Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 45. Berlin, 8. November 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] widriger Verordnungen traf und das Militärregiment wieder einmal
in voller Blüthe stand, da machte Marschall Serrano, Präsident des
Senats, der Königin energische Vorstellungen gegen dieses Treiben.
Doch nicht die Königin, sondern Narvaez hatte die Macht in Hän-
den; sie vermochte den einstigen Günstling nicht zu schützen. Auf
Befehl von Narvaez wurde Serrano am 30. Dezember 1866 ver-
haftet und nach den kanarischen Jnseln verbannt. Hier hat er bis
zum Ausbruch der gegenwärtigen Bewegung gelebt, und allem An-
schein nach die Fäden der Ereignisse in Spanien geschickt in der Hand
gehabt. Jst die jetzige Revolution in ihrer Anordnung und Aus-
führung sein Werk, so muß man zugestehen, daß er Klugheit und
Energie auf das Beste zu vereinigen weiß. Doch die Hauptprobe,
durch die er sich zu bewähren hat, werden die nächsten Monate, in
denen das Schicksal Spaniens entschieden werden soll, herbeiführen
müssen

Die liberale Union zählt, wie bereits bemerkt, unter den Generalen
und höheren Staatsbeamten nicht wenige Anhänger, und der Einfluß
dieser Partei auf den weiteren Verlauf der Revolution darf somit
als ein sehr erheblicher angesehen werden, auch haben sie bis jetzt
äußerst geschickt operirt und es durchzusetzen gewußt, daß die Ab-
neigung, von welcher sonst die Anhänger des sogenannten Juste milieu
leicht beiderseitig heimgesucht werden, ihnen bis jetzt erspart ge-
blieben ist.

Wir schließen unsere Betrachtung der Parteien, indem wir noch
einen Blick auf die Demokraten werfen. Erst seit 1848 besteht
eine Partei, die sich als die demokratische bezeichnet. Entstanden in
den Fabrikdistrikten des Landes, hatten ihre Doktrinen von vornherein
einen starken sozialistischen Beigeschmack. Barcelona ist der Mittel-
punkt dieser Partei, und es ist nicht ohne Bedeutung, daß grade diese
Stadt noch immer säumt, die revolutionäre Junta aufzulösen und sich
völlig der provisorischen Regierung zur Verfügung zu stellen. Jm
Laufe der Zeit wurde die sozialistische Färbung der demokratischen
Partei etwas matter, indem man anfing, den politischen und national-
ökonomischen Fragen näher zu treten und gewissermaßen einen prakti-
schen Republikanismus zu kultiviren. Die Partei ist gut organisirt
und hat namentlich in den Städten einen starken Anhang; doch kom-
men hier vor Allem die baskischen Provinzen, Catalonien und Ara-
gonien in Betracht; in Südspanien, die Provinz Granada etwa aus-
genommen, haben sie noch keinen festen Fuß gefaßt. Jn den politi-
schen Körperschaften des Landes konnten sie sich bis jetzt nur wenig
geltend machen, da sie bei dem hohen Zensus, welchen die spanische
Verfassung für das Wahlrecht festsetzt, zum größten Theil aus Nicht-
wählern bestanden; die Anzahl der demokratischen Abgeordneten für
die Cortes ist deßhalb nur eine sehr geringe. Desto kräftiger aber
werden sie in der Presse repräsentirt. Jhre beiden Hauptvertreter
sind Rivero und Emilio Castelar; ersterer, gegenwärtig Bürger-
meister von Madrid, vertritt mehr die sozialistischen Tendenzen; dieser,
bis vor einigen Jahren Professor der Literatur und alten Sprachen
an der Universität von Madrid und eben jetzt aus der Verbannung
in die Heimath zurückgekehrt, ist vorwiegend Politiker; Beide aber
sind geist= und talentvolle Männer und werden von ihrer Partei ver-
göttert; namentlich Emilio Castelar scheint berufen, noch eine große
Rolle in der jetzigen Entwicklung Spaniens zu spielen. Jn seiner
Wirksamkeit als Universitätslehrer hatte er einen gewaltigen Einfluß
auf die jüngere Generation der gebildeten Stände in der Hauptstadt
geübt, und diese jungen Männer bilden jetzt den Kern seines täglich
wachsenden Anhangs. Er hat sich bei seiner Heimkehr mit Enthu-
siasmus für die Republik ausgesprochen; ihm wird ohne Zweifel bei
dem herannahenden Entscheidungskampf die Führung der republika-
nischen Partei zufallen. Die Aussichten auf den Sieg sind dabei nicht
grade groß, denn Serrano wie Prim haben sich bereits für die Be-
gründung einer neuen, natürlich beschränkten Monarchie ausgesprochen,
und trotzdem sie erklärt haben, auch die Republik acceptiren zu wollen,
wenn der Wille der Nation sie fordere, so ist es doch wohl mehr als
wahrscheinlich, daß in Spanien ein neues Königthum erstehen wird, und
auch die Demokraten werden, wie sie bereits durch einige ihrer Führer
verkündigen ließen, dieser Forderung der nationalen Souveränität, so-
bald sie durch den Mund der berufenen Vertreter feststeht, sich fügen.
Heißer freilich wird sich der Kampf gestalten, wenn es gilt, die neuen
Jnstitutionen festzustellen, nach denen Spanien fortan sein politisches
Leben regeln soll. Jn der gegenwärtigen provisorischen Regierung
sind alle liberalen Parteien vertreten, und sie haben aufrichtig zu-
sammengestanden, so lange es sich um das Niederreißen handelte; das
wird anders werden, wenn es an's Aufbauen geht. Hoffen und ver-
trauen wir, daß dann der gute Genius des Volks über dem Streit
der Parteien schwebt. Eine Wahrnehmung vor Allem ist es, welche
uns in dem Glauben bestärkt, daß das vielgetäuschte Volk, dem es
bisher bei seinen zahllosen Revolutionen nicht gelingen wollte, einen
normalen Zustand politischer Ruhe und Sicherheit zu erlangen, dies-
mal endlich eine Grundlage politischen Gedeihens sich sichern wird.
Seit einigen dreißig Jahren, also seit einem Menschenalter erst, giebt
[Spaltenumbruch] es in Spanien wirkliche Volksschulen; während bis dahin nur Mönche,
Priester, Schreiber und andere wenig gebildete Personen gelegentlich
Elementar=Unterricht ertheilten und die allergrößte Masse des Volkes
in Unwissenheit aufwuchs, als ein unweigerlich gehorsames Werkzeug
in den Händen der Geistlichkeit. Seit 1845 hat sich die Anzahl der
Schüler in den Volksschulen mehr als verdoppelt, und eine andere
Generation von Menschen ist in Spanien groß geworden. So findet
diese Bewegung eine andere, eine intelligentere und thatkräftigere
Stütze im Volke, als irgend eine der vorangegangenen Revolutionen.
Und während man früher bei allen Gewaltausbrüchen gegen die Ueber-
griffe der Geistlichkeit doch nie den Gedanken der konfessionellen Gleich-
berechtigung zu fassen vermochte und bis auf unsere Tage die Aus-
übung eines andern Bekenntnisses, als des katholischen, mit empfind-
licher Strafe bedroht war, so ist heut die Freiheit des Kultus ein
kräftiger Feldruf der Revolution geworden, die in der gestiegenen
Bildung des Volkes einen mächtigen Bundesgenossen findet. Noch
fehlt viel, um Spanien hinsichtlich der geistigen Kultur den meisten
übrigen Nationen Europa's gleichzustellen, doch der Weg ist geöffnet
und das spanische Volk wird ihn sich nicht wieder verschließen lassen.



