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Sonntags-Blatt. Nr. 45. Berlin, 8. November 1868.

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[Beginn Spaltensatz] und vertraue, daß es dem Himmel gefallen werde, das Unglück
des Königs durch das Glück des Feldherrn einzulösen."

Fouch e zeigte den Brief Napoleon, aber dieser hatte das Ver-
trauen zu Murat verloren.

"Welchen Vertrag habe ich, seit dem Kriege von 1814, mit dem
König von Neapel abgeschlossen?" fragte er, und in dieser Frage lag
gleichzeitig die Ahndung der ihm von Murat widerfahrenen Unbill.
Vielleicht wäre Napoleon Murat's glänzendes Feldherrntalent von
Nutzen gewesen, aber sein Mißtrauen überwog und er gedachte seines
Schwagers mit keiner Silbe mehr.

Murat blieb in Toulon, eine Sinnesänderung Napoleons zu
seinen Gunsten hoffend und erwartend. Seine Freigebigkeit und seine
sonstigen guten Eigenschaften erwarben ihm Zuneigung, auch gedachte
man der Kriegsthaten, die Murat für Frankreich gethan, und zollte
ihm Verehrung. Doch begann die träge Ruhe Murat bereits lästig
zu werden, als die Kunde von der verlorenen Schlacht bei Waterloo
und der Flucht Napoleon's nach Toulon gelangten. Was sollte Murat
nun beginnen? Der Süden Frankreichs erhob sich zu Gunsten der
Bourbonen; Toulon, Nimes und Marseille sahen Scenen des Ent-
setzens. Die Protestantenhetze begann, die Anhänger des Kaiserthums
wurden von fanatisirten blutdürstigen Horden ermordet. Murat war
genöthigt, sich zu verbergen, bis das erste Wetter der Reaktion aus-
getobt. Er fand auch einen sichern Ort, von dem aus er an Fouch e
der nach Napoleon's Sturz Minister bei Ludwig XVIII. geworden
und bei der gesammten europäischen Diplomatie in Ansehn stand, ein
Schreiben richtete. Jn diesem Schreiben bat er um einen Paß nach
England. Er wollte dort als einfacher Privatmann leben. Auch
überwog momentan die Sehnsucht nach seiner Familie seinen Ehrgeiz.
Ein Schreiben ähnlichen Jnhalts richtete er an einen seiner ehemaligen
Ordonnanz=Offiziere, den sich zur Zeit in Paris aufhaltenden Jtaliener
Maceroni, einen Mann von erprobtem ehrenhaftem Charakter, der
nicht ohne Einfluß bei mehreren der alliirten Monarchen war. Fouch e
zog es vor, gar nicht zu antworten; Maceroni, der sich für Murat
verwendete, war der französischen Polizei verdächtig geworden, die ihn
verhaftete. Dadurch wurde Murat's Lage von Tag zu Tag ver-
hängnißvoller. Das bourbonistische Mordgesindel Toulons, welches
Kunde von seiner Anwesenheit erhalten, spürte ihm rachgierig nach,
um ihm das Schicksal des unglücklichen Marschalls Brune zu bereiten;
der Marquis von Riviere, den Murat einst vom Schaffot gerettet und
dessen Beistand er angerufen, lohnte ihm mit dem schwärzesten Undank.
Kaum konnte der arme König, ohne Furcht vor Gefahr, frei auf-
zuathmen wagen.

