
lichen, leidenschaftlichen Wendung um den Hals fiel und unter hefti-
gem Schluchzen mit mühsam hervorgestoßenen Worten ihn anflehte,
sie mit sich zu nehmen. Der Maler, über eine solche Scene äußerst
bestürzt und verlegen, bat sie, ruhig zu sein, und erklärte ihr die Un-
möglichkeit des Verlangten, im Jnnern sich heftige Vorwürfe machend,
daß er die Neigung des Kindes, wenn auch unbewußt, begünstigt
hätte. Da sie aber, ohne auf seine Worte einzugehen, mit angst-
vollen Geberden sich an ihn drückend, ihre Bitte wiederholte, fragte
er, vor wem sie sich denn ängstige? Giulietta preßte ihren Mund an
sein Ohr und flüsterte:

"Vor dem bösen Oheim!"

Da er, zwar etwas stutzig, weil er noch nie vorher den Namen
des Mannes von Giulietta's Lippen vernommen, doch lächelnd über
ihre kindische Furcht, sagte, der wäre ja längst nicht mehr in der Nähe,
erwiderte sie geheimnißvoll:

"Ja, ich habe ihn gesehen, er hat gestern in der Dunkelheit hinter
dem Gartenzaun gelauert und mich mit funkelnden Augen starr an-
gesehen."

Der Maler wollte sie überreden, sie habe sich getäuscht, auch sei
ihr Vater zu Hause, dem er für alle Fälle ihre Wahrnehmung mit-
theilen wolle. Da sie aber zu Allem nur heftig den Kopf schüttelte
und auf ihrer Bitte bestand, nannte er sie, ärgerlich über den vermein-
ten Trotz, ein thörichtes Kind, und wandte sich unmuthig von ihr
mit der bestimmten Erklärung, er könne und wolle sie nicht mit-
nehmen. Giulietta verstummte bei diesen Worten, wurde leichenblaß
und setzte sich, am ganzen Leibe zitternd und mit starren Augen in's
Leere sehend, auf den gepackten Koffer. Der Maler, welcher, auf-
geregt und mißmuthig, im Zimmer auf und nieder gegangen war,
blieb erschrocken stehen und sah sie an. Nach einer peinlichen Stille,
während deren ihm der offenbar krankhafte Zustand des Kindes das
Herz zerschnitt, ging er, seiner Gefühle nicht mehr Meister, auf
dasselbe zu, nahm es auf seinen Schooß, nannte es mit den zärtlichsten
Namen und bat es mit freundlichen Worten, einzusehen, daß die Er-
füllung des Wunsches unmöglich sei; er wolle aber seine Reise, so
viel wie möglich, abkürzen und bald wiederkommen.

Giulietta hatte während dieser Worte still und regungslos da-
gesessen, die Thränen rannen an ihrem bleichen Gesichtchen unaufhörlich
herab. Plötzlich wurde dieses von einem leichten Schimmer über-
flogen, ihre Züge belebten sich, und indem sie, das Köpfchen hebend,
die Augen groß zu dem Maler aufschlug, fragte sie, unter Thränen
[Spaltenumbruch] hervorlächelnd, wie weit es denn nach Rom wäre und welchen Weg
er nähme. Staccoli, über die plötzliche Veränderung erfreut und ver-
wundert, gab ihr zögernd Auskunft und fragte, wozu sie dies wissen
wollte.

"Damit ich täglich weiß, wo ich Dich finde", antwortete Giulietta,
von einer tiefen Röthe übergossen, "und an Dich denken kann und
für Dich beten."

Staccoli, sichtbar beruhigt, sagte:

"So ist es recht!", nannte sie sein liebes, verständiges Schwe-
sterchen und küßte sie auf die Stirn. "Deine Gedanken werden mir
liebe, liebliche Begleiter sein." Da sich bei diesen Worten wieder ein
schmerzliches Zucken um ihren Mund zeigen wollte, nahm er eine
Kapsel mit einem kostbaren Madonnenbildchen, welches er an einer
seidenen Schnur stets bei sich trug, küßte es und hängte es ihr um
den Nacken. "Damit Du zu jeder Zeit für mich beten kannst."

So schien denn die Sache glücklich zu Ende gebracht, Giulietta
getröstet, der Maler beruhigt, und die Beiden gingen miteinander
hinunter, um in Gesellschaft der Eltern den letzten Abend zuzubringen,
denn morgen in der Frühe wollte der Maler reisen.