Die letzten Tage und das Ende eines Königs.
( Fortsetzung. )

Auf Jschia verweilte er einen Tag, vergeblich auf günstige Nach-
richten harrend. Hier versammelte sich ein kleines Gefolge von Hof-
leuten und Dienern um Murat, die ihm Nachrichten aus Neapel
brachten, von dem Wankelmuth und dem Aufstand der großen Masse,
welche die einziehenden Bourbonen jubelnd begrüßt, und von der un-
gehinderten Abreise seiner Familie auf einem englischen Schiff. Dies
beruhigte Murat, er behielt einen Theil der Hofleute und Diener bei
sich, miethete ein Schiff zur Ueberfahrt nach Frankreich und schiffte
sich still und geräuschlos ein. Er verbrachte seine meiste Zeit auf
dem Verdeck, sehnsüchtig in die Ferne schauend. Jn dem Meerbusen
von Gaeta angekommen, verklärte sich sein Blick, denn von den Zin-
nen der Festung wehte stolz sein Banner.

"Sehen Sie dort, meine Herren!" rief er seiner Umgebung zu.
"Dort winkt uns das Vaterland! Leisten wir diesem Wink Folge!
Dort finden wir Schutz und Freunde! Vorwärts nach Gaeta! Und
sollte ich den Kampf der Verzweiflung kämpfen, so will ich doch
kämpfen!"

Ungestüm befahl Murat, den Lauf des Schiffes nach Gaeta zu
richten; aber der Hafeneingang war durch englische Schiffe verschlossen,
und so mußte er, Groll und Betrübniß im Herzen, seine Fahrt nach
Frankreich fortsetzen. Am 28. Mai erreichte das Fahrzeug bei Frejus
die französische Küste, und Murat landete an derselben Stelle, an
welcher zwei Monate früher der Gefangene von Elba den Boden
Frankreichs betreten hatte, um auf den Thron Frankreichs zurück-
zukehren. Als Murat den französischen Boden betrat, erwachte eine
Fülle von Erinnerungen in seiner Brust. Dieser Boden war ja
Zeuge der ersten glänzenden Kriegsthaten, die er im Dienst der Frei-
heit verrichtet, der Beschwerden, die er für denselben ertragen, ge-
wesen. Hier hatte ihn das Glück auf seine Schwingen genommen;
von Stufe zu Stufe auf der Leiter des Ruhms emporsteigend, an
der Seite des Helden des Jahrhunderts, von diesem mit der Hand
seiner liebenswürdigen Schwester Carolina beglückt und beehrt, war
es ihm vergönnt gewesen, auch die letzte Sprosse zu erklimmen und
König eines der schönsten Königreiche Europa's zu werden. Von der
niederen Hütte in Cahors, aus welcher er einst als begeisterungs-
trunkener Jüngling hinaus gezogen, um für die Freiheit zu kämpfen,
bis auf den glänzenden Königsthron von Neapel! Es waren in der
That Erinnerungen berauschender Art, die sein Herz hochschlagen
ließen. Freilich tauchten auch minder freundliche Bilder trübend zwi-
schen den glänzenden empor. Er dachte an seine plötzliche Abreise von
der großen Armee nach dem unglücklichen russischen Feldzug, der seine
Siegeslorbeern vermehrt, an sein späteres schwankendes Verhalten, an
seine Unterhandlungen mit Lord Bentink, an sein Bündniß mit
Oesterreich gegen Frankreich und an seinen Vertrag mit England.
Seine gescheiterten Versuche zur Herstellung eines einigen Jtaliens,
sein letzter unglückseliger Krieg gegen Oesterreich, der alle seine Hoff-
nungen und Erwartungen zu Schanden werden ließ, standen vor
seinem geistigen Auge. Und nun wollte er vor den Mann hin-
treten, an dem er, aus unkluger Berechnung der Verhältnisse, so un-
dankbar gehandelt, um ihm seine Dienste anzubieten, um bei ihm
gastliche Aufnahme, Hülfe und Trost zu finden. Das machte Murat
unschlüssig, er reiste nach Toulon und schrieb von hier aus an den
Minister Fouche, seinen Freund aus glücklichen Tagen:

"Sie kennen die Gründe und Umstände des Krieges in Jtalien;
nun ich in Frankreich bin, biete ich dem Kaiser meinen Arm an
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] widriger Verordnungen traf und das Militärregiment wieder einmal
in voller Blüthe stand, da machte Marschall Serrano, Präsident des
Senats, der Königin energische Vorstellungen gegen dieses Treiben.
Doch nicht die Königin, sondern Narvaez hatte die Macht in Hän-
den; sie vermochte den einstigen Günstling nicht zu schützen. Auf
Befehl von Narvaez wurde Serrano am 30. Dezember 1866 ver-
haftet und nach den kanarischen Jnseln verbannt. Hier hat er bis
zum Ausbruch der gegenwärtigen Bewegung gelebt, und allem An-
schein nach die Fäden der Ereignisse in Spanien geschickt in der Hand
gehabt. Jst die jetzige Revolution in ihrer Anordnung und Aus-
führung sein Werk, so muß man zugestehen, daß er Klugheit und
Energie auf das Beste zu vereinigen weiß. Doch die Hauptprobe,
durch die er sich zu bewähren hat, werden die nächsten Monate, in
denen das Schicksal Spaniens entschieden werden soll, herbeiführen
müssen