Jn dieser Bedrängniß schrieb Murat an Ludwig XVIII. einen
rührenden Brief, wie ihn eben ein edelsinniger flüchtiger König schrei-
ben kann. Der Brief enthielt keine Klage, aber auch kein Datum.
"Aus meines Kerkers finsterer Tiefe" war die einzige Bezeichnung,
denn Murat wollte weder seine Zufluchtsstätte verrathen, noch lügen.
Diesen Brief sandte der König mit einem Begleitschreiben wiederum
an Fouch e, aber weder Ludwig noch Fouch e antworteten. Da be-
schloß Murat in einem Anfall von Verzweiflung, selbst nach Paris
zu gehen, um sein Schicksal in die Hände der verbündeten Monarchen
zu legen. Die Meisten kannten ihn, von Einigen hatte er Pfänder
der Freundschaft erhalten, Alle zollten seinen Feldherrntalenten Achtung.
Deshalb hoffte er, edle Aufnahme und Rettung aus so bedrängter
Lage zu finden. Da er jedoch die Reise zu Lande nicht wagen konnte,
der ihm überall drohenden Gefahren wegen, so miethete er ein Fahr-
zeug nach Havre, von wo aus er Paris ungehindert zu erreichen ge-
dachte. Zur Einschiffung bezeichnete er eine entlegene Stelle am
Strande und wählte dazu eine dunkle Nacht. Ob es nun aber Jrr-
thum, Zufall oder böse Absicht war, das Fahrzeug harrte an einer
ganz anderen Stelle, die das Dunkel der Nacht dem spähenden Blicke
des Königs verbarg; da er es nicht wagen durfte, einen Ruf aus-
zustoßen, so schlich er scheu und vorsichtig suchend am Strande hin,
bis der Morgen heraufdämmerte, der ihn zwang, zwischen Büschen
und Weingärten ein Versteck zu suchen. Glücklicherweise gelang es
Murat, den Nachstellungen zu entgehen und einen Zufluchtsort zu
finden, an dem er sich so lange verborgen halten konnte, bis er, durch
Vermittlung einiger Freunde, gegen guten Lohn Aufnahme auf einem
kleinen, nach Korsika segelnden Schiffe gefunden hatte. Sicher hätte
sich sein Schicksal günstiger gestaltet, wenn es ihm gelungen wäre,
Paris zu erreichen, aber es war, als ob ein unglückliches Fatum über
Murat waltete. Das sanguinische Temperament des Königs ließ ihn
in Korsika ein Eldorado sehen, auf welchem er seine glänzendsten
Zukunftspläne ihrer Verwirklichung naheführen könnte. Dort war ja
die Heimath der Napoleoniden, dort lebte ja ein leicht begeistertes,
kühnes und tapferes Volk. Zwei Tage ging die Seefahrt trefflich
von Statten, dann erhob sich plötzlich ein heftiger Sturm, der, dreißig
Stunden wüthend, das kleine Fahrzeug zum Spielball der Wogen
machte. Als endlich der Sturm nachließ, vermochte das leck gewor-
dene Fahrzeug der hochgehenden See nicht mehr zu widerstehen und
drohte jeden Augenblick zu sinken. Da gewahrte man ein großes,
[Spaltenumbruch] nach Frankreich segelndes Schiff und rief es an. Als dies heran kam,
bot einer von Murat's Begleitern einen hohen Lohn, wenn man sie
aufnehmen und zurück nach Korsika bringen wollte, aber man hatte
Murat erkannt, wies aus Furcht hartherzig alle Bitten und An-
erbietungen ab, und überließ die Mannschaft des immer lecker werden-
den Fahrzeuges gleichgültig ihrem Schicksal. Diese war auch auf
das Aeußerste gefaßt, als man dem zwischen Frankreich und Korsika
segelnden Postschiffe begegnete. Von diesem aus hatte man bereits
die Noth der Bemannung des sinkenden Fahrzeuges erblickt und eilte
zur Rettung herbei. Unbekümmert um die ihn daraus möglicher-
weise erwachsende Gefahr, rief Murat den Heransegelnden mit lauter
Stimme zu: "Jch bin Joachim Murat, König von Neapel! Ein
Franzose, rede ich zu Franzosen! Dem Schiffbruche nahe, verlange ich
Hülfe von denen, die außer Gefahr sind!"

Ein jubelnder Zuruf war die Antwort; freudig nahm man ihn
mit seinen Begleitern auf und erwies ihm die höchste Achtung. Da
belebte sich seine Hoffnung auf's Neue, denn solcher Gefahr zu ent-
rinnen, hielt er für höhere Schickung. Den andern Tag landete das
Schiff zu Bastia. Korsika war von bürgerlichen Spaltungen und
politischen Faktionen zerrissen. Den Bourbonisten standen die Bo-
napartisten und Jndependenten gegenüber; die beiden letzteren Par-
teien bildeten die Majorität und empfingen Murat mit Enthusiasmus
und jubelndem Vertrauen. Das war für die Behörden der Jnsel
ein Grund, Murat mit argwöhnischen Augen zu überwachen. Er
wurde gewarnt, und begab sich über Vescovado nach Ajaccio, um
dort Sicherheit zu finden; aber er wurde bereits verfolgt und würde
auch der Gefangenschaft nicht entgangen sein, wenn ihn nicht seine
Anhänger, die eine Leibwache um ihn bildeten, mit bewaffneter Hand
beschützt hätten. Sein Anhang wuchs von Tag zu Tag; man
erzeigte ihm königliche Ehren und begrüßte ihn jubelnd, wo er sich
nur zeigte, und so durfte er sich noch einmal im Glanze einer Macht
sonnen, die allerdings eine chimärische war. Darüber vergaß er die
ausgestandenen Gefahren und wiegte sich in Täuschung.

"Wohlan", sagte er zu seiner Umgebung, "wenn fremde Völker
mir also begegnen und für mich sind, denen ich weder durch That
noch Wort gedient, was werden erst die Neapolitaner thun, denen ich
so vieles Gute erwiesen. Jch nehme diese Vorzeichen als günstige
für meine Unternehmungen auf."

( Fortsetzung folgt. )



Das mächtigste "Kohl" der Welt.
Von
Bernhard Jahn.