Staccoli unterließ es, seinem Wirthe die vermeintliche Wahr-
nehmung Giulietta's mitzutheilen, theils weil er es für überflüssig
hielt, da er auf seine Frage erfahren hatte, daß Jener in den nächsten
Monaten sein Haus nicht verlassen würde, theils weil er sich scheute,
durch Erwähnung des Störenfrieds die Familie unnütz und besonders
Giulietta von Neuem aufzuregen. Auch nahm er sich vor, am näch-
sten Morgen ganz in der Frühe und ohne Abschied aufzubrechen, um
eine Wiederholung des heutigen peinlichen Auftritts zu vermeiden, vor
welcher er sich, trotz der eingetretenen Ruhe, nicht sicher hielt. Mit
diesen Gedanken stand er auf, entschuldigte sein Gehen mit den Wor-
ten, daß er noch Vieles allein zu überdenken habe, und gab den Wir-
then und zuletzt Giulietta mit sichtbarer Bewegung die Hand.

Am andern Morgen, nach einem unruhigen, oft unterbrochenen
Schlummer, sprang er vom Lager, eilte in den Stall und trieb den
Neapolitaner, der sich, faul und schläfrig, noch auf der Streu dehnte
und, ärgerlich über die frühe Störung, brummte, mit fieberhafter Hast
zur Eile. Endlich war Alles fertig, und der Maler machte sich auf
den Weg, in schmerzlich wehmüthigen Empfindungen, von denen er
sich nicht eben Rechenschaft gab, zu Fuß neben dem Thier hergehend
und oft nach dem Hause, das ihm ein neues, reiches Gefühl geschenkt
hatte, zurückschauend, bis ihm die Biegung des Weges und eine un-
berufene, verrätherische Thräne den Anblick desselben entzogen.

Bald veränderte die üppige, festlich stille Natur, von dem tief-
blauen Himmel überspannt, und des Malers eigener guter Wille die
Stimmung desselben. Alle seine Sinne öffneten sich, die Wonne des
Werdens und Blühens, welche überall in der feuchtwarmen, durch-
sichtigen Luft zu schwimmen schien, durstig einzutrinken. Während des
ganzen Weges, den er, aus Scheu vor den Kosten und aus einer ge-
wissen Vorliebe, zu Fuß binnen acht Tagen zurücklegte, blieb ihm
diese gehobene Stimmung, nur selten von der Erinnerung an das
seltsame Benehmen des Mädchens vor der Abreise, wie von einer
bösen Ahnung durchzuckt. Allein je näher er Rom kam, desto seltener
erschien jene, und als er durch die Porta St. Giovanni die ewige
Stadt betreten, in die Arme seiner Eltern eilte, bewegte ihn nur die
reine, ungetrübte Freude des gegenwärtigen, seit langer Zeit ersehn-
ten Wiedersehens.

Jn Rom stellten sich der Ausführung seines Vorhabens unver-
muthete Hindernisse in den Weg, die den Maler nöthigten, seinen
Aufenthalt über die beabsichtigte Dauer auszudehnen. Auch konnten
sich seine Eltern nur schwer entschließen, den ihnen durch Länge der
Zeit und durch die Gewohnheit lieb gewordenen Wohnsitz zu ver-
lassen. Jedoch dem heißen Wunsch und der thatkräftigen Umsicht des
jungen Mannes gelang es, alle Schwierigkeiten zu beseitigen, und
schon war er frohen Muthes, im erfrischenden Hinblick auf die nahen
Freuden, mit den Vorbereitungen zur Uebersiedelung beschäftigt, als
der unerwartete Brief eines Freundes aus Neapel die Lage plötzlich
veränderte. Staccoli's Eltern sahen denselben, nachdem er das Schrei-
ben zögernd, als ahnte er einen Eingriff in seinen Frieden, erbrochen
und den Jnhalt hastig überflogen hatte, sich jäh entfärben und mit
der Hand nach dem Herzen greifen, als wollte er da etwas nieder-
drücken. Auf ihre besorgte Frage, was denn der Brief für böse Nach-
richt enthielte, antwortete er mühsam:

"Nichts! Jch muß nach Neapel; heut, gleich, auf der Stelle!"

