Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

seines unermeßlichen Daseyns zu entfalten. In
Heinrichs Gemüth spiegelte sich das Mähr¬
chen des Abends. Es war ihm, als ruhte die
Welt aufgeschlossen in ihm, und zeigte ihm,
wie einem Gastfreunde, alle ihre Schätze und
verborgenen Lieblichkeiten. Ihm dünkte die
große einfache Erscheinung um ihn so ver¬
ständlich. Die Natur schien ihm nur deswe¬
gen so unbegreiflich, weil sie das Nächste
und Traulichste mit einer solchen Verschwen¬
dung von mannichfachen Ausdrücken um den
Menschen her thürmte. Die Worte des Al¬
ten hatten eine versteckte Tapetenthür in ihm
geöffnet. Er sah sein kleines Wohnzimmer
dicht an einen erhabenen Münster gebaut,
aus dessen steinernem Boden die ernste Vor¬
welt emporstieg, während von der Kuppel
die klare fröliche Zukunft in goldnen En¬
gelskindern ihr singend entgegenschwebte.
Gewaltige Klänge bebten in den silber¬

ſeines unermeßlichen Daſeyns zu entfalten. In
Heinrichs Gemüth ſpiegelte ſich das Mähr¬
chen des Abends. Es war ihm, als ruhte die
Welt aufgeſchloſſen in ihm, und zeigte ihm,
wie einem Gaſtfreunde, alle ihre Schätze und
verborgenen Lieblichkeiten. Ihm dünkte die
große einfache Erſcheinung um ihn ſo ver¬
ſtändlich. Die Natur ſchien ihm nur deswe¬
gen ſo unbegreiflich, weil ſie das Nächſte
und Traulichſte mit einer ſolchen Verſchwen¬
dung von mannichfachen Ausdrücken um den
Menſchen her thürmte. Die Worte des Al¬
ten hatten eine verſteckte Tapetenthür in ihm
geöffnet. Er ſah ſein kleines Wohnzimmer
dicht an einen erhabenen Münſter gebaut,
aus deſſen ſteinernem Boden die ernſte Vor¬
welt emporſtieg, während von der Kuppel
die klare fröliche Zukunft in goldnen En¬
gelskindern ihr ſingend entgegenſchwebte.
Gewaltige Klänge bebten in den ſilber¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0170" n="162"/>
&#x017F;eines unermeßlichen Da&#x017F;eyns zu entfalten. In<lb/>
Heinrichs Gemüth &#x017F;piegelte &#x017F;ich das Mähr¬<lb/>
chen des Abends. Es war ihm, als ruhte die<lb/>
Welt aufge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en in ihm, und zeigte ihm,<lb/>
wie einem Ga&#x017F;tfreunde, alle ihre Schätze und<lb/>
verborgenen Lieblichkeiten. Ihm dünkte die<lb/>
große einfache Er&#x017F;cheinung um ihn &#x017F;o ver¬<lb/>
&#x017F;tändlich. Die Natur &#x017F;chien ihm nur deswe¬<lb/>
gen &#x017F;o unbegreiflich, weil &#x017F;ie das Näch&#x017F;te<lb/>
und Traulich&#x017F;te mit einer &#x017F;olchen Ver&#x017F;chwen¬<lb/>
dung von mannichfachen Ausdrücken um den<lb/>
Men&#x017F;chen her thürmte. Die Worte des Al¬<lb/>
ten hatten eine ver&#x017F;teckte Tapetenthür in ihm<lb/>
geöffnet. Er &#x017F;ah &#x017F;ein kleines Wohnzimmer<lb/>
dicht an einen erhabenen Mün&#x017F;ter gebaut,<lb/>
aus de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;teinernem Boden die ern&#x017F;te Vor¬<lb/>
welt empor&#x017F;tieg, während von der Kuppel<lb/>
die klare fröliche Zukunft in goldnen En¬<lb/>
gelskindern ihr &#x017F;ingend entgegen&#x017F;chwebte.<lb/>
Gewaltige Klänge bebten in den &#x017F;ilber¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0170] ſeines unermeßlichen Daſeyns zu entfalten. In Heinrichs Gemüth ſpiegelte ſich das Mähr¬ chen des Abends. Es war ihm, als ruhte die Welt aufgeſchloſſen in ihm, und zeigte ihm, wie einem Gaſtfreunde, alle ihre Schätze und verborgenen Lieblichkeiten. Ihm dünkte die große einfache Erſcheinung um ihn ſo ver¬ ſtändlich. Die Natur ſchien ihm nur deswe¬ gen ſo unbegreiflich, weil ſie das Nächſte und Traulichſte mit einer ſolchen Verſchwen¬ dung von mannichfachen Ausdrücken um den Menſchen her thürmte. Die Worte des Al¬ ten hatten eine verſteckte Tapetenthür in ihm geöffnet. Er ſah ſein kleines Wohnzimmer dicht an einen erhabenen Münſter gebaut, aus deſſen ſteinernem Boden die ernſte Vor¬ welt emporſtieg, während von der Kuppel die klare fröliche Zukunft in goldnen En¬ gelskindern ihr ſingend entgegenſchwebte. Gewaltige Klänge bebten in den ſilber¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/170
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/170>, abgerufen am 21.11.2024.