Schlesien ohne Riesengebirge, ohne den schroffen, wilden Höhenwald zu
denken, wäre jedem Touristen eine Unmöglichkeit. Bleibe er dabei, so
lange sein Herz, sein Geist und seine Augen daran Genüge finden, ein
Stück herrlicher Natur nach dem andern anzustaunen. Sind die Sinne
aber übersättigt von Himmelsblau und von Blättergrün, will der Ver-
stand wieder voll beschäftigt werden, dann giebt's noch ein Stück
Schlesien ohne Riesengebirge, dann ist's noch werth, Oberschlesien
zu durchwandern. Freilich erschaut man dort oft statt des Himmelszeltes
weite, weite Strecken hinaus nur ein schwarzgraues Dach aus Kohlen-
dunst, statt der anzuklimmenden Pfade an Quellen entlang, durch Vogel-
gezwitscher und Blättergespräch hindurch, nur Chausseen und Feldstraßen,
deren einzige Unterhaltung das Toben und Schreien und Knarren von
Maschinen ist. Aber Eines ist zu blicken, was das Riesengebirge nicht
bietet; das sind die Tausende von Männern, mit dem bekannten Leder be-
kleidet, die noch an Gnomen und Zwerge glauben, die aus dem Bereiche
dieser Geister Erze und Gesteine und die Steinkohle herausfördern
und dann auf der Erde mächtige Feueröfen aufrichten, um in feuriger
Verbrüderung diesen Erdadern das nutzreiche Metall abzuzwingen. Ja,
dort in Oberschlesien ist's, wo die Bewohner in jahrtausender Blindheit
die Schätze der Natur unbeachtet gelassen, bis plötzlich unter dem großen
Friedrich sich Männer fanden, die sie aufdeckten, wenigstens in bescheidener
Weise aufdeckten. Kaum war 1796 zu Gleiwitz der erste Hochofen, den
überhaupt der Continent mit einer andern als Holzkohlenfeuerung arbeiten
sah, kaum, sagen wir, war er mit dem Erze und der Kohle einer Grube
Oberschlesiens beschickt, so entstand wohl an tausend Stellen dieses Erd-
striches ein Eindringen in den Boden, ein Durchwühlen desselben nach
Erz und Kohle, so erhoben sich über diesem Boden die mächtigen Oefen
und Essen, die das Herausgewühlte verarbeiteten. Woher jedoch kam
dieser, ohne Aufenthalt fortschreitende Aufschwung einer ganz neuen Jn-
dustrie in einem Lande, das in Knechtschaft und Elend lebende Kassuben
bewohnten? Nun, zwei Dinge, zwei Umstände wirkten hier zusammen.

Einmal hatte die Natur mit außerordentlicher Sorgfalt die Fossilien
geordnet, so aneinander und nebeneinander gelegt, daß nur ein Zugreifen
nöthig, um reiche Beute, gut zu verwerthende Beute zu erhalten. Der
andere Faktor aber war, daß dieser Landstrich sich Theil eines großen
Landes, des deutschen Landes, mit seinen intelligenten und durch Fleiß und
Ausdauer ausgezeichneten Bewohnern nennen durfte.

Die Natur hatte neben Erz die Steinkohle gelegt, gab damit Ober-
schlesien einen Vorzug vor so vielen anderen Orten, die entweder nur das
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] und vertraue, daß es dem Himmel gefallen werde, das Unglück
des Königs durch das Glück des Feldherrn einzulösen.“

Fouch é zeigte den Brief Napoleon, aber dieser hatte das Ver-
trauen zu Murat verloren.

„Welchen Vertrag habe ich, seit dem Kriege von 1814, mit dem
König von Neapel abgeschlossen?“ fragte er, und in dieser Frage lag
gleichzeitig die Ahndung der ihm von Murat widerfahrenen Unbill.
Vielleicht wäre Napoleon Murat's glänzendes Feldherrntalent von
Nutzen gewesen, aber sein Mißtrauen überwog und er gedachte seines
Schwagers mit keiner Silbe mehr.