Da er, wie seiner Sinne nicht mächtig, wild, mit verstörten
Blicken, das Blatt in der Hand, der Thür zustürzte, faßte ihn der
Vater beim Arm, drückte den plötzlich kraftlos Zusammensinkenden
auf einen Stuhl und nahm ihm den Brief aus der Hand. Der
Freund benachrichtigte Staccoli nach einer kurzen, die Veranlassung
des Schreibens bedauernden Einleitung, daß ein böses Ungewitter sich
über seinem Haupte zusammenzöge. An demselben Tage, da der
Maler abgereist, sei das Kind seiner Wirthe aus dem Hause ver-
schwunden und seitdem nicht wiedergekehrt. Es sei im Dorfe die
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] gestrige Spiel wieder. Er war über sich aufgebracht, wollte das Kind
gar nicht weiter beachten, legte sich endlich nieder und belächelte am
andern Morgen seine Aufregung. Von nun an begleitete ihn das
Kind täglich nach der Höhe. Jeden Abend schalt er sich einen Narren
und jeden Morgen konnte er es nicht erwarten, ihre klaren Augen zu
sehen und ihren lieblichen Gruß zu hören. Sie lernte von ihm
zeichnen, sang ihm die Volkslieder der Gegend mit natürlichem Aus-
druck und eigenen, kindlichen Variationen, und gab ihm ihre unschul-
dige Seele mit rührendem Vertrauen zu eigen. Der Maler spielte
mit ihr, wie ein Kind, arbeitete fleißig an seinem Gemälde und hatte
kaum noch Zeit, an seine Heimath zu denken.

Endlich war das Bild vollendet. Die Wirthsleute, die es jetzt
zum ersten Mal sahen, schlugen vor Verwunderung und Entzücken die
Hände über dem Kopf zusammen, und Giulietta's Augen hingen
leuchtend, in glückseligem Stolze, als ob sie Theil daran hätte, ab-
wechselnd an der Leinwand und an dem Gesicht des Malers.

Der Tag der Abreise wurde festgesetzt. Allein sei es, daß Staccoli
sich von seinem Aufenthalte nicht losreißen konnte und die Sehnsucht
nach den Seinigen abgenommen hatte, sei es, daß ihm die Ausführung
seiner Arbeit noch nicht genügte, er fand täglich an dem Bilde etwas
zu verbessern und verzögerte seine Abreise von Tag zu Tag. Jndessen
bemerkte er nach einiger Zeit, daß während er in unschuldigem Ge-
plauder mit Giulietta scherzte, die Augen der Wirthin mit einem
sonderbaren, aus Sinnen und Mißtrauen gemischten Ausdruck auf
ihm ruhten. Auch entging ihm nicht, daß sie einsilbiger gegen ihn
wurde, als es sonst ihre Art war. Der Maler zermarterte vergebens
seinen Kopf, um die Ursache dieser Veränderung aufzufinden, welche
er unmöglich der Verlängerung seines Aufenthalts über das festgesetzte
Ziel hinaus zuschreiben konnte, da er so überaus wohlwollend auf-
genommen worden. Gleichwohl, da ihm eine andere Ursache nicht
einfallen wollte, beschloß er, am folgenden Tage abzureisen, und theilte
seine Absicht der Wirthin mit. Wirklich glaubte er, bei seinen Wor-
ten, da er die Frau scharf beobachtete, ein Lächeln der Befriedigung
um ihren Mund zu entdecken. Jn nachdenklichen Betrachtungen über
die Unbeständigkeit der menschlichen Gefühle ging er daran, seine we-
nigen Habseligkeiten zusammen zu packen, bei welchem Geschäft Giu-
lietta, trotz mehrfachen Ablehnens von seiner Seite, ihm schweigend
behülflich war. Eben war das letzte Stück verpackt, und der Maler
bückte sich, um das Kind, welches, trotz Hitze und Anstrengung, blaß
aussah, mit der Frage, was ihm fehle, zum Dank für seine Be-
mühung auf die Stirn zu küssen, als Giulietta ihm mit einer plötz-
lichen, leidenschaftlichen Wendung um den Hals fiel und unter hefti-
gem Schluchzen mit mühsam hervorgestoßenen Worten ihn anflehte,
sie mit sich zu nehmen. Der Maler, über eine solche Scene äußerst
bestürzt und verlegen, bat sie, ruhig zu sein, und erklärte ihr die Un-
möglichkeit des Verlangten, im Jnnern sich heftige Vorwürfe machend,
daß er die Neigung des Kindes, wenn auch unbewußt, begünstigt
hätte. Da sie aber, ohne auf seine Worte einzugehen, mit angst-
vollen Geberden sich an ihn drückend, ihre Bitte wiederholte, fragte
er, vor wem sie sich denn ängstige? Giulietta preßte ihren Mund an
sein Ohr und flüsterte:

„Vor dem bösen Oheim!“

Da er, zwar etwas stutzig, weil er noch nie vorher den Namen
des Mannes von Giulietta's Lippen vernommen, doch lächelnd über
ihre kindische Furcht, sagte, der wäre ja längst nicht mehr in der Nähe,
erwiderte sie geheimnißvoll:

„Ja, ich habe ihn gesehen, er hat gestern in der Dunkelheit hinter
dem Gartenzaun gelauert und mich mit funkelnden Augen starr an-
gesehen.“

Der Maler wollte sie überreden, sie habe sich getäuscht, auch sei
ihr Vater zu Hause, dem er für alle Fälle ihre Wahrnehmung mit-
theilen wolle. Da sie aber zu Allem nur heftig den Kopf schüttelte
und auf ihrer Bitte bestand, nannte er sie, ärgerlich über den vermein-
ten Trotz, ein thörichtes Kind, und wandte sich unmuthig von ihr
mit der bestimmten Erklärung, er könne und wolle sie nicht mit-
nehmen. Giulietta verstummte bei diesen Worten, wurde leichenblaß
und setzte sich, am ganzen Leibe zitternd und mit starren Augen in's
Leere sehend, auf den gepackten Koffer. Der Maler, welcher, auf-
geregt und mißmuthig, im Zimmer auf und nieder gegangen war,
blieb erschrocken stehen und sah sie an. Nach einer peinlichen Stille,
während deren ihm der offenbar krankhafte Zustand des Kindes das
Herz zerschnitt, ging er, seiner Gefühle nicht mehr Meister, auf
dasselbe zu, nahm es auf seinen Schooß, nannte es mit den zärtlichsten
Namen und bat es mit freundlichen Worten, einzusehen, daß die Er-
füllung des Wunsches unmöglich sei; er wolle aber seine Reise, so
viel wie möglich, abkürzen und bald wiederkommen.

Giulietta hatte während dieser Worte still und regungslos da-
gesessen, die Thränen rannen an ihrem bleichen Gesichtchen unaufhörlich
herab. Plötzlich wurde dieses von einem leichten Schimmer über-
flogen, ihre Züge belebten sich, und indem sie, das Köpfchen hebend,
die Augen groß zu dem Maler aufschlug, fragte sie, unter Thränen
[Spaltenumbruch] hervorlächelnd, wie weit es denn nach Rom wäre und welchen Weg
er nähme. Staccoli, über die plötzliche Veränderung erfreut und ver-
wundert, gab ihr zögernd Auskunft und fragte, wozu sie dies wissen
wollte.

„Damit ich täglich weiß, wo ich Dich finde“, antwortete Giulietta,
von einer tiefen Röthe übergossen, „und an Dich denken kann und
für Dich beten.“

Staccoli, sichtbar beruhigt, sagte:

„So ist es recht!“, nannte sie sein liebes, verständiges Schwe-
sterchen und küßte sie auf die Stirn. „Deine Gedanken werden mir
liebe, liebliche Begleiter sein.“ Da sich bei diesen Worten wieder ein
schmerzliches Zucken um ihren Mund zeigen wollte, nahm er eine
Kapsel mit einem kostbaren Madonnenbildchen, welches er an einer
seidenen Schnur stets bei sich trug, küßte es und hängte es ihr um
den Nacken. „Damit Du zu jeder Zeit für mich beten kannst.“

So schien denn die Sache glücklich zu Ende gebracht, Giulietta
getröstet, der Maler beruhigt, und die Beiden gingen miteinander
hinunter, um in Gesellschaft der Eltern den letzten Abend zuzubringen,
denn morgen in der Frühe wollte der Maler reisen.

