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Sonntags-Blatt. Nr. 25. Berlin, 21. Juni 1868.

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[Beginn Spaltensatz] daß die Verschworenen den Patrouillen aus dem Wege gehen konnten,
und zudem war der schwarze Aufseher der Plantage selbst ein Ein-
geweihter. Hier bereiteten die Angolesen Patronen und Piken vor
und hielten Festmahle, bei denen der Zauberer ihnen durch allerlei
mystischen Humbug Siegeszuversicht einflößte. Noch am Vorabend
des Aufstandes gab er ihnen Krebsscheeren als Amulets, die sie als
Schutzmittel gegen Verwundungen im Munde führen sollten. War
Gullah Jack verhindert, so vertrat ihn sein Beigeordneter, ein blinder
Prediger Namens Philipp, den seine Anhänger ebenfalls als Hell-
seher und Geisterbeschwörer verehrten. Er hatte unter Anderem die
Aufgabe, den Wankenden Muth zu machen. "Warum schaust Du
so ängstlich drein?" fuhr der Blinde sie an und citirte aus der Bibel
das Wort: "Bannet die Furcht aus Euren Herzen!" Daß ein Blin-
der ihre Züge erforschen konnte, ging über die Begriffe der Zagenden
und stärkte sie mit neuer Zuversicht.

Die Verschwörung hatte noch andere Beamte. Monday Gell,
ein geborener Afrikaner, der fertig lesen und schreiben konnte, war der
Schriftführer. Er betrieb, und zwar großentheils auf eigene Rech-
nung, das Sattlergeschäft. Während des Prozesses bekannte er, an
den Präsidenten Boyer von Hayti ein Schreiben gerichtet zu haben,
worin er die Leiden der Schwarzen im Süden der Union schilderte
und zu wissen verlangte, ob das dortige Volk ihnen bei einem Be-
freiungsversuch hülfreiche Hand leisten würde. Tom Russell war der
Waffenmeister; er schmiedete die Piken und, wie der amtliche Bericht
zugesteht, "nach einem sehr verbesserten Muster". Ein gewisser Po-
lydor Faber befestigte die Eisen an den Schäften. Dem Bacchus
Hammelt waren Feuerwaffen und Munition in Obhut gegeben,
William Garner und Mingo Harth waren zu Hauptleuten des Reiter-
geschwaders ernannt, Loth Forrester war der Courier der Revolution;
er hatte die Landneger angeworben, über die Ned Bennett, der Leib-
diener des Staatsgouverneurs, das Kommando führen sollte.

Das waren die Leiter der Verschwörung; sehen wir nun nach
ihrem Angriffsplan. Wie noch in den Zeiten des Bürgerkrieges,
kamen die Neger damals an Sonntagen massenweise nach Charleston,
gewöhnlich zu Tausenden, und diese Zahl konnte, ohne Argwohn zu
erregen, verdoppelt und verdreifacht werden. Die Meisten kamen zu
Wasser über die kleinen Flüsse Ashley und Cooper und von den be-
nachbarten Jnseln, und zwar in den Canoes und langen Kähnen, in
denen sie an Werktagen Frucht, Gemüse und Obst nach dem Markt
führten, und deren jeder an hundert Mann aufnehmen konnte. Auf
dieses Herkommen war die Verschwörung aufgebaut. Wie sich im
Lauf der Untersuchung herausstellte, hatten sich auf manchen Plan-
tagen sämmtliche Sklaven als "Kandidaten" anwerben lassen, und es
wurde erwiesen, daß die den Versammlungsorten zunächst wohnenden
Stadtneger am Abend des beabsichtigten Ausbruchs einen großen Theil
dieser Verbündeten in ihren Häusern verborgen gehalten. Die Ein-
zelheiten des Angriffsplans waren nur wenigen Auserlesenen bekannt
und sollten erst nach dem Abendgottesdienst jenes Sonntags zu Aller
Kenntniß gelangen; doch hatte jeder Hauptmann seine Vorschriften
über die Bewegungen und die Aufgabe seiner Kompagnie.