Murat blieb in Toulon, eine Sinnesänderung Napoleons zu
seinen Gunsten hoffend und erwartend. Seine Freigebigkeit und seine
sonstigen guten Eigenschaften erwarben ihm Zuneigung, auch gedachte
man der Kriegsthaten, die Murat für Frankreich gethan, und zollte
ihm Verehrung. Doch begann die träge Ruhe Murat bereits lästig
zu werden, als die Kunde von der verlorenen Schlacht bei Waterloo
und der Flucht Napoleon's nach Toulon gelangten. Was sollte Murat
nun beginnen? Der Süden Frankreichs erhob sich zu Gunsten der
Bourbonen; Toulon, Nimes und Marseille sahen Scenen des Ent-
setzens. Die Protestantenhetze begann, die Anhänger des Kaiserthums
wurden von fanatisirten blutdürstigen Horden ermordet. Murat war
genöthigt, sich zu verbergen, bis das erste Wetter der Reaktion aus-
getobt. Er fand auch einen sichern Ort, von dem aus er an Fouch é
der nach Napoleon's Sturz Minister bei Ludwig XVIII. geworden
und bei der gesammten europäischen Diplomatie in Ansehn stand, ein
Schreiben richtete. Jn diesem Schreiben bat er um einen Paß nach
England. Er wollte dort als einfacher Privatmann leben. Auch
überwog momentan die Sehnsucht nach seiner Familie seinen Ehrgeiz.
Ein Schreiben ähnlichen Jnhalts richtete er an einen seiner ehemaligen
Ordonnanz=Offiziere, den sich zur Zeit in Paris aufhaltenden Jtaliener
Maceroni, einen Mann von erprobtem ehrenhaftem Charakter, der
nicht ohne Einfluß bei mehreren der alliirten Monarchen war. Fouch é
zog es vor, gar nicht zu antworten; Maceroni, der sich für Murat
verwendete, war der französischen Polizei verdächtig geworden, die ihn
verhaftete. Dadurch wurde Murat's Lage von Tag zu Tag ver-
hängnißvoller. Das bourbonistische Mordgesindel Toulons, welches
Kunde von seiner Anwesenheit erhalten, spürte ihm rachgierig nach,
um ihm das Schicksal des unglücklichen Marschalls Brune zu bereiten;
der Marquis von Riviere, den Murat einst vom Schaffot gerettet und
dessen Beistand er angerufen, lohnte ihm mit dem schwärzesten Undank.
Kaum konnte der arme König, ohne Furcht vor Gefahr, frei auf-
zuathmen wagen.

Jn dieser Bedrängniß schrieb Murat an Ludwig XVIII. einen
rührenden Brief, wie ihn eben ein edelsinniger flüchtiger König schrei-
ben kann. Der Brief enthielt keine Klage, aber auch kein Datum.
„Aus meines Kerkers finsterer Tiefe“ war die einzige Bezeichnung,
denn Murat wollte weder seine Zufluchtsstätte verrathen, noch lügen.
Diesen Brief sandte der König mit einem Begleitschreiben wiederum
an Fouch é, aber weder Ludwig noch Fouch é antworteten. Da be-
schloß Murat in einem Anfall von Verzweiflung, selbst nach Paris
zu gehen, um sein Schicksal in die Hände der verbündeten Monarchen
zu legen. Die Meisten kannten ihn, von Einigen hatte er Pfänder
der Freundschaft erhalten, Alle zollten seinen Feldherrntalenten Achtung.
Deshalb hoffte er, edle Aufnahme und Rettung aus so bedrängter
Lage zu finden. Da er jedoch die Reise zu Lande nicht wagen konnte,
der ihm überall drohenden Gefahren wegen, so miethete er ein Fahr-
zeug nach Havre, von wo aus er Paris ungehindert zu erreichen ge-
dachte. Zur Einschiffung bezeichnete er eine entlegene Stelle am
Strande und wählte dazu eine dunkle Nacht. Ob es nun aber Jrr-
thum, Zufall oder böse Absicht war, das Fahrzeug harrte an einer
ganz anderen Stelle, die das Dunkel der Nacht dem spähenden Blicke
des Königs verbarg; da er es nicht wagen durfte, einen Ruf aus-
zustoßen, so schlich er scheu und vorsichtig suchend am Strande hin,
bis der Morgen heraufdämmerte, der ihn zwang, zwischen Büschen
und Weingärten ein Versteck zu suchen. Glücklicherweise gelang es
Murat, den Nachstellungen zu entgehen und einen Zufluchtsort zu
finden, an dem er sich so lange verborgen halten konnte, bis er, durch
Vermittlung einiger Freunde, gegen guten Lohn Aufnahme auf einem
kleinen, nach Korsika segelnden Schiffe gefunden hatte. Sicher hätte
sich sein Schicksal günstiger gestaltet, wenn es ihm gelungen wäre,
Paris zu erreichen, aber es war, als ob ein unglückliches Fatum über
Murat waltete. Das sanguinische Temperament des Königs ließ ihn
in Korsika ein Eldorado sehen, auf welchem er seine glänzendsten
Zukunftspläne ihrer Verwirklichung naheführen könnte. Dort war ja
die Heimath der Napoleoniden, dort lebte ja ein leicht begeistertes,
kühnes und tapferes Volk. Zwei Tage ging die Seefahrt trefflich
von Statten, dann erhob sich plötzlich ein heftiger Sturm, der, dreißig
Stunden wüthend, das kleine Fahrzeug zum Spielball der Wogen
machte. Als endlich der Sturm nachließ, vermochte das leck gewor-
dene Fahrzeug der hochgehenden See nicht mehr zu widerstehen und
drohte jeden Augenblick zu sinken. Da gewahrte man ein großes,
[Spaltenumbruch] nach Frankreich segelndes Schiff und rief es an. Als dies heran kam,
bot einer von Murat's Begleitern einen hohen Lohn, wenn man sie
aufnehmen und zurück nach Korsika bringen wollte, aber man hatte
Murat erkannt, wies aus Furcht hartherzig alle Bitten und An-
erbietungen ab, und überließ die Mannschaft des immer lecker werden-
den Fahrzeuges gleichgültig ihrem Schicksal. Diese war auch auf
das Aeußerste gefaßt, als man dem zwischen Frankreich und Korsika
segelnden Postschiffe begegnete. Von diesem aus hatte man bereits
die Noth der Bemannung des sinkenden Fahrzeuges erblickt und eilte
zur Rettung herbei. Unbekümmert um die ihn daraus möglicher-
weise erwachsende Gefahr, rief Murat den Heransegelnden mit lauter
Stimme zu: „Jch bin Joachim Murat, König von Neapel! Ein
Franzose, rede ich zu Franzosen! Dem Schiffbruche nahe, verlange ich
Hülfe von denen, die außer Gefahr sind!“