Staccoli unterließ es, seinem Wirthe die vermeintliche Wahr-
nehmung Giulietta's mitzutheilen, theils weil er es für überflüssig
hielt, da er auf seine Frage erfahren hatte, daß Jener in den nächsten
Monaten sein Haus nicht verlassen würde, theils weil er sich scheute,
durch Erwähnung des Störenfrieds die Familie unnütz und besonders
Giulietta von Neuem aufzuregen. Auch nahm er sich vor, am näch-
sten Morgen ganz in der Frühe und ohne Abschied aufzubrechen, um
eine Wiederholung des heutigen peinlichen Auftritts zu vermeiden, vor
welcher er sich, trotz der eingetretenen Ruhe, nicht sicher hielt. Mit
diesen Gedanken stand er auf, entschuldigte sein Gehen mit den Wor-
ten, daß er noch Vieles allein zu überdenken habe, und gab den Wir-
then und zuletzt Giulietta mit sichtbarer Bewegung die Hand.

Am andern Morgen, nach einem unruhigen, oft unterbrochenen
Schlummer, sprang er vom Lager, eilte in den Stall und trieb den
Neapolitaner, der sich, faul und schläfrig, noch auf der Streu dehnte
und, ärgerlich über die frühe Störung, brummte, mit fieberhafter Hast
zur Eile. Endlich war Alles fertig, und der Maler machte sich auf
den Weg, in schmerzlich wehmüthigen Empfindungen, von denen er
sich nicht eben Rechenschaft gab, zu Fuß neben dem Thier hergehend
und oft nach dem Hause, das ihm ein neues, reiches Gefühl geschenkt
hatte, zurückschauend, bis ihm die Biegung des Weges und eine un-
berufene, verrätherische Thräne den Anblick desselben entzogen.

Bald veränderte die üppige, festlich stille Natur, von dem tief-
blauen Himmel überspannt, und des Malers eigener guter Wille die
Stimmung desselben. Alle seine Sinne öffneten sich, die Wonne des
Werdens und Blühens, welche überall in der feuchtwarmen, durch-
sichtigen Luft zu schwimmen schien, durstig einzutrinken. Während des
ganzen Weges, den er, aus Scheu vor den Kosten und aus einer ge-
wissen Vorliebe, zu Fuß binnen acht Tagen zurücklegte, blieb ihm
diese gehobene Stimmung, nur selten von der Erinnerung an das
seltsame Benehmen des Mädchens vor der Abreise, wie von einer
bösen Ahnung durchzuckt. Allein je näher er Rom kam, desto seltener
erschien jene, und als er durch die Porta St. Giovanni die ewige
Stadt betreten, in die Arme seiner Eltern eilte, bewegte ihn nur die
reine, ungetrübte Freude des gegenwärtigen, seit langer Zeit ersehn-
ten Wiedersehens.

Jn Rom stellten sich der Ausführung seines Vorhabens unver-
muthete Hindernisse in den Weg, die den Maler nöthigten, seinen
Aufenthalt über die beabsichtigte Dauer auszudehnen. Auch konnten
sich seine Eltern nur schwer entschließen, den ihnen durch Länge der
Zeit und durch die Gewohnheit lieb gewordenen Wohnsitz zu ver-
lassen. Jedoch dem heißen Wunsch und der thatkräftigen Umsicht des
jungen Mannes gelang es, alle Schwierigkeiten zu beseitigen, und
schon war er frohen Muthes, im erfrischenden Hinblick auf die nahen
Freuden, mit den Vorbereitungen zur Uebersiedelung beschäftigt, als
der unerwartete Brief eines Freundes aus Neapel die Lage plötzlich
veränderte. Staccoli's Eltern sahen denselben, nachdem er das Schrei-
ben zögernd, als ahnte er einen Eingriff in seinen Frieden, erbrochen
und den Jnhalt hastig überflogen hatte, sich jäh entfärben und mit
der Hand nach dem Herzen greifen, als wollte er da etwas nieder-
drücken. Auf ihre besorgte Frage, was denn der Brief für böse Nach-
richt enthielte, antwortete er mühsam:

„Nichts! Jch muß nach Neapel; heut, gleich, auf der Stelle!“

Da er, wie seiner Sinne nicht mächtig, wild, mit verstörten
Blicken, das Blatt in der Hand, der Thür zustürzte, faßte ihn der
Vater beim Arm, drückte den plötzlich kraftlos Zusammensinkenden
auf einen Stuhl und nahm ihm den Brief aus der Hand. Der
Freund benachrichtigte Staccoli nach einer kurzen, die Veranlassung
des Schreibens bedauernden Einleitung, daß ein böses Ungewitter sich
über seinem Haupte zusammenzöge. An demselben Tage, da der
Maler abgereist, sei das Kind seiner Wirthe aus dem Hause ver-
schwunden und seitdem nicht wiedergekehrt. Es sei im Dorfe die
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[187/0003] 187 gestrige Spiel wieder. Er war über sich aufgebracht, wollte das Kind gar nicht weiter beachten, legte sich endlich nieder und belächelte am andern Morgen seine Aufregung. Von nun an begleitete ihn das Kind täglich nach der Höhe. Jeden Abend schalt er sich einen Narren und jeden Morgen konnte er es nicht erwarten, ihre klaren Augen zu sehen und ihren lieblichen Gruß zu hören. Sie lernte von ihm zeichnen, sang ihm die Volkslieder der Gegend mit natürlichem Aus- druck und eigenen, kindlichen Variationen, und gab ihm ihre unschul- dige Seele mit rührendem Vertrauen zu eigen. Der Maler spielte mit ihr, wie ein Kind, arbeitete fleißig an seinem Gemälde und hatte kaum noch Zeit, an seine Heimath zu denken. Endlich war das Bild vollendet. Die Wirthsleute, die es jetzt zum ersten Mal sahen, schlugen vor Verwunderung und Entzücken die Hände über dem Kopf zusammen, und Giulietta's Augen hingen leuchtend, in glückseligem Stolze, als ob sie Theil daran hätte, ab- wechselnd an der Leinwand und an dem Gesicht des Malers. Der Tag der Abreise wurde festgesetzt. Allein sei es, daß Staccoli sich von seinem Aufenthalte nicht losreißen konnte und die Sehnsucht nach den Seinigen abgenommen hatte, sei es, daß ihm die Ausführung seiner Arbeit noch nicht genügte, er fand täglich an dem Bilde etwas zu verbessern und verzögerte seine Abreise von Tag zu Tag. Jndessen bemerkte er nach einiger Zeit, daß während er in unschuldigem Ge- plauder mit Giulietta scherzte, die Augen der Wirthin mit einem sonderbaren, aus Sinnen und Mißtrauen gemischten Ausdruck auf ihm ruhten. Auch entging ihm nicht, daß sie einsilbiger gegen ihn wurde, als es sonst ihre Art war. Der Maler zermarterte vergebens seinen Kopf, um die Ursache dieser Veränderung aufzufinden, welche er unmöglich der Verlängerung seines Aufenthalts über das festgesetzte Ziel hinaus zuschreiben konnte, da er so überaus wohlwollend auf- genommen worden. Gleichwohl, da ihm eine andere Ursache nicht einfallen wollte, beschloß er, am folgenden Tage abzureisen, und theilte seine Absicht der Wirthin mit. Wirklich glaubte er, bei seinen Wor- ten, da er die Frau scharf beobachtete, ein Lächeln der Befriedigung um ihren Mund zu entdecken. Jn nachdenklichen Betrachtungen über die Unbeständigkeit der menschlichen Gefühle ging er daran, seine we- nigen Habseligkeiten zusammen zu packen, bei welchem Geschäft Giu- lietta, trotz mehrfachen Ablehnens von seiner Seite, ihm schweigend behülflich war. Eben war das letzte Stück verpackt, und der Maler bückte sich, um das Kind, welches, trotz Hitze und Anstrengung, blaß aussah, mit der Frage, was ihm fehle, zum Dank für seine Be- mühung auf die Stirn zu küssen, als Giulietta ihm mit einer plötz- lichen, leidenschaftlichen Wendung um den Hals fiel und unter hefti- gem Schluchzen mit mühsam hervorgestoßenen Worten ihn anflehte, sie mit sich zu nehmen. Der Maler, über eine solche Scene äußerst bestürzt und verlegen, bat sie, ruhig zu sein, und erklärte ihr die Un- möglichkeit des Verlangten, im Jnnern sich heftige Vorwürfe machend, daß er die Neigung des Kindes, wenn auch unbewußt, begünstigt hätte. Da sie aber, ohne auf seine Worte einzugehen, mit angst- vollen Geberden sich an ihn drückend, ihre Bitte wiederholte, fragte er, vor wem sie sich denn ängstige? Giulietta preßte ihren Mund an sein Ohr und flüsterte: „Vor dem bösen Oheim!