Mit dem Glockenschlag Zwölf, Nachts, sollte die allgemeine Er-
hebung stattfinden. Peter Poyas hatte den Auftrag, mit zwei Haufen
von der Südbay und Jamesinsel aus das Arsenal und die Haupt-
wache zu überrumpeln und von da nach gelungenem Werk eine Streit-
macht abzusenden, um alle weißen Bürger abzuschneiden, die etwa
nach den Alarmposten eilen würden. Ein dritter Haufe, Landneger
unter Führung Bennets, sollte sich des Waffensaals in der Vorstadt
"Das Neck" bemächtigen, ein vierter unter Rolla die Mühle des
Gouverneurs Bennett besetzen, diesen und den Bürgermeister ermorden
und dann durch die Stadt ziehen und sich an der Cannonbrücke auf-
stellen, um die Bewohner von Cannonsborough vom Zuge nach der
Stadt abzuhalten. Ein Haufe sollte das obere Wachtgebäude,
wieder einer das obere Pulvermagazin besetzen, und ein dritter stand
in Telemach Vesey's Haus diesem zu beliebiger Verfügung. Gullah
Jack sollte mit seiner Schaar von der Königsstraße her sich der Ge-
wehre der Neck=Miliz=Compagnie bemächtigen und dann des Waffen-
ladens von Duquerre und der Marinevorräthe auf dem Werft. Ein
aus Kärrnern, Kutschern und Fleischergesellen zusammengesetztes Reiter-
geschwader sollte die Straßen durchfegen, um Zusammenrottungen von
Weißen zu verhindern. Wer aus seiner Hausthür trat, sollte nieder-
gemacht, und im Nothfall die Stadt an mehreren Orten zugleich an-
gezündet werden. Ueber Weiteres hatte man sich vorerst nicht ver-
ständigt. Offenbar zählten die Chefs auf englische Hülfe, und zu-
verlässig auf Beistand von San Domingo; auf alle Fälle wollte
man sich der Schiffe im Hafen bemeistern, um bei unglücklichem Aus-
gang der Sache mit der in Banken und Läden gemachten Beute einen
sichern Rückzug zu haben. Aus der amtlichen Darstellung erhellt
sogar, daß nach Einnahme der Festungswerke am Neck die Ver-
schwörer in dieser Jahreszeit die Stadt geraume Zeit hätten behaupten
können.

Vergleicht man diesen Jnsurrektionsplan mit dem unüberlegten
[Spaltenumbruch] Putsch des gottvertrauenden Puritaners John Brown bei Harpers
Ferry, so muß man der Jntelligenz des Negers Vesey alle Achtung
zollen.

So ohne allen Argwohn waren die Behörden, so unvorbereitet
die Bürgerschaft, und so offen lag die Stadt jedem Angriff, daß für
den vollkommenen Erfolg der Jnsurgenten nur Organisation und
Waffen nöthig zu sein schienen. Zur Führung des ersten Schlages
war für mehrere hundert Piken und Dolche und eine Anzahl Säbel
und Flinten für die Anführer Sorge getragen und jede Waffen-
niederlage in der Stadt sorgfältig im Auge behalten worden. Außer-
halb des städtischen Weichbildes, am Königsstraßenwege, waren in einer
einfachen Bretterhütte die Waffen der Neck=Miliz=Compagnie auf-
bewahrt, mehrere hundert Musketen. Jhre Wegnahme war die Auf-
gabe des Bacchus Hammelt, dessen Heer die Oberaufsicht über diese
Waffen hatte. Jn den Waffenläden von Duquerre und Scheurer
fand sich ein weiterer Vorrath von Feuerwaffen und Säbeln vor, und
gelang den Negern die Eroberung des Staatsarsenals, das nur durch
hölzerne Thore verwahrt war, so schien das Gelingen der Empörung
von vornherein gesichert.

Ueber das Schicksal, welches der weißen Bevölkerung nach Ein-
nahme der Stadt zugedacht war, verlautet aus dem Zeugenverhör
nur wenig. Entweder scheuten die farbigen Zeugen derartige Aus-
sagen oder hüteten sich die Behörden vor Veröffentlichung derselben.
Bekannt wurde aber doch, daß Vesey für Abschlachtung aller Weißen
war, und daß er einem der Verschworenen, der "die Geistlichen, Weiber
und Kinder" verschont wissen wollte, zur Unterstützung seiner Ansicht
eine Stelle aus der Bibel vorlas und dazu bemerkte, "ihre eigene
Sicherheit gebiete nach dem Vorbilde San Domingo's die Nieder-
metzelung aller Weißen". Ja, dieser Plan des allgemeinen Aufstandes
war nicht die Schöpfung eines einzelnen Schwärmers, sondern wäh-
rend vier Jahren von den Häuptern entworfen, erwogen und fünf
Monate hindurch von der großen Menge der in das Geheimniß ein-
geweihten Kandidaten nach allen Seiten hin besprochen worden, ohne
einen Verräther gefunden zu haben.