Die liberale Union zählt, wie bereits bemerkt, unter den Generalen
und höheren Staatsbeamten nicht wenige Anhänger, und der Einfluß
dieser Partei auf den weiteren Verlauf der Revolution darf somit
als ein sehr erheblicher angesehen werden, auch haben sie bis jetzt
äußerst geschickt operirt und es durchzusetzen gewußt, daß die Ab-
neigung, von welcher sonst die Anhänger des sogenannten Juste milieu
leicht beiderseitig heimgesucht werden, ihnen bis jetzt erspart ge-
blieben ist.

Wir schließen unsere Betrachtung der Parteien, indem wir noch
einen Blick auf die Demokraten werfen. Erst seit 1848 besteht
eine Partei, die sich als die demokratische bezeichnet. Entstanden in
den Fabrikdistrikten des Landes, hatten ihre Doktrinen von vornherein
einen starken sozialistischen Beigeschmack. Barcelona ist der Mittel-
punkt dieser Partei, und es ist nicht ohne Bedeutung, daß grade diese
Stadt noch immer säumt, die revolutionäre Junta aufzulösen und sich
völlig der provisorischen Regierung zur Verfügung zu stellen. Jm
Laufe der Zeit wurde die sozialistische Färbung der demokratischen
Partei etwas matter, indem man anfing, den politischen und national-
ökonomischen Fragen näher zu treten und gewissermaßen einen prakti-
schen Republikanismus zu kultiviren. Die Partei ist gut organisirt
und hat namentlich in den Städten einen starken Anhang; doch kom-
men hier vor Allem die baskischen Provinzen, Catalonien und Ara-
gonien in Betracht; in Südspanien, die Provinz Granada etwa aus-
genommen, haben sie noch keinen festen Fuß gefaßt. Jn den politi-
schen Körperschaften des Landes konnten sie sich bis jetzt nur wenig
geltend machen, da sie bei dem hohen Zensus, welchen die spanische
Verfassung für das Wahlrecht festsetzt, zum größten Theil aus Nicht-
wählern bestanden; die Anzahl der demokratischen Abgeordneten für
die Cortes ist deßhalb nur eine sehr geringe. Desto kräftiger aber
werden sie in der Presse repräsentirt. Jhre beiden Hauptvertreter
sind Rivero und Emilio Castelar; ersterer, gegenwärtig Bürger-
meister von Madrid, vertritt mehr die sozialistischen Tendenzen; dieser,
bis vor einigen Jahren Professor der Literatur und alten Sprachen
an der Universität von Madrid und eben jetzt aus der Verbannung
in die Heimath zurückgekehrt, ist vorwiegend Politiker; Beide aber
sind geist= und talentvolle Männer und werden von ihrer Partei ver-
göttert; namentlich Emilio Castelar scheint berufen, noch eine große
Rolle in der jetzigen Entwicklung Spaniens zu spielen. Jn seiner
Wirksamkeit als Universitätslehrer hatte er einen gewaltigen Einfluß
auf die jüngere Generation der gebildeten Stände in der Hauptstadt
geübt, und diese jungen Männer bilden jetzt den Kern seines täglich
wachsenden Anhangs. Er hat sich bei seiner Heimkehr mit Enthu-
siasmus für die Republik ausgesprochen; ihm wird ohne Zweifel bei
dem herannahenden Entscheidungskampf die Führung der republika-
nischen Partei zufallen. Die Aussichten auf den Sieg sind dabei nicht
grade groß, denn Serrano wie Prim haben sich bereits für die Be-
gründung einer neuen, natürlich beschränkten Monarchie ausgesprochen,
und trotzdem sie erklärt haben, auch die Republik acceptiren zu wollen,
wenn der Wille der Nation sie fordere, so ist es doch wohl mehr als
wahrscheinlich, daß in Spanien ein neues Königthum erstehen wird, und
auch die Demokraten werden, wie sie bereits durch einige ihrer Führer
verkündigen ließen, dieser Forderung der nationalen Souveränität, so-
bald sie durch den Mund der berufenen Vertreter feststeht, sich fügen.
Heißer freilich wird sich der Kampf gestalten, wenn es gilt, die neuen
Jnstitutionen festzustellen, nach denen Spanien fortan sein politisches
Leben regeln soll. Jn der gegenwärtigen provisorischen Regierung
sind alle liberalen Parteien vertreten, und sie haben aufrichtig zu-
sammengestanden, so lange es sich um das Niederreißen handelte; das
wird anders werden, wenn es an's Aufbauen geht. Hoffen und ver-
trauen wir, daß dann der gute Genius des Volks über dem Streit
der Parteien schwebt. Eine Wahrnehmung vor Allem ist es, welche
uns in dem Glauben bestärkt, daß das vielgetäuschte Volk, dem es
bisher bei seinen zahllosen Revolutionen nicht gelingen wollte, einen
normalen Zustand politischer Ruhe und Sicherheit zu erlangen, dies-
mal endlich eine Grundlage politischen Gedeihens sich sichern wird.
Seit einigen dreißig Jahren, also seit einem Menschenalter erst, giebt
[Spaltenumbruch] es in Spanien wirkliche Volksschulen; während bis dahin nur Mönche,
Priester, Schreiber und andere wenig gebildete Personen gelegentlich
Elementar=Unterricht ertheilten und die allergrößte Masse des Volkes
in Unwissenheit aufwuchs, als ein unweigerlich gehorsames Werkzeug
in den Händen der Geistlichkeit. Seit 1845 hat sich die Anzahl der
Schüler in den Volksschulen mehr als verdoppelt, und eine andere
Generation von Menschen ist in Spanien groß geworden. So findet
diese Bewegung eine andere, eine intelligentere und thatkräftigere
Stütze im Volke, als irgend eine der vorangegangenen Revolutionen.
Und während man früher bei allen Gewaltausbrüchen gegen die Ueber-
griffe der Geistlichkeit doch nie den Gedanken der konfessionellen Gleich-
berechtigung zu fassen vermochte und bis auf unsere Tage die Aus-
übung eines andern Bekenntnisses, als des katholischen, mit empfind-
licher Strafe bedroht war, so ist heut die Freiheit des Kultus ein
kräftiger Feldruf der Revolution geworden, die in der gestiegenen
Bildung des Volkes einen mächtigen Bundesgenossen findet. Noch
fehlt viel, um Spanien hinsichtlich der geistigen Kultur den meisten
übrigen Nationen Europa's gleichzustellen, doch der Weg ist geöffnet
und das spanische Volk wird ihn sich nicht wieder verschließen lassen.