“ Da er, zwar etwas stutzig, weil er noch nie vorher den Namen des Mannes von Giulietta's Lippen vernommen, doch lächelnd über ihre kindische Furcht, sagte, der wäre ja längst nicht mehr in der Nähe, erwiderte sie geheimnißvoll: „Ja, ich habe ihn gesehen, er hat gestern in der Dunkelheit hinter dem Gartenzaun gelauert und mich mit funkelnden Augen starr an- gesehen.“ Der Maler wollte sie überreden, sie habe sich getäuscht, auch sei ihr Vater zu Hause, dem er für alle Fälle ihre Wahrnehmung mit- theilen wolle. Da sie aber zu Allem nur heftig den Kopf schüttelte und auf ihrer Bitte bestand, nannte er sie, ärgerlich über den vermein- ten Trotz, ein thörichtes Kind, und wandte sich unmuthig von ihr mit der bestimmten Erklärung, er könne und wolle sie nicht mit- nehmen. Giulietta verstummte bei diesen Worten, wurde leichenblaß und setzte sich, am ganzen Leibe zitternd und mit starren Augen in's Leere sehend, auf den gepackten Koffer. Der Maler, welcher, auf- geregt und mißmuthig, im Zimmer auf und nieder gegangen war, blieb erschrocken stehen und sah sie an. Nach einer peinlichen Stille, während deren ihm der offenbar krankhafte Zustand des Kindes das Herz zerschnitt, ging er, seiner Gefühle nicht mehr Meister, auf dasselbe zu, nahm es auf seinen Schooß, nannte es mit den zärtlichsten Namen und bat es mit freundlichen Worten, einzusehen, daß die Er- füllung des Wunsches unmöglich sei; er wolle aber seine Reise, so viel wie möglich, abkürzen und bald wiederkommen. Giulietta hatte während dieser Worte still und regungslos da- gesessen, die Thränen rannen an ihrem bleichen Gesichtchen unaufhörlich herab. Plötzlich wurde dieses von einem leichten Schimmer über- flogen, ihre Züge belebten sich, und indem sie, das Köpfchen hebend, die Augen groß zu dem Maler aufschlug, fragte sie, unter Thränen hervorlächelnd, wie weit es denn nach Rom wäre und welchen Weg er nähme. Staccoli, über die plötzliche Veränderung erfreut und ver- wundert, gab ihr zögernd Auskunft und fragte, wozu sie dies wissen wollte. „Damit ich täglich weiß, wo ich Dich finde“, antwortete Giulietta, von einer tiefen Röthe übergossen, „und an Dich denken kann und für Dich beten.“ Staccoli, sichtbar beruhigt, sagte: „So ist es recht!“, nannte sie sein liebes, verständiges Schwe- sterchen und küßte sie auf die Stirn. „Deine Gedanken werden mir liebe, liebliche Begleiter sein.“ Da sich bei diesen Worten wieder ein schmerzliches Zucken um ihren Mund zeigen wollte, nahm er eine Kapsel mit einem kostbaren Madonnenbildchen, welches er an einer seidenen Schnur stets bei sich trug, küßte es und hängte es ihr um den Nacken. „Damit Du zu jeder Zeit für mich beten kannst.“ So schien denn die Sache glücklich zu Ende gebracht, Giulietta getröstet, der Maler beruhigt, und die Beiden gingen miteinander hinunter, um in Gesellschaft der Eltern den letzten Abend zuzubringen, denn morgen in der Frühe wollte der Maler reisen. Staccoli unterließ es, seinem Wirthe die vermeintliche Wahr- nehmung Giulietta's mitzutheilen, theils weil er es für überflüssig hielt, da er auf seine Frage erfahren hatte, daß Jener in den nächsten Monaten sein Haus nicht verlassen würde, theils weil er sich scheute, durch Erwähnung des Störenfrieds die Familie unnütz und besonders Giulietta von Neuem aufzuregen. Auch nahm er sich vor, am näch- sten Morgen ganz in der Frühe und ohne Abschied