( Schluß folgt. )



Historische Bilder
von
C. Nissel.
1.
Ein Glaubensakt.

Der 26. April des Jahres 1724 war für Palermo ein Festtag
der seltensten Art; denn er war zur Aufführung eines jener
Schauspiele ausersehen, deren Erinnern uns mit Schaudern und
Entsetzen erfüllen. Der schönste Platz der sicilianischen Haupt-
stadt, der St. Erasmusplatz, war zum Schauplatz gewählt. Mitten
auf demselben war ein riesiges weißes Kreuz aufgerichtet, zu dessen
beiden Seiten sich zwei fünfzehn Fuß hohe verdeckte Gerüste erhoben,
deren jedes eine mit einer Treppe versehene Bretterbühne trug, über
welche ein Pfahl emporragte. Dem Kreuz gegenüber waren in einem
weiten Halbkreise Altäre, Tribünen und Schaugerüste errichtet, deren
Mittelpunkt eine große, vorzugsweise mit religiösen Sinnbildern
prachtvoll dekorirte Tribüne bildete, für die Hauptleiter des Schau-
spiels, die Jnquisitoren, bestimmt, die von einer Anzahl gleichfalls
reichverzierter Tribünen für den Vicekönig, den Erzbischof, den Senat,
den Adel und die Geistlichkeit Palermo's flankirt war. Schon am
frühen Morgen des verhängnißvollen Tages füllte sich der Platz mit
Menschenmassen; mit dem ersten Strahl der Morgensonne ertön-
ten von den Thürmen der Stadt die Bußglocken, und Prozessionen
von Ordensgeistlichen und religiösen Brüderschaften durchzogen die
Hauptstraßen nach dem St. Erasmusplatz, marschirten, hier an-
gekommen, in feierlichem Zuge um das Kreuz und nahmen die ihnen
angewiesenen Plätze ein. Nach und nach füllten sich auch die Tribünen
mit dem bevorzugten Publikum, das, festlich geschmückt, angefahren
und angeritten kam, und unter welchem das schönere Geschlecht zahl-
reich vertreten war. Der Beginn des eigentlichen Schauspiels ließ
jedoch ziemlich lange auf sich warten, denn bereits war es zwei Uhr
Nachmittags geworden.

Die schaulustige Menge begann unruhig zu werden, besonders als
sie sah, daß reichbesetzte Tafeln für die Zuschauer der Tribünen herbei-
getragen wurden, die der Sache einen heitern Anstrich verliehen.
Plötzlich verstummte das Getöse und Gesumme der Masse. Ein
langer Zug von Mönchen bewegte sich daher, aus dem eine Anzahl
reichgekleideter Herren zu Pferde emporragten, Fürsten und Herzoge,
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] daß die Verschworenen den Patrouillen aus dem Wege gehen konnten,
und zudem war der schwarze Aufseher der Plantage selbst ein Ein-
geweihter. Hier bereiteten die Angolesen Patronen und Piken vor
und hielten Festmahle, bei denen der Zauberer ihnen durch allerlei
mystischen Humbug Siegeszuversicht einflößte. Noch am Vorabend
des Aufstandes gab er ihnen Krebsscheeren als Amulets, die sie als
Schutzmittel gegen Verwundungen im Munde führen sollten. War
Gullah Jack verhindert, so vertrat ihn sein Beigeordneter, ein blinder
Prediger Namens Philipp, den seine Anhänger ebenfalls als Hell-
seher und Geisterbeschwörer verehrten. Er hatte unter Anderem die
Aufgabe, den Wankenden Muth zu machen. „Warum schaust Du
so ängstlich drein?“ fuhr der Blinde sie an und citirte aus der Bibel
das Wort: „Bannet die Furcht aus Euren Herzen!“ Daß ein Blin-
der ihre Züge erforschen konnte, ging über die Begriffe der Zagenden
und stärkte sie mit neuer Zuversicht.

