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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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fange, als die vorherigen, auf, in dessen
Hintergründe sie bey einer Lampe eine
menschliche Gestalt sitzen sahen, die vor sich
auf einer steinernen Platte ein großes Buch
liegen hatte, in welchem sie zu lesen schien.

Sie drehte sich nach ihnen zu, stand auf
und ging ihnen entgegen. Es war ein
Mann, dessen Alter man nicht errathen konn¬
te. Er sah weder alt noch jung aus, kei¬
ne Spuren der Zeit bemerkte man an ihm,
als schlichte silberne Hare, die auf der Stirn
gescheitelt waren. In seinen Augen lag ei¬
ne unaussprechliche Heiterkeit, als sähe er
von einem hellen Berge in einen unendlichen
Frühling hinein. Er hatte Sohlen an die
Füße gebunden, und schien keine andere Klei¬
dung zu haben, als einen weiten Mantel,
der um ihn hergeschlungen war, und seine ed¬
le große Gestalt noch mehr heraus hob.
Über ihre unvermuthete Ankunft schien er

fange, als die vorherigen, auf, in deſſen
Hintergründe ſie bey einer Lampe eine
menſchliche Geſtalt ſitzen ſahen, die vor ſich
auf einer ſteinernen Platte ein großes Buch
liegen hatte, in welchem ſie zu leſen ſchien.

Sie drehte ſich nach ihnen zu, ſtand auf
und ging ihnen entgegen. Es war ein
Mann, deſſen Alter man nicht errathen konn¬
te. Er ſah weder alt noch jung aus, kei¬
ne Spuren der Zeit bemerkte man an ihm,
als ſchlichte ſilberne Hare, die auf der Stirn
geſcheitelt waren. In ſeinen Augen lag ei¬
ne unausſprechliche Heiterkeit, als ſähe er
von einem hellen Berge in einen unendlichen
Frühling hinein. Er hatte Sohlen an die
Füße gebunden, und ſchien keine andere Klei¬
dung zu haben, als einen weiten Mantel,
der um ihn hergeſchlungen war, und ſeine ed¬
le große Geſtalt noch mehr heraus hob.
Über ihre unvermuthete Ankunft ſchien er

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[170/0178] fange, als die vorherigen, auf, in deſſen Hintergründe ſie bey einer Lampe eine menſchliche Geſtalt ſitzen ſahen, die vor ſich auf einer ſteinernen Platte ein großes Buch liegen hatte, in welchem ſie zu leſen ſchien. Sie drehte ſich nach ihnen zu, ſtand auf und ging ihnen entgegen. Es war ein Mann, deſſen Alter man nicht errathen konn¬ te. Er ſah weder alt noch jung aus, kei¬ ne Spuren der Zeit bemerkte man an ihm, als ſchlichte ſilberne Hare, die auf der Stirn geſcheitelt waren. In ſeinen Augen lag ei¬ ne unausſprechliche Heiterkeit, als ſähe er von einem hellen Berge in einen unendlichen Frühling hinein. Er hatte Sohlen an die Füße gebunden, und ſchien keine andere Klei¬ dung zu haben, als einen weiten Mantel, der um ihn hergeſchlungen war, und ſeine ed¬ le große Geſtalt noch mehr heraus hob. Über ihre unvermuthete Ankunft ſchien er

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/178>, abgerufen am 21.11.2024.