Ein jubelnder Zuruf war die Antwort; freudig nahm man ihn
mit seinen Begleitern auf und erwies ihm die höchste Achtung. Da
belebte sich seine Hoffnung auf's Neue, denn solcher Gefahr zu ent-
rinnen, hielt er für höhere Schickung. Den andern Tag landete das
Schiff zu Bastia. Korsika war von bürgerlichen Spaltungen und
politischen Faktionen zerrissen. Den Bourbonisten standen die Bo-
napartisten und Jndependenten gegenüber; die beiden letzteren Par-
teien bildeten die Majorität und empfingen Murat mit Enthusiasmus
und jubelndem Vertrauen. Das war für die Behörden der Jnsel
ein Grund, Murat mit argwöhnischen Augen zu überwachen. Er
wurde gewarnt, und begab sich über Vescovado nach Ajaccio, um
dort Sicherheit zu finden; aber er wurde bereits verfolgt und würde
auch der Gefangenschaft nicht entgangen sein, wenn ihn nicht seine
Anhänger, die eine Leibwache um ihn bildeten, mit bewaffneter Hand
beschützt hätten. Sein Anhang wuchs von Tag zu Tag; man
erzeigte ihm königliche Ehren und begrüßte ihn jubelnd, wo er sich
nur zeigte, und so durfte er sich noch einmal im Glanze einer Macht
sonnen, die allerdings eine chimärische war. Darüber vergaß er die
ausgestandenen Gefahren und wiegte sich in Täuschung.

„Wohlan“, sagte er zu seiner Umgebung, „wenn fremde Völker
mir also begegnen und für mich sind, denen ich weder durch That
noch Wort gedient, was werden erst die Neapolitaner thun, denen ich
so vieles Gute erwiesen. Jch nehme diese Vorzeichen als günstige
für meine Unternehmungen auf.“

( Fortsetzung folgt. )



Das mächtigste „Kohl“ der Welt.
Von
Bernhard Jahn.

Schlesien ohne Riesengebirge, ohne den schroffen, wilden Höhenwald zu
denken, wäre jedem Touristen eine Unmöglichkeit. Bleibe er dabei, so
lange sein Herz, sein Geist und seine Augen daran Genüge finden, ein
Stück herrlicher Natur nach dem andern anzustaunen. Sind die Sinne
aber übersättigt von Himmelsblau und von Blättergrün, will der Ver-
stand wieder voll beschäftigt werden, dann giebt's noch ein Stück
Schlesien ohne Riesengebirge, dann ist's noch werth, Oberschlesien
zu durchwandern. Freilich erschaut man dort oft statt des Himmelszeltes
weite, weite Strecken hinaus nur ein schwarzgraues Dach aus Kohlen-
dunst, statt der anzuklimmenden Pfade an Quellen entlang, durch Vogel-
gezwitscher und Blättergespräch hindurch, nur Chausseen und Feldstraßen,
deren einzige Unterhaltung das Toben und Schreien und Knarren von
Maschinen ist. Aber Eines ist zu blicken, was das Riesengebirge nicht
bietet; das sind die Tausende von Männern, mit dem bekannten Leder be-
kleidet, die noch an Gnomen und Zwerge glauben, die aus dem Bereiche
dieser Geister Erze und Gesteine und die Steinkohle herausfördern
und dann auf der Erde mächtige Feueröfen aufrichten, um in feuriger
Verbrüderung diesen Erdadern das nutzreiche Metall abzuzwingen. Ja,
dort in Oberschlesien ist's, wo die Bewohner in jahrtausender Blindheit
die Schätze der Natur unbeachtet gelassen, bis plötzlich unter dem großen
Friedrich sich Männer fanden, die sie aufdeckten, wenigstens in bescheidener
Weise aufdeckten. Kaum war 1796 zu Gleiwitz der erste Hochofen, den
überhaupt der Continent mit einer andern als Holzkohlenfeuerung arbeiten
sah, kaum, sagen wir, war er mit dem Erze und der Kohle einer Grube
Oberschlesiens beschickt, so entstand wohl an tausend Stellen dieses Erd-
striches ein Eindringen in den Boden, ein Durchwühlen desselben nach
Erz und Kohle, so erhoben sich über diesem Boden die mächtigen Oefen
und Essen, die das Herausgewühlte verarbeiteten. Woher jedoch kam
dieser, ohne Aufenthalt fortschreitende Aufschwung einer ganz neuen Jn-
dustrie in einem Lande, das in Knechtschaft und Elend lebende Kassuben
bewohnten? Nun, zwei Dinge, zwei Umstände wirkten hier zusammen.