Die letzten Tage und das Ende eines Königs.
( Fortsetzung. )

Auf Jschia verweilte er einen Tag, vergeblich auf günstige Nach-
richten harrend. Hier versammelte sich ein kleines Gefolge von Hof-
leuten und Dienern um Murat, die ihm Nachrichten aus Neapel
brachten, von dem Wankelmuth und dem Aufstand der großen Masse,
welche die einziehenden Bourbonen jubelnd begrüßt, und von der un-
gehinderten Abreise seiner Familie auf einem englischen Schiff. Dies
beruhigte Murat, er behielt einen Theil der Hofleute und Diener bei
sich, miethete ein Schiff zur Ueberfahrt nach Frankreich und schiffte
sich still und geräuschlos ein. Er verbrachte seine meiste Zeit auf
dem Verdeck, sehnsüchtig in die Ferne schauend. Jn dem Meerbusen
von Gaëta angekommen, verklärte sich sein Blick, denn von den Zin-
nen der Festung wehte stolz sein Banner.

„Sehen Sie dort, meine Herren!“ rief er seiner Umgebung zu.
„Dort winkt uns das Vaterland! Leisten wir diesem Wink Folge!
Dort finden wir Schutz und Freunde! Vorwärts nach Gaëta! Und
sollte ich den Kampf der Verzweiflung kämpfen, so will ich doch
kämpfen!“

Ungestüm befahl Murat, den Lauf des Schiffes nach Gaëta zu
richten; aber der Hafeneingang war durch englische Schiffe verschlossen,
und so mußte er, Groll und Betrübniß im Herzen, seine Fahrt nach
Frankreich fortsetzen. Am 28. Mai erreichte das Fahrzeug bei Frejus
die französische Küste, und Murat landete an derselben Stelle, an
welcher zwei Monate früher der Gefangene von Elba den Boden
Frankreichs betreten hatte, um auf den Thron Frankreichs zurück-
zukehren. Als Murat den französischen Boden betrat, erwachte eine
Fülle von Erinnerungen in seiner Brust. Dieser Boden war ja
Zeuge der ersten glänzenden Kriegsthaten, die er im Dienst der Frei-
heit verrichtet, der Beschwerden, die er für denselben ertragen, ge-
wesen. Hier hatte ihn das Glück auf seine Schwingen genommen;
von Stufe zu Stufe auf der Leiter des Ruhms emporsteigend, an
der Seite des Helden des Jahrhunderts, von diesem mit der Hand
seiner liebenswürdigen Schwester Carolina beglückt und beehrt, war
es ihm vergönnt gewesen, auch die letzte Sprosse zu erklimmen und
König eines der schönsten Königreiche Europa's zu werden. Von der
niederen Hütte in Cahors, aus welcher er einst als begeisterungs-
trunkener Jüngling hinaus gezogen, um für die Freiheit zu kämpfen,
bis auf den glänzenden Königsthron von Neapel! Es waren in der
That Erinnerungen berauschender Art, die sein Herz hochschlagen
ließen. Freilich tauchten auch minder freundliche Bilder trübend zwi-
schen den glänzenden empor. Er dachte an seine plötzliche Abreise von
der großen Armee nach dem unglücklichen russischen Feldzug, der seine
Siegeslorbeern vermehrt, an sein späteres schwankendes Verhalten, an
seine Unterhandlungen mit Lord Bentink, an sein Bündniß mit
Oesterreich gegen Frankreich und an seinen Vertrag mit England.
Seine gescheiterten Versuche zur Herstellung eines einigen Jtaliens,
sein letzter unglückseliger Krieg gegen Oesterreich, der alle seine Hoff-
nungen und Erwartungen zu Schanden werden ließ, standen vor
seinem geistigen Auge. Und nun wollte er vor den Mann hin-
treten, an dem er, aus unkluger Berechnung der Verhältnisse, so un-
dankbar gehandelt, um ihm seine Dienste anzubieten, um bei ihm
gastliche Aufnahme, Hülfe und Trost zu finden. Das machte Murat
unschlüssig, er reiste nach Toulon und schrieb von hier aus an den
Minister Fouché, seinen Freund aus glücklichen Tagen:

„Sie kennen die Gründe und Umstände des Krieges in Jtalien;
nun ich in Frankreich bin, biete ich dem Kaiser meinen Arm an
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Spanien2" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0005" n="357"/><fw type="pageNum" place="top">357</fw><cb type="start"/>
widriger Verordnungen traf und das Militärregiment wieder einmal<lb/>
in voller Blüthe stand, da machte Marschall Serrano, Präsident des<lb/>
Senats, der Königin energische Vorstellungen gegen dieses Treiben.<lb/>
Doch nicht die Königin, sondern Narvaez hatte die Macht in Hän-<lb/>
den; sie vermochte den einstigen Günstling nicht zu schützen. Auf<lb/>
Befehl von Narvaez wurde Serrano am 30. Dezember 1866 ver-<lb/>
haftet und nach den kanarischen Jnseln verbannt. Hier hat er bis<lb/>
zum Ausbruch der gegenwärtigen Bewegung gelebt, und allem An-<lb/>
schein nach die Fäden der Ereignisse in Spanien geschickt in der Hand<lb/>
gehabt. Jst die jetzige Revolution in ihrer Anordnung und Aus-<lb/>
führung sein Werk, so muß man zugestehen, daß er Klugheit und<lb/>
Energie auf das Beste zu vereinigen weiß. Doch die Hauptprobe,<lb/>
durch die er sich zu bewähren hat, werden die nächsten Monate, in<lb/>
denen das Schicksal Spaniens entschieden werden soll, herbeiführen<lb/>
müssen</p><lb/>
        <p>Die liberale Union zählt, wie bereits bemerkt, unter den Generalen<lb/>
und höheren Staatsbeamten nicht wenige Anhänger, und der Einfluß<lb/>
dieser Partei auf den weiteren Verlauf der Revolution darf somit<lb/>
als ein sehr erheblicher angesehen werden, auch haben sie bis jetzt<lb/>
äußerst geschickt operirt und es durchzusetzen gewußt, daß die Ab-<lb/>
neigung, von welcher sonst die Anhänger des sogenannten <hi rendition="#aq">Juste milieu</hi><lb/>
leicht beiderseitig heimgesucht werden, ihnen bis jetzt erspart ge-<lb/>
blieben ist.</p><lb/>
        <p>Wir schließen unsere Betrachtung der Parteien, indem wir noch<lb/>
einen Blick auf die <hi rendition="#g">Demokraten</hi> werfen. Erst seit 1848 besteht<lb/>
eine Partei, die sich als die demokratische bezeichnet. Entstanden in<lb/>
den Fabrikdistrikten des Landes, hatten ihre Doktrinen von vornherein<lb/>
einen starken sozialistischen Beigeschmack. Barcelona ist der Mittel-<lb/>
punkt dieser Partei, und es ist nicht ohne Bedeutung, daß grade diese<lb/>
Stadt noch immer säumt, die revolutionäre Junta aufzulösen und sich<lb/>
völlig der provisorischen Regierung zur Verfügung zu stellen. Jm<lb/>
Laufe der Zeit wurde die sozialistische Färbung der demokratischen<lb/>
Partei etwas matter, indem man anfing, den politischen und national-<lb/>
ökonomischen Fragen näher zu treten und gewissermaßen einen prakti-<lb/>
schen Republikanismus zu kultiviren. Die Partei ist gut organisirt<lb/>
und hat namentlich in den Städten einen starken Anhang; doch kom-<lb/>
men hier vor Allem die baskischen Provinzen, Catalonien und Ara-<lb/>
gonien in Betracht; in Südspanien, die Provinz Granada etwa aus-<lb/>
genommen, haben sie noch keinen festen Fuß gefaßt. Jn den politi-<lb/>
schen Körperschaften des Landes konnten sie sich bis jetzt nur wenig<lb/>
geltend machen, da sie bei dem hohen Zensus, welchen die spanische<lb/>
Verfassung für das Wahlrecht festsetzt, zum größten Theil aus Nicht-<lb/>
wählern bestanden; die Anzahl der demokratischen Abgeordneten für<lb/>
die Cortes ist deßhalb nur eine sehr geringe. Desto kräftiger aber<lb/>
werden sie in der Presse repräsentirt. Jhre beiden Hauptvertreter<lb/>
sind <hi rendition="#g">Rivero</hi> und <hi rendition="#g">Emilio Castelar;</hi> ersterer, gegenwärtig Bürger-<lb/>
meister von Madrid, vertritt mehr die sozialistischen Tendenzen; dieser,<lb/>
bis vor einigen Jahren Professor der Literatur und alten Sprachen<lb/>
an der Universität von Madrid und eben jetzt aus der Verbannung<lb/>
in die Heimath zurückgekehrt, ist vorwiegend Politiker; Beide aber<lb/>
sind geist= und talentvolle Männer und werden von ihrer Partei ver-<lb/>
göttert; namentlich Emilio Castelar scheint berufen, noch eine große<lb/>
Rolle in der jetzigen Entwicklung Spaniens zu spielen. Jn seiner<lb/>
Wirksamkeit als Universitätslehrer hatte er einen gewaltigen Einfluß<lb/>
auf die jüngere Generation der gebildeten Stände in der Hauptstadt<lb/>
geübt, und diese jungen Männer bilden jetzt den Kern seines täglich<lb/>
wachsenden Anhangs. Er hat sich bei seiner Heimkehr mit Enthu-<lb/>
siasmus für die Republik ausgesprochen; ihm wird ohne Zweifel bei<lb/>
dem herannahenden Entscheidungskampf die Führung der republika-<lb/>
nischen Partei zufallen. Die Aussichten auf den Sieg sind dabei nicht<lb/>
grade groß, denn Serrano wie Prim haben sich bereits für die Be-<lb/>
gründung einer neuen, natürlich beschränkten Monarchie ausgesprochen,<lb/>
und trotzdem sie erklärt haben, auch die Republik acceptiren zu wollen,<lb/>
wenn der Wille der Nation sie fordere, so ist es doch wohl mehr als<lb/>
wahrscheinlich, daß in Spanien ein neues Königthum erstehen wird, und<lb/>
auch die Demokraten werden, wie sie bereits durch einige ihrer Führer<lb/>
verkündigen ließen, dieser Forderung der nationalen Souveränität, so-<lb/>
bald sie durch den Mund der berufenen Vertreter feststeht, sich fügen.<lb/>
Heißer freilich wird sich der Kampf gestalten, wenn es gilt, die neuen<lb/>
Jnstitutionen festzustellen, nach denen Spanien fortan sein politisches<lb/>
Leben regeln soll. Jn der gegenwärtigen provisorischen Regierung<lb/>
sind alle liberalen Parteien vertreten, und sie haben aufrichtig zu-<lb/>
sammengestanden, so lange es sich um das Niederreißen handelte; das<lb/>
