nothwendig auch ein Dichter seyn müßte, denn nur die Dichter mögen sich auf jene Kunst, Begebenheiten schicklich zu verknüpfen, verstehn. In ihren Erzählungen und Fabeln habe ich mit stillem Vergnügen ihr zartes Gefühl für den geheimnißvollen Geist des Le¬ bens bemerkt. Es ist mehr Wahrheit in ih¬ ren Mährchen, als in gelehrten Chroniken. Sind auch ihre Personen und deren Schicksa¬ le erfunden: so ist doch der Sinn, in dem sie erfunden sind, wahrhaft und natürlich. Es ist für unsern Genuß und unsere Belehrung gewissermaßen einerley, ob die Personen, in deren Schicksalen wir den unsrigen nachspü¬ ren, wirklich einmal lebten, oder nicht. Wir verlangen nach der Anschauung der großen einfachen Seele der Zeiterscheinungen, und finden wir diesen Wunsch gewährt, so küm¬ mern wir uns nicht um die zufällige Exi¬ stenz ihrer äußern Figuren.
nothwendig auch ein Dichter ſeyn müßte, denn nur die Dichter mögen ſich auf jene Kunſt, Begebenheiten ſchicklich zu verknüpfen, verſtehn. In ihren Erzählungen und Fabeln habe ich mit ſtillem Vergnügen ihr zartes Gefühl für den geheimnißvollen Geiſt des Le¬ bens bemerkt. Es iſt mehr Wahrheit in ih¬ ren Mährchen, als in gelehrten Chroniken. Sind auch ihre Perſonen und deren Schickſa¬ le erfunden: ſo iſt doch der Sinn, in dem ſie erfunden ſind, wahrhaft und natürlich. Es iſt für unſern Genuß und unſere Belehrung gewiſſermaßen einerley, ob die Perſonen, in deren Schickſalen wir den unſrigen nachſpü¬ ren, wirklich einmal lebten, oder nicht. Wir verlangen nach der Anſchauung der großen einfachen Seele der Zeiterſcheinungen, und finden wir dieſen Wunſch gewährt, ſo küm¬ mern wir uns nicht um die zufällige Exi¬ ſtenz ihrer äußern Figuren.
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nothwendig auch ein Dichter ſeyn müßte,
denn nur die Dichter mögen ſich auf jene
Kunſt, Begebenheiten ſchicklich zu verknüpfen,
verſtehn. In ihren Erzählungen und Fabeln
habe ich mit ſtillem Vergnügen ihr zartes
Gefühl für den geheimnißvollen Geiſt des Le¬
bens bemerkt. Es iſt mehr Wahrheit in ih¬
ren Mährchen, als in gelehrten Chroniken.
Sind auch ihre Perſonen und deren Schickſa¬
le erfunden: ſo iſt doch der Sinn, in dem ſie
erfunden ſind, wahrhaft und natürlich. Es
iſt für unſern Genuß und unſere Belehrung
gewiſſermaßen einerley, ob die Perſonen, in
deren Schickſalen wir den unſrigen nachſpü¬
ren, wirklich einmal lebten, oder nicht. Wir
verlangen nach der Anſchauung der großen
einfachen Seele der Zeiterſcheinungen, und
finden wir dieſen Wunſch gewährt, ſo küm¬
mern wir uns nicht um die zufällige Exi¬
ſtenz ihrer äußern Figuren.
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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/190>, abgerufen am 21.11.2024.
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