Die Verschwörung hatte noch andere Beamte. Monday Gell,
ein geborener Afrikaner, der fertig lesen und schreiben konnte, war der
Schriftführer. Er betrieb, und zwar großentheils auf eigene Rech-
nung, das Sattlergeschäft. Während des Prozesses bekannte er, an
den Präsidenten Boyer von Hayti ein Schreiben gerichtet zu haben,
worin er die Leiden der Schwarzen im Süden der Union schilderte
und zu wissen verlangte, ob das dortige Volk ihnen bei einem Be-
freiungsversuch hülfreiche Hand leisten würde. Tom Russell war der
Waffenmeister; er schmiedete die Piken und, wie der amtliche Bericht
zugesteht, „nach einem sehr verbesserten Muster“. Ein gewisser Po-
lydor Faber befestigte die Eisen an den Schäften. Dem Bacchus
Hammelt waren Feuerwaffen und Munition in Obhut gegeben,
William Garner und Mingo Harth waren zu Hauptleuten des Reiter-
geschwaders ernannt, Loth Forrester war der Courier der Revolution;
er hatte die Landneger angeworben, über die Ned Bennett, der Leib-
diener des Staatsgouverneurs, das Kommando führen sollte.

Das waren die Leiter der Verschwörung; sehen wir nun nach
ihrem Angriffsplan. Wie noch in den Zeiten des Bürgerkrieges,
kamen die Neger damals an Sonntagen massenweise nach Charleston,
gewöhnlich zu Tausenden, und diese Zahl konnte, ohne Argwohn zu
erregen, verdoppelt und verdreifacht werden. Die Meisten kamen zu
Wasser über die kleinen Flüsse Ashley und Cooper und von den be-
nachbarten Jnseln, und zwar in den Canoes und langen Kähnen, in
denen sie an Werktagen Frucht, Gemüse und Obst nach dem Markt
führten, und deren jeder an hundert Mann aufnehmen konnte. Auf
dieses Herkommen war die Verschwörung aufgebaut. Wie sich im
Lauf der Untersuchung herausstellte, hatten sich auf manchen Plan-
tagen sämmtliche Sklaven als „Kandidaten“ anwerben lassen, und es
wurde erwiesen, daß die den Versammlungsorten zunächst wohnenden
Stadtneger am Abend des beabsichtigten Ausbruchs einen großen Theil
dieser Verbündeten in ihren Häusern verborgen gehalten. Die Ein-
zelheiten des Angriffsplans waren nur wenigen Auserlesenen bekannt
und sollten erst nach dem Abendgottesdienst jenes Sonntags zu Aller
Kenntniß gelangen; doch hatte jeder Hauptmann seine Vorschriften
über die Bewegungen und die Aufgabe seiner Kompagnie.

Mit dem Glockenschlag Zwölf, Nachts, sollte die allgemeine Er-
hebung stattfinden. Peter Poyas hatte den Auftrag, mit zwei Haufen
von der Südbay und Jamesinsel aus das Arsenal und die Haupt-
wache zu überrumpeln und von da nach gelungenem Werk eine Streit-
macht abzusenden, um alle weißen Bürger abzuschneiden, die etwa
nach den Alarmposten eilen würden. Ein dritter Haufe, Landneger
unter Führung Bennets, sollte sich des Waffensaals in der Vorstadt
„Das Neck“ bemächtigen, ein vierter unter Rolla die Mühle des
Gouverneurs Bennett besetzen, diesen und den Bürgermeister ermorden
und dann durch die Stadt ziehen und sich an der Cannonbrücke auf-
stellen, um die Bewohner von Cannonsborough vom Zuge nach der
Stadt abzuhalten. Ein Haufe sollte das obere Wachtgebäude,
wieder einer das obere Pulvermagazin besetzen, und ein dritter stand
in Telemach Vesey's Haus diesem zu beliebiger Verfügung. Gullah
Jack sollte mit seiner Schaar von der Königsstraße her sich der Ge-
wehre der Neck=Miliz=Compagnie bemächtigen und dann des Waffen-
ladens von Duquerre und der Marinevorräthe auf dem Werft. Ein
aus Kärrnern, Kutschern und Fleischergesellen zusammengesetztes Reiter-
geschwader sollte die Straßen durchfegen, um Zusammenrottungen von
Weißen zu verhindern. Wer aus seiner Hausthür trat, sollte nieder-
gemacht, und im Nothfall die Stadt an mehreren Orten zugleich an-
gezündet werden. Ueber Weiteres hatte man sich vorerst nicht ver-
ständigt. Offenbar zählten die Chefs auf englische Hülfe, und zu-
verlässig auf Beistand von San Domingo; auf alle Fälle wollte
man sich der Schiffe im Hafen bemeistern, um bei unglücklichem Aus-
gang der Sache mit der in Banken und Läden gemachten Beute einen
sichern Rückzug zu haben. Aus der amtlichen Darstellung erhellt
sogar, daß nach Einnahme der Festungswerke am Neck die Ver-
schwörer in dieser Jahreszeit die Stadt geraume Zeit hätten behaupten
können.

