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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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das waldige Thal, durch das ein Bach her¬
unterstürzte und einige Mühlen trieb, deren
Geräusch man kaum aus der gewaltigen
Tiefe vernehmen konnte, und dann in eine
unabsehliche Ferne von Bergen, Wäldern
und Niederungen, und seine innere Unruhe
wurde besänftigt. Das kriegerische Getüm¬
mel verlor sich, und es blieb nur eine klare
bilderreiche Sehnsucht zurück. Er fühlte,
daß ihm eine Laute mangelte, so wenig er
auch wußte, wie sie eigentlich gebaut sey, und
welche Wirkung sie hervorbringe. Das hei¬
tere Schauspiel des herrlichen Abends wiegte
ihn in sanfte Fantasieen: die Blume seines
Herzens ließ sich zuweilen, wie ein Wetter¬
leuchten in ihm sehn. -- Er schweifte durch
das wilde Gebüsch und kletterte über be¬
mooste Felsenstücke, als auf einmal aus einer
nahen Tiefe ein zarter eindringender Gesang
einer weiblichen Stimme von wunderbaren

das waldige Thal, durch das ein Bach her¬
unterſtürzte und einige Mühlen trieb, deren
Geräuſch man kaum aus der gewaltigen
Tiefe vernehmen konnte, und dann in eine
unabſehliche Ferne von Bergen, Wäldern
und Niederungen, und ſeine innere Unruhe
wurde beſänftigt. Das kriegeriſche Getüm¬
mel verlor ſich, und es blieb nur eine klare
bilderreiche Sehnſucht zurück. Er fühlte,
daß ihm eine Laute mangelte, ſo wenig er
auch wußte, wie ſie eigentlich gebaut ſey, und
welche Wirkung ſie hervorbringe. Das hei¬
tere Schauſpiel des herrlichen Abends wiegte
ihn in ſanfte Fantaſieen: die Blume ſeines
Herzens ließ ſich zuweilen, wie ein Wetter¬
leuchten in ihm ſehn. — Er ſchweifte durch
das wilde Gebüſch und kletterte über be¬
mooſte Felſenſtücke, als auf einmal aus einer
nahen Tiefe ein zarter eindringender Geſang
einer weiblichen Stimme von wunderbaren

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[115/0123] das waldige Thal, durch das ein Bach her¬ unterſtürzte und einige Mühlen trieb, deren Geräuſch man kaum aus der gewaltigen Tiefe vernehmen konnte, und dann in eine unabſehliche Ferne von Bergen, Wäldern und Niederungen, und ſeine innere Unruhe wurde beſänftigt. Das kriegeriſche Getüm¬ mel verlor ſich, und es blieb nur eine klare bilderreiche Sehnſucht zurück. Er fühlte, daß ihm eine Laute mangelte, ſo wenig er auch wußte, wie ſie eigentlich gebaut ſey, und welche Wirkung ſie hervorbringe. Das hei¬ tere Schauſpiel des herrlichen Abends wiegte ihn in ſanfte Fantaſieen: die Blume ſeines Herzens ließ ſich zuweilen, wie ein Wetter¬ leuchten in ihm ſehn. — Er ſchweifte durch das wilde Gebüſch und kletterte über be¬ mooſte Felſenſtücke, als auf einmal aus einer nahen Tiefe ein zarter eindringender Geſang einer weiblichen Stimme von wunderbaren

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/123>, abgerufen am 04.12.2024.