Einmal hatte die Natur mit außerordentlicher Sorgfalt die Fossilien
geordnet, so aneinander und nebeneinander gelegt, daß nur ein Zugreifen
nöthig, um reiche Beute, gut zu verwerthende Beute zu erhalten. Der
andere Faktor aber war, daß dieser Landstrich sich Theil eines großen
Landes, des deutschen Landes, mit seinen intelligenten und durch Fleiß und
Ausdauer ausgezeichneten Bewohnern nennen durfte.

Die Natur hatte neben Erz die Steinkohle gelegt, gab damit Ober-
schlesien einen Vorzug vor so vielen anderen Orten, die entweder nur das
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[358/0006] 358 und vertraue, daß es dem Himmel gefallen werde, das Unglück des Königs durch das Glück des Feldherrn einzulösen.“ Fouch é zeigte den Brief Napoleon, aber dieser hatte das Ver- trauen zu Murat verloren. „Welchen Vertrag habe ich, seit dem Kriege von 1814, mit dem König von Neapel abgeschlossen?“ fragte er, und in dieser Frage lag gleichzeitig die Ahndung der ihm von Murat widerfahrenen Unbill. Vielleicht wäre Napoleon Murat's glänzendes Feldherrntalent von Nutzen gewesen, aber sein Mißtrauen überwog und er gedachte seines Schwagers mit keiner Silbe mehr. Murat blieb in Toulon, eine Sinnesänderung Napoleons zu seinen Gunsten hoffend und erwartend. Seine Freigebigkeit und seine sonstigen guten Eigenschaften erwarben ihm Zuneigung, auch gedachte man der Kriegsthaten, die Murat für Frankreich gethan, und zollte ihm Verehrung. Doch begann die träge Ruhe Murat bereits lästig zu werden, als die Kunde von der verlorenen Schlacht bei Waterloo und der Flucht Napoleon's nach Toulon gelangten. Was sollte Murat nun beginnen? Der Süden Frankreichs erhob sich zu Gunsten der Bourbonen; Toulon, Nimes und Marseille sahen Scenen des Ent- setzens. Die Protestantenhetze begann, die Anhänger des Kaiserthums wurden von fanatisirten blutdürstigen Horden ermordet. Murat war genöthigt, sich zu verbergen, bis das erste Wetter der Reaktion aus- getobt. Er fand auch einen sichern Ort, von dem aus er an Fouch é der nach Napoleon's Sturz Minister bei Ludwig XVIII. geworden und bei der gesammten europäischen Diplomatie in Ansehn stand, ein Schreiben richtete. Jn diesem Schreiben bat er um einen Paß nach England. Er wollte dort als einfacher Privatmann leben. Auch überwog momentan die Sehnsucht nach seiner Familie seinen Ehrgeiz. Ein Schreiben ähnlichen Jnhalts richtete er an einen seiner ehemaligen Ordonnanz=Offiziere, den sich zur Zeit in Paris aufhaltenden Jtaliener Maceroni, einen Mann von erprobtem ehrenhaftem Charakter, der nicht ohne Einfluß bei mehreren der alliirten Monarchen war. Fouch é zog es vor, gar nicht zu antworten; Maceroni, der sich für Murat verwendete, war der französischen Polizei verdächtig geworden, die ihn verhaftete. Dadurch wurde Murat's Lage von Tag zu Tag ver- hängnißvoller. Das bourbonistische Mordgesindel Toulons, welches Kunde von seiner Anwesenheit erhalten, spürte ihm rachgierig nach, um ihm das Schicksal des unglücklichen Marschalls Brune zu bereiten; der Marquis von Riviere, den Murat einst vom Schaffot gerettet und dessen Beistand er angerufen, lohnte ihm mit dem schwärzesten Undank. Kaum konnte der arme König, ohne Furcht vor Gefahr, frei auf- zuathmen wagen. Jn dieser Bedrängniß schrieb Murat an Ludwig XVIII. einen rührenden Brief, wie ihn eben ein edelsinniger flüchtiger König schrei- ben kann. Der Brief enthielt keine Klage, aber auch kein Datum. „Aus meines Kerkers finsterer Tiefe“ war die einzige Bezeichnung, denn Murat wollte weder seine Zufluchtsstätte verrathen, noch lügen. Diesen Brief sandte der König mit einem Begleitschreiben wiederum an Fouch é, aber weder Ludwig noch Fouch é antworteten. Da be- schloß Murat in einem Anfall