wird anders werden, wenn es an's Aufbauen geht. Hoffen und ver-<lb/>
trauen wir, daß dann der gute Genius des Volks über dem Streit<lb/>
der Parteien schwebt. Eine Wahrnehmung vor Allem ist es, welche<lb/>
uns in dem Glauben bestärkt, daß das vielgetäuschte Volk, dem es<lb/>
bisher bei seinen zahllosen Revolutionen nicht gelingen wollte, einen<lb/>
normalen Zustand politischer Ruhe und Sicherheit zu erlangen, dies-<lb/>
mal endlich eine Grundlage politischen Gedeihens sich sichern wird.<lb/>
Seit einigen dreißig Jahren, also seit einem Menschenalter erst, giebt<lb/><cb n="2"/>
es in Spanien wirkliche Volksschulen; während bis dahin nur Mönche,<lb/>
Priester, Schreiber und andere wenig gebildete Personen gelegentlich<lb/>
Elementar=Unterricht ertheilten und die allergrößte Masse des Volkes<lb/>
in Unwissenheit aufwuchs, als ein unweigerlich gehorsames Werkzeug<lb/>
in den Händen der Geistlichkeit. Seit 1845 hat sich die Anzahl der<lb/>
Schüler in den Volksschulen mehr als verdoppelt, und eine andere<lb/>
Generation von Menschen ist in Spanien groß geworden. So findet<lb/>
diese Bewegung eine andere, eine intelligentere und thatkräftigere<lb/>
Stütze im Volke, als irgend eine der vorangegangenen Revolutionen.<lb/>
Und während man früher bei allen Gewaltausbrüchen gegen die Ueber-<lb/>
griffe der Geistlichkeit doch nie den Gedanken der konfessionellen Gleich-<lb/>
berechtigung zu fassen vermochte und bis auf unsere Tage die Aus-<lb/>
übung eines andern Bekenntnisses, als des katholischen, mit empfind-<lb/>
licher Strafe bedroht war, so ist heut die Freiheit des Kultus ein<lb/>
kräftiger Feldruf der Revolution geworden, die in der gestiegenen<lb/>
Bildung des Volkes einen mächtigen Bundesgenossen findet. Noch<lb/>
fehlt viel, um Spanien hinsichtlich der geistigen Kultur den meisten<lb/>
übrigen Nationen Europa's gleichzustellen, doch der Weg ist geöffnet<lb/>
und das spanische Volk wird ihn sich nicht wieder verschließen lassen.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div xml:id="Tage2" type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Die letzten Tage und das Ende eines Königs.</hi><lb/>
          <ref target="nn_sonntagsblatt44_1868#Tage1">( Fortsetzung. )</ref>
        </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">A</hi>uf Jschia verweilte er einen Tag, vergeblich auf günstige Nach-<lb/>
richten harrend. Hier versammelte sich ein kleines Gefolge von Hof-<lb/>
leuten und Dienern um Murat, die ihm Nachrichten aus Neapel<lb/>
brachten, von dem Wankelmuth und dem Aufstand der großen Masse,<lb/>
welche die einziehenden Bourbonen jubelnd begrüßt, und von der un-<lb/>
gehinderten Abreise seiner Familie auf einem englischen Schiff. Dies<lb/>
beruhigte Murat, er behielt einen Theil der Hofleute und Diener bei<lb/>
sich, miethete ein Schiff zur Ueberfahrt nach Frankreich und schiffte<lb/>
sich still und geräuschlos ein. Er verbrachte seine meiste Zeit auf<lb/>
dem Verdeck, sehnsüchtig in die Ferne schauend. Jn dem Meerbusen<lb/>
von Ga<hi rendition="#aq">ë</hi>ta angekommen, verklärte sich sein Blick, denn von den Zin-<lb/>
nen der Festung wehte stolz sein Banner.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sehen Sie dort, meine Herren!&#x201C; rief er seiner Umgebung zu.<lb/>
&#x201E;Dort winkt uns das Vaterland! Leisten wir diesem Wink Folge!<lb/>
Dort finden wir Schutz und Freunde! Vorwärts nach Ga<hi rendition="#aq">ë</hi>ta! Und<lb/>
sollte ich den Kampf der Verzweiflung kämpfen, so will ich doch<lb/>
kämpfen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ungestüm befahl Murat, den Lauf des Schiffes nach Ga<hi rendition="#aq">ë</hi>ta zu<lb/>
richten; aber der Hafeneingang war durch englische Schiffe verschlossen,<lb/>
und so mußte er, Groll und Betrübniß im Herzen, seine Fahrt nach<lb/>
Frankreich fortsetzen. Am 28. Mai erreichte das Fahrzeug bei Frejus<lb/>
die französische Küste, und Murat landete an derselben Stelle, an<lb/>
welcher zwei Monate früher der Gefangene von Elba den Boden<lb/>
Frankreichs betreten hatte, um auf den Thron Frankreichs zurück-<lb/>
zukehren. Als Murat den französischen Boden betrat, erwachte eine<lb/>
Fülle von Erinnerungen in seiner Brust. Dieser Boden war ja<lb/>
Zeuge der ersten glänzenden Kriegsthaten, die er im Dienst der Frei-<lb/>
heit verrichtet, der Beschwerden, die er für denselben ertragen, ge-<lb/>
wesen. Hier hatte ihn das Glück auf seine Schwingen genommen;<lb/>
von Stufe zu Stufe auf der Leiter des Ruhms emporsteigend, an<lb/>
der Seite des Helden des Jahrhunderts, von diesem mit der Hand<lb/>
seiner liebenswürdigen Schwester Carolina beglückt und beehrt, war<lb/>
es ihm vergönnt gewesen, auch die letzte Sprosse zu erklimmen und<lb/>
König eines der schönsten Königreiche Europa's zu werden. Von der<lb/>
niederen Hütte in Cahors, aus welcher er einst als begeisterungs-<lb/>
trunkener Jüngling hinaus gezogen, um für die Freiheit zu kämpfen,<lb/>
bis auf den glänzenden Königsthron von Neapel! Es waren in der<lb/>
That Erinnerungen berauschender Art, die sein Herz hochschlagen<lb/>
ließen. Freilich tauchten auch minder freundliche Bilder trübend zwi-<lb/>
schen den glänzenden empor. Er dachte an seine plötzliche Abreise von<lb/>
der großen Armee nach dem unglücklichen russischen Feldzug, der seine<lb/>
Siegeslorbeern vermehrt, an sein späteres schwankendes Verhalten, an<lb/>
seine Unterhandlungen mit Lord Bentink, an sein Bündniß mit<lb/>
Oesterreich gegen Frankreich und an seinen Vertrag mit England.<lb/>
Seine gescheiterten Versuche zur Herstellung eines einigen Jtaliens,<lb/>
sein letzter unglückseliger Krieg gegen Oesterreich, der alle seine Hoff-<lb/>