Vergleicht man diesen Jnsurrektionsplan mit dem unüberlegten
[Spaltenumbruch] Putsch des gottvertrauenden Puritaners John Brown bei Harpers
Ferry, so muß man der Jntelligenz des Negers Vesey alle Achtung
zollen.

So ohne allen Argwohn waren die Behörden, so unvorbereitet
die Bürgerschaft, und so offen lag die Stadt jedem Angriff, daß für
den vollkommenen Erfolg der Jnsurgenten nur Organisation und
Waffen nöthig zu sein schienen. Zur Führung des ersten Schlages
war für mehrere hundert Piken und Dolche und eine Anzahl Säbel
und Flinten für die Anführer Sorge getragen und jede Waffen-
niederlage in der Stadt sorgfältig im Auge behalten worden. Außer-
halb des städtischen Weichbildes, am Königsstraßenwege, waren in einer
einfachen Bretterhütte die Waffen der Neck=Miliz=Compagnie auf-
bewahrt, mehrere hundert Musketen. Jhre Wegnahme war die Auf-
gabe des Bacchus Hammelt, dessen Heer die Oberaufsicht über diese
Waffen hatte. Jn den Waffenläden von Duquerre und Scheurer
fand sich ein weiterer Vorrath von Feuerwaffen und Säbeln vor, und
gelang den Negern die Eroberung des Staatsarsenals, das nur durch
hölzerne Thore verwahrt war, so schien das Gelingen der Empörung
von vornherein gesichert.

Ueber das Schicksal, welches der weißen Bevölkerung nach Ein-
nahme der Stadt zugedacht war, verlautet aus dem Zeugenverhör
nur wenig. Entweder scheuten die farbigen Zeugen derartige Aus-
sagen oder hüteten sich die Behörden vor Veröffentlichung derselben.
Bekannt wurde aber doch, daß Vesey für Abschlachtung aller Weißen
war, und daß er einem der Verschworenen, der „die Geistlichen, Weiber
und Kinder“ verschont wissen wollte, zur Unterstützung seiner Ansicht
eine Stelle aus der Bibel vorlas und dazu bemerkte, „ihre eigene
Sicherheit gebiete nach dem Vorbilde San Domingo's die Nieder-
metzelung aller Weißen“. Ja, dieser Plan des allgemeinen Aufstandes
war nicht die Schöpfung eines einzelnen Schwärmers, sondern wäh-
rend vier Jahren von den Häuptern entworfen, erwogen und fünf
Monate hindurch von der großen Menge der in das Geheimniß ein-
geweihten Kandidaten nach allen Seiten hin besprochen worden, ohne
einen Verräther gefunden zu haben.

( Schluß folgt. )



Historische Bilder
von
C. Nissel.
1.
Ein Glaubensakt.