von Verzweiflung, selbst nach Paris zu gehen, um sein Schicksal in die Hände der verbündeten Monarchen zu legen. Die Meisten kannten ihn, von Einigen hatte er Pfänder der Freundschaft erhalten, Alle zollten seinen Feldherrntalenten Achtung. Deshalb hoffte er, edle Aufnahme und Rettung aus so bedrängter Lage zu finden. Da er jedoch die Reise zu Lande nicht wagen konnte, der ihm überall drohenden Gefahren wegen, so miethete er ein Fahr- zeug nach Havre, von wo aus er Paris ungehindert zu erreichen ge- dachte. Zur Einschiffung bezeichnete er eine entlegene Stelle am Strande und wählte dazu eine dunkle Nacht. Ob es nun aber Jrr- thum, Zufall oder böse Absicht war, das Fahrzeug harrte an einer ganz anderen Stelle, die das Dunkel der Nacht dem spähenden Blicke des Königs verbarg; da er es nicht wagen durfte, einen Ruf aus- zustoßen, so schlich er scheu und vorsichtig suchend am Strande hin, bis der Morgen heraufdämmerte, der ihn zwang, zwischen Büschen und Weingärten ein Versteck zu suchen. Glücklicherweise gelang es Murat, den Nachstellungen zu entgehen und einen Zufluchtsort zu finden, an dem er sich so lange verborgen halten konnte, bis er, durch Vermittlung einiger Freunde, gegen guten Lohn Aufnahme auf einem kleinen, nach Korsika segelnden Schiffe gefunden hatte. Sicher hätte sich sein Schicksal günstiger gestaltet, wenn es ihm gelungen wäre, Paris zu erreichen, aber es war, als ob ein unglückliches Fatum über Murat waltete. Das sanguinische Temperament des Königs ließ ihn in Korsika ein Eldorado sehen, auf welchem er seine glänzendsten Zukunftspläne ihrer Verwirklichung naheführen könnte. Dort war ja die Heimath der Napoleoniden, dort lebte ja ein leicht begeistertes, kühnes und tapferes Volk. Zwei Tage ging die Seefahrt trefflich von Statten, dann erhob sich plötzlich ein heftiger Sturm, der, dreißig Stunden wüthend, das kleine Fahrzeug zum Spielball der Wogen machte. Als endlich der Sturm nachließ, vermochte das leck gewor- dene Fahrzeug der hochgehenden See nicht mehr zu widerstehen und drohte jeden Augenblick zu sinken. Da gewahrte man ein großes, nach Frankreich segelndes Schiff und rief es an. Als dies heran kam, bot einer von Murat's Begleitern einen hohen Lohn, wenn man sie aufnehmen und zurück nach Korsika bringen wollte, aber man hatte Murat erkannt, wies aus Furcht hartherzig alle Bitten und An- erbietungen ab, und überließ die Mannschaft des immer lecker werden- den Fahrzeuges gleichgültig ihrem Schicksal. Diese war auch auf das Aeußerste gefaßt, als man dem zwischen Frankreich und Korsika segelnden Postschiffe begegnete. Von diesem aus hatte man bereits die Noth der Bemannung des sinkenden Fahrzeuges erblickt und eilte zur Rettung herbei. Unbekümmert um die ihn daraus möglicher- weise erwachsende Gefahr, rief Murat den Heransegelnden mit lauter Stimme zu: „Jch bin Joachim Murat, König von Neapel! Ein Franzose, rede ich zu Franzosen! Dem Schiffbruche nahe, verlange ich Hülfe von denen, die außer Gefahr sind!“ Ein jubelnder Zuruf war die Antwort; freudig nahm man ihn mit seinen Begleitern auf und erwies ihm die höchste Achtung. Da belebte sich seine Hoffnung auf's Neue, denn solcher Gefahr zu ent- rinnen, hielt er für höhere Schickung. Den andern Tag landete das Schiff zu Bastia. Korsika war von bürgerlichen Spaltungen und politischen Faktionen zerrissen. Den Bourbonisten standen die Bo- napartisten und Jndependenten gegenüber; die beiden letzteren Par- teien bildeten die Majorität und empfingen Murat mit Enthusiasmus und jubelndem Vertrauen. Das war für die Behörden der Jnsel ein Grund, Murat mit argwöhnischen Augen zu überwachen. Er wurde gewarnt, und begab sich über Vescovado nach Ajaccio, um dort Sicherheit zu finden; aber er