nungen und Erwartungen zu Schanden werden ließ, standen vor<lb/>
seinem geistigen Auge. Und nun wollte er vor den Mann hin-<lb/>
treten, an dem er, aus unkluger Berechnung der Verhältnisse, so un-<lb/>
dankbar gehandelt, um ihm seine Dienste anzubieten, um bei ihm<lb/>
gastliche Aufnahme, Hülfe und Trost zu finden. Das machte Murat<lb/>
unschlüssig, er reiste nach Toulon und schrieb von hier aus an den<lb/>
Minister Fouch<hi rendition="#aq">é</hi>, seinen Freund aus glücklichen Tagen:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie kennen die Gründe und Umstände des Krieges in Jtalien;<lb/>
nun ich in Frankreich bin, biete ich dem Kaiser meinen Arm an<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0005] 357 widriger Verordnungen traf und das Militärregiment wieder einmal in voller Blüthe stand, da machte Marschall Serrano, Präsident des Senats, der Königin energische Vorstellungen gegen dieses Treiben. Doch nicht die Königin, sondern Narvaez hatte die Macht in Hän- den; sie vermochte den einstigen Günstling nicht zu schützen. Auf Befehl von Narvaez wurde Serrano am 30. Dezember 1866 ver- haftet und nach den kanarischen Jnseln verbannt. Hier hat er bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Bewegung gelebt, und allem An- schein nach die Fäden der Ereignisse in Spanien geschickt in der Hand gehabt. Jst die jetzige Revolution in ihrer Anordnung und Aus- führung sein Werk, so muß man zugestehen, daß er Klugheit und Energie auf das Beste zu vereinigen weiß. Doch die Hauptprobe, durch die er sich zu bewähren hat, werden die nächsten Monate, in denen das Schicksal Spaniens entschieden werden soll, herbeiführen müssen Die liberale Union zählt, wie bereits bemerkt, unter den Generalen und höheren Staatsbeamten nicht wenige Anhänger, und der Einfluß dieser Partei auf den weiteren Verlauf der Revolution darf somit als ein sehr erheblicher angesehen werden, auch haben sie bis jetzt äußerst geschickt operirt und es durchzusetzen gewußt, daß die Ab- neigung, von welcher sonst die Anhänger des sogenannten Juste milieu leicht beiderseitig heimgesucht werden, ihnen bis jetzt erspart ge- blieben ist. Wir schließen unsere Betrachtung der Parteien, indem wir noch einen Blick auf die Demokraten werfen. Erst seit 1848 besteht eine Partei, die sich als die demokratische bezeichnet. Entstanden in den Fabrikdistrikten des Landes, hatten ihre Doktrinen von vornherein einen starken sozialistischen Beigeschmack. Barcelona ist der Mittel- punkt dieser Partei, und es ist nicht ohne Bedeutung, daß grade diese Stadt noch immer säumt, die revolutionäre Junta aufzulösen und sich völlig der provisorischen Regierung zur Verfügung zu stellen. Jm Laufe der Zeit wurde die sozialistische Färbung der demokratischen Partei etwas matter, indem man anfing, den politischen und national- ökonomischen Fragen näher zu treten und gewissermaßen einen prakti- schen Republikanismus zu kultiviren. Die Partei ist gut organisirt und hat namentlich in den Städten einen starken Anhang; doch kom- men hier vor Allem die baskischen Provinzen, Catalonien und Ara- gonien in Betracht; in Südspanien, die Provinz Granada etwa aus- genommen, haben sie noch keinen festen Fuß gefaßt. Jn den politi- schen Körperschaften des Landes konnten sie sich bis jetzt nur wenig geltend machen, da sie bei dem hohen Zensus, welchen die spanische Verfassung für das Wahlrecht festsetzt, zum größten Theil aus Nicht- wählern bestanden; die Anzahl der demokratischen Abgeordneten für die Cortes ist deßhalb nur eine sehr geringe. Desto kräftiger aber werden sie in der Presse repräsentirt. Jhre beiden Hauptvertreter sind Rivero und Emilio Castelar; ersterer, gegenwärtig Bürger- meister von Madrid, vertritt mehr die sozialistischen Tendenzen; dieser, bis vor einigen Jahren Professor der Literatur und alten Sprachen an der Universität von Madrid und eben jetzt aus der Verbannung in die Heimath zurückgekehrt, ist vorwiegend Politiker; Beide aber sind geist= und talentvolle Männer und werden von ihrer Partei ver- göttert; namentlich Emilio Castelar scheint berufen, noch eine große Rolle in der jetzigen Entwicklung Spaniens zu spielen. Jn seiner Wirksamkeit als Universitätslehrer hatte er einen gewaltigen Einfluß auf die jüngere Generation der gebildeten Stände in der Hauptstadt geübt, und diese jungen Männer bilden jetzt den Kern seines täglich wachsenden Anhangs. Er hat sich bei seiner Heimkehr mit Enthu- siasmus für die Republik ausgesprochen; ihm wird ohne Zweifel bei dem herannahenden Entscheidungskampf die Führung der republika- nischen Partei zufallen. Die Aussichten auf den Sieg sind dabei nicht grade groß, denn Serrano wie Prim haben sich bereits für die Be- gründung einer neuen, natürlich beschränkten Monarchie ausgesprochen, und trotzdem sie erklärt haben, auch die Republik acceptiren zu wollen, wenn der Wille der Nation sie fordere, so ist es doch wohl mehr als wahrscheinlich, daß in Spanien ein neues Königthum erstehen wird, und auch die Demokraten werden, wie sie bereits durch einige ihrer Führer verkündigen ließen, dieser Forderung der nationalen Souveränität, so- bald sie durch den Mund der berufenen Vertreter feststeht, sich fügen. Heißer freilich wird sich der Kampf gestalten, wenn es gilt, die neuen Jnstitutionen festzustellen, nach denen Spanien fortan sein politisches Leben regeln soll. Jn der gegenwärtigen provisorischen Regierung sind alle liberalen Parteien vertreten, und sie haben aufrichtig zu- sammengestanden, so lange es sich um das Niederreißen handelte; das wird anders werden, wenn es an's Aufbauen geht. Hoffen und ver- trauen