Der 26. April des Jahres 1724 war für Palermo ein Festtag
der seltensten Art; denn er war zur Aufführung eines jener
Schauspiele ausersehen, deren Erinnern uns mit Schaudern und
Entsetzen erfüllen. Der schönste Platz der sicilianischen Haupt-
stadt, der St. Erasmusplatz, war zum Schauplatz gewählt. Mitten
auf demselben war ein riesiges weißes Kreuz aufgerichtet, zu dessen
beiden Seiten sich zwei fünfzehn Fuß hohe verdeckte Gerüste erhoben,
deren jedes eine mit einer Treppe versehene Bretterbühne trug, über
welche ein Pfahl emporragte. Dem Kreuz gegenüber waren in einem
weiten Halbkreise Altäre, Tribünen und Schaugerüste errichtet, deren
Mittelpunkt eine große, vorzugsweise mit religiösen Sinnbildern
prachtvoll dekorirte Tribüne bildete, für die Hauptleiter des Schau-
spiels, die Jnquisitoren, bestimmt, die von einer Anzahl gleichfalls
reichverzierter Tribünen für den Vicekönig, den Erzbischof, den Senat,
den Adel und die Geistlichkeit Palermo's flankirt war. Schon am
frühen Morgen des verhängnißvollen Tages füllte sich der Platz mit
Menschenmassen; mit dem ersten Strahl der Morgensonne ertön-
ten von den Thürmen der Stadt die Bußglocken, und Prozessionen
von Ordensgeistlichen und religiösen Brüderschaften durchzogen die
Hauptstraßen nach dem St. Erasmusplatz, marschirten, hier an-
gekommen, in feierlichem Zuge um das Kreuz und nahmen die ihnen
angewiesenen Plätze ein. Nach und nach füllten sich auch die Tribünen
mit dem bevorzugten Publikum, das, festlich geschmückt, angefahren
und angeritten kam, und unter welchem das schönere Geschlecht zahl-
reich vertreten war. Der Beginn des eigentlichen Schauspiels ließ
jedoch ziemlich lange auf sich warten, denn bereits war es zwei Uhr
Nachmittags geworden.

Die schaulustige Menge begann unruhig zu werden, besonders als
sie sah, daß reichbesetzte Tafeln für die Zuschauer der Tribünen herbei-
getragen wurden, die der Sache einen heitern Anstrich verliehen.
Plötzlich verstummte das Getöse und Gesumme der Masse. Ein
langer Zug von Mönchen bewegte sich daher, aus dem eine Anzahl
reichgekleideter Herren zu Pferde emporragten, Fürsten und Herzoge,
[Ende Spaltensatz]