wurde bereits verfolgt und würde auch der Gefangenschaft nicht entgangen sein, wenn ihn nicht seine Anhänger, die eine Leibwache um ihn bildeten, mit bewaffneter Hand beschützt hätten. Sein Anhang wuchs von Tag zu Tag; man erzeigte ihm königliche Ehren und begrüßte ihn jubelnd, wo er sich nur zeigte, und so durfte er sich noch einmal im Glanze einer Macht sonnen, die allerdings eine chimärische war. Darüber vergaß er die ausgestandenen Gefahren und wiegte sich in Täuschung. „Wohlan“, sagte er zu seiner Umgebung, „wenn fremde Völker mir also begegnen und für mich sind, denen ich weder durch That noch Wort gedient, was werden erst die Neapolitaner thun, denen ich so vieles Gute erwiesen. Jch nehme diese Vorzeichen als günstige für meine Unternehmungen auf.“ ( Fortsetzung folgt. ) Das mächtigste „Kohl“ der Welt. Von Bernhard Jahn. Schlesien ohne Riesengebirge, ohne den schroffen, wilden Höhenwald zu denken, wäre jedem Touristen eine Unmöglichkeit. Bleibe er dabei, so lange sein Herz, sein Geist und seine Augen daran Genüge finden, ein Stück herrlicher Natur nach dem andern anzustaunen. Sind die Sinne aber übersättigt von Himmelsblau und von Blättergrün, will der Ver- stand wieder voll beschäftigt werden, dann giebt's noch ein Stück Schlesien ohne Riesengebirge, dann ist's noch werth, Oberschlesien zu durchwandern. Freilich erschaut man dort oft statt des Himmelszeltes weite, weite Strecken hinaus nur ein schwarzgraues Dach aus Kohlen- dunst, statt der anzuklimmenden Pfade an Quellen entlang, durch Vogel- gezwitscher und Blättergespräch hindurch, nur Chausseen und Feldstraßen, deren einzige Unterhaltung das Toben und Schreien und Knarren von Maschinen ist. Aber Eines ist zu blicken, was das Riesengebirge nicht bietet; das sind die Tausende von Männern, mit dem bekannten Leder be- kleidet, die noch an Gnomen und Zwerge glauben, die aus dem Bereiche dieser Geister Erze und Gesteine und die Steinkohle herausfördern und dann auf der Erde mächtige Feueröfen aufrichten, um in feuriger Verbrüderung diesen Erdadern das nutzreiche Metall abzuzwingen. Ja, dort in Oberschlesien ist's, wo die Bewohner in jahrtausender Blindheit die Schätze der Natur unbeachtet gelassen, bis plötzlich unter dem großen Friedrich sich Männer fanden, die sie aufdeckten, wenigstens in bescheidener Weise aufdeckten. Kaum war 1796 zu Gleiwitz der erste Hochofen, den überhaupt der Continent mit einer andern als Holzkohlenfeuerung arbeiten sah, kaum, sagen wir, war er mit dem Erze und der Kohle einer Grube Oberschlesiens beschickt, so entstand wohl an tausend Stellen dieses Erd- striches ein Eindringen in den Boden, ein Durchwühlen desselben nach Erz und Kohle, so erhoben sich über diesem Boden die mächtigen Oefen und Essen, die das Herausgewühlte verarbeiteten. Woher jedoch kam dieser, ohne Aufenthalt fortschreitende Aufschwung einer ganz neuen Jn- dustrie in einem Lande, das in Knechtschaft und Elend lebende Kassuben bewohnten? Nun, zwei Dinge, zwei Umstände wirkten hier zusammen. Einmal hatte die Natur mit außerordentlicher Sorgfalt die Fossilien geordnet, so aneinander und nebeneinander gelegt, daß nur ein Zugreifen nöthig, um reiche Beute, gut zu verwerthende Beute zu erhalten. Der andere Faktor aber war, daß dieser Landstrich sich Theil eines großen Landes, des deutschen Landes, mit seinen intelligenten und durch Fleiß und Ausdauer ausgezeichneten Bewohnern nennen durfte. Die Natur hatte neben Erz die Steinkohle gelegt, gab damit Ober- schlesien einen Vorzug vor so vielen anderen Orten, die entweder nur das

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 45. Berlin, 8. November 1868, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt45_1868/6>, abgerufen am 01.06.2024.