aufzubrechen, um eine Wiederholung des heutigen peinlichen Auftritts zu vermeiden, vor welcher er sich, trotz der eingetretenen Ruhe, nicht sicher hielt. Mit diesen Gedanken stand er auf, entschuldigte sein Gehen mit den Wor- ten, daß er noch Vieles allein zu überdenken habe, und gab den Wir- then und zuletzt Giulietta mit sichtbarer Bewegung die Hand. Am andern Morgen, nach einem unruhigen, oft unterbrochenen Schlummer, sprang er vom Lager, eilte in den Stall und trieb den Neapolitaner, der sich, faul und schläfrig, noch auf der Streu dehnte und, ärgerlich über die frühe Störung, brummte, mit fieberhafter Hast zur Eile. Endlich war Alles fertig, und der Maler machte sich auf den Weg, in schmerzlich wehmüthigen Empfindungen, von denen er sich nicht eben Rechenschaft gab, zu Fuß neben dem Thier hergehend und oft nach dem Hause, das ihm ein neues, reiches Gefühl geschenkt hatte, zurückschauend, bis ihm die Biegung des Weges und eine un- berufene, verrätherische Thräne den Anblick desselben entzogen. Bald veränderte die üppige, festlich stille Natur, von dem tief- blauen Himmel überspannt, und des Malers eigener guter Wille die Stimmung desselben. Alle seine Sinne öffneten sich, die Wonne des Werdens und Blühens, welche überall in der feuchtwarmen, durch- sichtigen Luft zu schwimmen schien, durstig einzutrinken. Während des ganzen Weges, den er, aus Scheu vor den Kosten und aus einer ge- wissen Vorliebe, zu Fuß binnen acht Tagen zurücklegte, blieb ihm diese gehobene Stimmung, nur selten von der Erinnerung an das seltsame Benehmen des Mädchens vor der Abreise, wie von einer bösen Ahnung durchzuckt. Allein je näher er Rom kam, desto seltener erschien jene, und als er durch die Porta St. Giovanni die ewige Stadt betreten, in die Arme seiner Eltern eilte, bewegte ihn nur die reine, ungetrübte Freude des gegenwärtigen, seit langer Zeit ersehn- ten Wiedersehens. Jn Rom stellten sich der Ausführung seines Vorhabens unver- muthete Hindernisse in den Weg, die den Maler nöthigten, seinen Aufenthalt über die beabsichtigte Dauer auszudehnen. Auch konnten sich seine Eltern nur schwer entschließen, den ihnen durch Länge der Zeit und durch die Gewohnheit lieb gewordenen Wohnsitz zu ver- lassen. Jedoch dem heißen Wunsch und der thatkräftigen Umsicht des jungen Mannes gelang es, alle Schwierigkeiten zu beseitigen, und schon war er frohen Muthes, im erfrischenden Hinblick auf die nahen Freuden, mit den Vorbereitungen zur Uebersiedelung beschäftigt, als der unerwartete Brief eines Freundes aus Neapel die Lage plötzlich veränderte. Staccoli's Eltern sahen denselben, nachdem er das Schrei- ben zögernd, als ahnte er einen Eingriff in seinen Frieden, erbrochen und den Jnhalt hastig überflogen hatte, sich jäh entfärben und mit der Hand nach dem Herzen greifen, als wollte er da etwas nieder- drücken. Auf ihre besorgte Frage, was denn der Brief für böse Nach- richt enthielte, antwortete er mühsam: „Nichts! Jch muß nach Neapel; heut, gleich, auf der Stelle!“ Da er, wie seiner Sinne nicht mächtig, wild, mit verstörten Blicken, das Blatt in der Hand, der Thür zustürzte, faßte ihn der Vater beim Arm, drückte den plötzlich kraftlos Zusammensinkenden auf einen Stuhl und nahm ihm den Brief aus der Hand. Der Freund benachrichtigte Staccoli nach einer kurzen, die Veranlassung des Schreibens bedauernden Einleitung, daß ein böses Ungewitter sich über seinem Haupte zusammenzöge. An demselben Tage, da der Maler abgereist, sei das Kind seiner Wirthe aus dem Hause ver- schwunden und seitdem nicht wiedergekehrt. Es sei im Dorfe die

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 13. Juni 1869, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt24_1869/3>, abgerufen am 01.06.2024.