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[198/0006] 198 daß die Verschworenen den Patrouillen aus dem Wege gehen konnten, und zudem war der schwarze Aufseher der Plantage selbst ein Ein- geweihter. Hier bereiteten die Angolesen Patronen und Piken vor und hielten Festmahle, bei denen der Zauberer ihnen durch allerlei mystischen Humbug Siegeszuversicht einflößte. Noch am Vorabend des Aufstandes gab er ihnen Krebsscheeren als Amulets, die sie als Schutzmittel gegen Verwundungen im Munde führen sollten. War Gullah Jack verhindert, so vertrat ihn sein Beigeordneter, ein blinder Prediger Namens Philipp, den seine Anhänger ebenfalls als Hell- seher und Geisterbeschwörer verehrten. Er hatte unter Anderem die Aufgabe, den Wankenden Muth zu machen. „Warum schaust Du so ängstlich drein?“ fuhr der Blinde sie an und citirte aus der Bibel das Wort: „Bannet die Furcht aus Euren Herzen!“ Daß ein Blin- der ihre Züge erforschen konnte, ging über die Begriffe der Zagenden und stärkte sie mit neuer Zuversicht. Die Verschwörung hatte noch andere Beamte. Monday Gell, ein geborener Afrikaner, der fertig lesen und schreiben konnte, war der Schriftführer. Er betrieb, und zwar großentheils auf eigene Rech- nung, das Sattlergeschäft. Während des Prozesses bekannte er, an den Präsidenten Boyer von Hayti ein Schreiben gerichtet zu haben, worin er die Leiden der Schwarzen im Süden der Union schilderte und zu wissen verlangte, ob das dortige Volk ihnen bei einem Be- freiungsversuch hülfreiche Hand leisten würde. Tom Russell war der Waffenmeister; er schmiedete die Piken und, wie der amtliche Bericht zugesteht, „nach einem sehr verbesserten Muster“. Ein gewisser Po- lydor Faber befestigte die Eisen an den Schäften. Dem Bacchus Hammelt waren Feuerwaffen und Munition in Obhut gegeben, William Garner und Mingo Harth waren zu Hauptleuten des Reiter- geschwaders ernannt, Loth Forrester war der Courier der Revolution; er hatte die Landneger angeworben, über die Ned Bennett, der Leib- diener des Staatsgouverneurs, das Kommando führen sollte. Das waren die Leiter der Verschwörung; sehen wir nun nach ihrem Angriffsplan. Wie noch in den Zeiten des Bürgerkrieges, kamen die Neger damals an Sonntagen massenweise nach Charleston, gewöhnlich zu Tausenden, und diese Zahl konnte, ohne Argwohn zu erregen, verdoppelt und verdreifacht werden. Die Meisten kamen zu Wasser über die kleinen Flüsse Ashley und Cooper und von den be- nachbarten Jnseln, und zwar in den Canoes und langen Kähnen, in denen sie an Werktagen Frucht, Gemüse und Obst nach dem Markt führten, und deren jeder an hundert Mann aufnehmen konnte. Auf dieses Herkommen war die Verschwörung aufgebaut. Wie sich im Lauf der Untersuchung herausstellte, hatten sich auf manchen Plan- tagen sämmtliche Sklaven als „Kandidaten“ anwerben lassen, und es wurde erwiesen, daß die den Versammlungsorten zunächst wohnenden Stadtneger am Abend des beabsichtigten Ausbruchs einen großen Theil dieser Verbündeten in ihren Häusern verborgen gehalten. Die Ein- zelheiten des Angriffsplans waren nur wenigen Auserlesenen bekannt und sollten erst nach dem Abendgottesdienst jenes Sonntags zu Aller Kenntniß gelangen; doch hatte jeder Hauptmann seine Vorschriften über die Bewegungen und die Aufgabe seiner Kompagnie. Mit dem Glockenschlag Zwölf, Nachts, sollte die allgemeine Er- hebung stattfinden. Peter Poyas hatte den Auftrag, mit zwei Haufen von der Südbay und Jamesinsel aus das Arsenal und die Haupt- wache zu überrumpeln und von da nach gelungenem Werk eine Streit- macht abzusenden, um alle weißen Bürger abzuschneiden, die etwa nach den Alarmposten eilen würden. Ein dritter Haufe, Landneger unter Führung Bennets, sollte sich des Waffensaals in der Vorstadt „Das Neck“ bemächtigen, ein vierter unter Rolla die Mühle des Gouverneurs Bennett besetzen, diesen und den Bürgermeister ermorden und dann durch die Stadt ziehen und sich an der Cannonbrücke auf- stellen, um die Bewohner von Cannonsborough vom Zuge nach der Stadt abzuhalten. Ein Haufe sollte das obere Wachtgebäude, wieder einer das obere Pulvermagazin besetzen, und ein dritter stand in Telemach Vesey's Haus diesem zu beliebiger Verfügung. Gullah Jack sollte mit seiner Schaar von der Königsstraße her sich der Ge- wehre der Neck=Miliz=Compagnie bemächtigen und dann des Waffen- ladens von Duquerre und der Marinevorräthe auf dem Werft. Ein aus Kärrnern, Kutschern und Fleischergesellen zusammengesetztes Reiter- geschwader sollte die Straßen durchfegen, um Zusammenrottungen von Weißen zu verhindern. Wer aus seiner Hausthür trat, sollte nieder- gemacht, und im Nothfall die Stadt an mehreren Orten zugleich an- gezündet werden. Ueber Weiteres hatte man sich vorerst nicht ver- ständigt. Offenbar zählten die Chefs auf englische Hülfe, und zu- verlässig auf Beistand von San Domingo; auf alle Fälle wollte