wir, daß dann der gute Genius des Volks über dem Streit der Parteien schwebt. Eine Wahrnehmung vor Allem ist es, welche uns in dem Glauben bestärkt, daß das vielgetäuschte Volk, dem es bisher bei seinen zahllosen Revolutionen nicht gelingen wollte, einen normalen Zustand politischer Ruhe und Sicherheit zu erlangen, dies- mal endlich eine Grundlage politischen Gedeihens sich sichern wird. Seit einigen dreißig Jahren, also seit einem Menschenalter erst, giebt es in Spanien wirkliche Volksschulen; während bis dahin nur Mönche, Priester, Schreiber und andere wenig gebildete Personen gelegentlich Elementar=Unterricht ertheilten und die allergrößte Masse des Volkes in Unwissenheit aufwuchs, als ein unweigerlich gehorsames Werkzeug in den Händen der Geistlichkeit. Seit 1845 hat sich die Anzahl der Schüler in den Volksschulen mehr als verdoppelt, und eine andere Generation von Menschen ist in Spanien groß geworden. So findet diese Bewegung eine andere, eine intelligentere und thatkräftigere Stütze im Volke, als irgend eine der vorangegangenen Revolutionen. Und während man früher bei allen Gewaltausbrüchen gegen die Ueber- griffe der Geistlichkeit doch nie den Gedanken der konfessionellen Gleich- berechtigung zu fassen vermochte und bis auf unsere Tage die Aus- übung eines andern Bekenntnisses, als des katholischen, mit empfind- licher Strafe bedroht war, so ist heut die Freiheit des Kultus ein kräftiger Feldruf der Revolution geworden, die in der gestiegenen Bildung des Volkes einen mächtigen Bundesgenossen findet. Noch fehlt viel, um Spanien hinsichtlich der geistigen Kultur den meisten übrigen Nationen Europa's gleichzustellen, doch der Weg ist geöffnet und das spanische Volk wird ihn sich nicht wieder verschließen lassen. Die letzten Tage und das Ende eines Königs. ( Fortsetzung. ) Auf Jschia verweilte er einen Tag, vergeblich auf günstige Nach- richten harrend. Hier versammelte sich ein kleines Gefolge von Hof- leuten und Dienern um Murat, die ihm Nachrichten aus Neapel brachten, von dem Wankelmuth und dem Aufstand der großen Masse, welche die einziehenden Bourbonen jubelnd begrüßt, und von der un- gehinderten Abreise seiner Familie auf einem englischen Schiff. Dies beruhigte Murat, er behielt einen Theil der Hofleute und Diener bei sich, miethete ein Schiff zur Ueberfahrt nach Frankreich und schiffte sich still und geräuschlos ein. Er verbrachte seine meiste Zeit auf dem Verdeck, sehnsüchtig in die Ferne schauend. Jn dem Meerbusen von Gaëta angekommen, verklärte sich sein Blick, denn von den Zin- nen der Festung wehte stolz sein Banner. „Sehen Sie dort, meine Herren!“ rief er seiner Umgebung zu. „Dort winkt uns das Vaterland! Leisten wir diesem Wink Folge! Dort finden wir Schutz und Freunde! Vorwärts nach Gaëta! Und sollte ich den Kampf der Verzweiflung kämpfen, so will ich doch kämpfen!“ Ungestüm befahl Murat, den Lauf des Schiffes nach Gaëta zu richten; aber der Hafeneingang war durch englische Schiffe verschlossen, und so mußte er, Groll und Betrübniß im Herzen, seine Fahrt nach Frankreich fortsetzen. Am 28. Mai erreichte das Fahrzeug bei Frejus die französische Küste, und Murat landete an derselben Stelle, an welcher zwei Monate früher der Gefangene von Elba den Boden Frankreichs betreten hatte, um auf den Thron Frankreichs zurück- zukehren. Als Murat den französischen Boden betrat, erwachte eine Fülle von Erinnerungen in seiner Brust. Dieser Boden war ja Zeuge der ersten glänzenden Kriegsthaten, die er im Dienst der Frei- heit verrichtet, der Beschwerden, die er für denselben ertragen, ge- wesen. Hier hatte ihn das Glück auf seine Schwingen genommen; von Stufe zu Stufe auf der Leiter des Ruhms emporsteigend, an der Seite des Helden des Jahrhunderts, von diesem mit der Hand seiner liebenswürdigen Schwester Carolina beglückt und beehrt, war es ihm vergönnt gewesen, auch die letzte Sprosse zu erklimmen und König eines der schönsten Königreiche Europa's zu werden. Von der niederen Hütte in Cahors, aus welcher er einst als begeisterungs- trunkener Jüngling hinaus gezogen, um für die Freiheit zu kämpfen, bis auf den glänzenden Königsthron von Neapel! Es waren in der That Erinnerungen berauschender Art, die sein Herz hochschlagen ließen. Freilich tauchten auch minder freundliche Bilder trübend zwi- schen den glänzenden empor. Er dachte an seine plötzliche Abreise von der großen Armee nach dem unglücklichen russischen Feldzug, der seine Siegeslorbeern vermehrt, an sein späteres schwankendes Verhalten, an seine Unterhandlungen mit Lord Bentink, an sein Bündniß mit Oesterreich gegen Frankreich und an seinen Vertrag mit England. Seine gescheiterten Versuche zur Herstellung eines einigen Jtaliens, sein letzter unglückseliger Krieg gegen Oesterreich, der alle seine Hoff- nungen und Erwartungen zu Schanden werden ließ, standen vor seinem geistigen Auge. Und nun wollte er vor den Mann hin- treten, an dem er, aus unkluger Berechnung der Verhältnisse, so un- dankbar gehandelt, um ihm seine Dienste anzubieten, um bei ihm gastliche Aufnahme, Hülfe und Trost zu finden. Das machte Murat unschlüssig, er reiste nach Toulon und schrieb von hier aus an den Minister Fouché, seinen Freund aus glücklichen Tagen: „Sie kennen die Gründe und Umstände des Krieges in Jtalien; nun ich in Frankreich bin, biete ich dem Kaiser meinen Arm an

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt45_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt45_1868/5
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 45. Berlin, 8. November 1868, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt45_1868/5>, abgerufen am 01.06.2024.