man sich der Schiffe im Hafen bemeistern, um bei unglücklichem Aus- gang der Sache mit der in Banken und Läden gemachten Beute einen sichern Rückzug zu haben. Aus der amtlichen Darstellung erhellt sogar, daß nach Einnahme der Festungswerke am Neck die Ver- schwörer in dieser Jahreszeit die Stadt geraume Zeit hätten behaupten können. Vergleicht man diesen Jnsurrektionsplan mit dem unüberlegten Putsch des gottvertrauenden Puritaners John Brown bei Harpers Ferry, so muß man der Jntelligenz des Negers Vesey alle Achtung zollen. So ohne allen Argwohn waren die Behörden, so unvorbereitet die Bürgerschaft, und so offen lag die Stadt jedem Angriff, daß für den vollkommenen Erfolg der Jnsurgenten nur Organisation und Waffen nöthig zu sein schienen. Zur Führung des ersten Schlages war für mehrere hundert Piken und Dolche und eine Anzahl Säbel und Flinten für die Anführer Sorge getragen und jede Waffen- niederlage in der Stadt sorgfältig im Auge behalten worden. Außer- halb des städtischen Weichbildes, am Königsstraßenwege, waren in einer einfachen Bretterhütte die Waffen der Neck=Miliz=Compagnie auf- bewahrt, mehrere hundert Musketen. Jhre Wegnahme war die Auf- gabe des Bacchus Hammelt, dessen Heer die Oberaufsicht über diese Waffen hatte. Jn den Waffenläden von Duquerre und Scheurer fand sich ein weiterer Vorrath von Feuerwaffen und Säbeln vor, und gelang den Negern die Eroberung des Staatsarsenals, das nur durch hölzerne Thore verwahrt war, so schien das Gelingen der Empörung von vornherein gesichert. Ueber das Schicksal, welches der weißen Bevölkerung nach Ein- nahme der Stadt zugedacht war, verlautet aus dem Zeugenverhör nur wenig. Entweder scheuten die farbigen Zeugen derartige Aus- sagen oder hüteten sich die Behörden vor Veröffentlichung derselben. Bekannt wurde aber doch, daß Vesey für Abschlachtung aller Weißen war, und daß er einem der Verschworenen, der „die Geistlichen, Weiber und Kinder“ verschont wissen wollte, zur Unterstützung seiner Ansicht eine Stelle aus der Bibel vorlas und dazu bemerkte, „ihre eigene Sicherheit gebiete nach dem Vorbilde San Domingo's die Nieder- metzelung aller Weißen“. Ja, dieser Plan des allgemeinen Aufstandes war nicht die Schöpfung eines einzelnen Schwärmers, sondern wäh- rend vier Jahren von den Häuptern entworfen, erwogen und fünf Monate hindurch von der großen Menge der in das Geheimniß ein- geweihten Kandidaten nach allen Seiten hin besprochen worden, ohne einen Verräther gefunden zu haben. ( Schluß folgt. ) Historische Bilder von C. Nissel. 1. Ein Glaubensakt. Der 26. April des Jahres 1724 war für Palermo ein Festtag der seltensten Art; denn er war zur Aufführung eines jener Schauspiele ausersehen, deren Erinnern uns mit Schaudern und Entsetzen erfüllen. Der schönste Platz der sicilianischen Haupt- stadt, der St. Erasmusplatz, war zum Schauplatz gewählt. Mitten auf demselben war ein riesiges weißes Kreuz aufgerichtet, zu dessen beiden Seiten sich zwei fünfzehn Fuß hohe verdeckte Gerüste erhoben, deren jedes eine mit einer Treppe versehene Bretterbühne trug, über welche ein Pfahl emporragte. Dem Kreuz gegenüber waren in einem weiten Halbkreise Altäre, Tribünen und Schaugerüste errichtet, deren Mittelpunkt eine große, vorzugsweise mit religiösen Sinnbildern prachtvoll dekorirte Tribüne bildete, für die Hauptleiter des Schau- spiels, die Jnquisitoren, bestimmt, die von einer Anzahl gleichfalls reichverzierter Tribünen für den Vicekönig, den Erzbischof, den Senat, den Adel und die Geistlichkeit Palermo's flankirt war. Schon am frühen Morgen des verhängnißvollen Tages füllte sich der Platz mit Menschenmassen; mit dem ersten Strahl der Morgensonne ertön- ten von den Thürmen der Stadt die Bußglocken, und Prozessionen von Ordensgeistlichen und religiösen Brüderschaften durchzogen die Hauptstraßen nach dem St. Erasmusplatz, marschirten, hier an- gekommen, in feierlichem Zuge um das Kreuz und nahmen die ihnen angewiesenen Plätze ein. Nach und nach füllten sich auch die Tribünen mit dem bevorzugten Publikum, das, festlich geschmückt, angefahren und angeritten kam, und unter welchem das schönere Geschlecht zahl- reich vertreten war. Der Beginn des eigentlichen Schauspiels ließ jedoch ziemlich lange auf sich warten, denn bereits war es zwei Uhr Nachmittags geworden. Die schaulustige Menge begann unruhig zu werden, besonders als sie sah, daß reichbesetzte Tafeln für die Zuschauer der Tribünen herbei- getragen wurden, die der Sache einen heitern Anstrich verliehen. Plötzlich verstummte das Getöse und Gesumme der Masse. Ein langer Zug von Mönchen bewegte sich daher, aus dem eine Anzahl reichgekleideter Herren zu Pferde emporragten, Fürsten und Herzoge,

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 25. Berlin, 21. Juni 1868, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt25_1868/6>, abgerufen am 01.06.2024.