Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.Unsere Reize zu verhüllen Schreibt die strenge Mutter vor. Ach! was hilft der gute Willen, Quellen sie nicht selbst empor? Bey der Sehnsucht innrem Beben Muß das beste Band sich geben. Jede Neigung zu verschließen, Hart und kalt zu seyn, wie Stein, Schöne Augen nicht zu grüßen, Fleißig und allein zu seyn, Keiner Bitte nachzugeben: Heißt das wohl ein Jugendleben? Groß sind eines Mädchens Plagen, Ihre Brust ist krank und wund, Und zum Lohn für stille Klagen Küßt sie noch ein welker Mund. Wird denn nie das Blatt sich wenden, Und das Reich der Alten enden? Unſere Reize zu verhüllen Schreibt die ſtrenge Mutter vor. Ach! was hilft der gute Willen, Quellen ſie nicht ſelbſt empor? Bey der Sehnſucht innrem Beben Muß das beſte Band ſich geben. Jede Neigung zu verſchließen, Hart und kalt zu ſeyn, wie Stein, Schöne Augen nicht zu grüßen, Fleißig und allein zu ſeyn, Keiner Bitte nachzugeben: Heißt das wohl ein Jugendleben? Groß ſind eines Mädchens Plagen, Ihre Bruſt iſt krank und wund, Und zum Lohn für ſtille Klagen Küßt ſie noch ein welker Mund. Wird denn nie das Blatt ſich wenden, Und das Reich der Alten enden? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0229" n="221"/> <lg n="5"> <l>Unſere Reize zu verhüllen</l><lb/> <l>Schreibt die ſtrenge Mutter vor.</l><lb/> <l>Ach! was hilft der gute Willen,</l><lb/> <l>Quellen ſie nicht ſelbſt empor?</l><lb/> <l>Bey der Sehnſucht innrem Beben</l><lb/> <l>Muß das beſte Band ſich geben.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Jede Neigung zu verſchließen,</l><lb/> <l>Hart und kalt zu ſeyn, wie Stein,</l><lb/> <l>Schöne Augen nicht zu grüßen,</l><lb/> <l>Fleißig und allein zu ſeyn,</l><lb/> <l>Keiner Bitte nachzugeben:</l><lb/> <l>Heißt das wohl ein Jugendleben?</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Groß ſind eines Mädchens Plagen,</l><lb/> <l>Ihre Bruſt iſt krank und wund,</l><lb/> <l>Und zum Lohn für ſtille Klagen</l><lb/> <l>Küßt ſie noch ein welker Mund.</l><lb/> <l>Wird denn nie das Blatt ſich wenden,</l><lb/> <l>Und das Reich der Alten enden?</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [221/0229]
Unſere Reize zu verhüllen
Schreibt die ſtrenge Mutter vor.
Ach! was hilft der gute Willen,
Quellen ſie nicht ſelbſt empor?
Bey der Sehnſucht innrem Beben
Muß das beſte Band ſich geben.
Jede Neigung zu verſchließen,
Hart und kalt zu ſeyn, wie Stein,
Schöne Augen nicht zu grüßen,
Fleißig und allein zu ſeyn,
Keiner Bitte nachzugeben:
Heißt das wohl ein Jugendleben?
Groß ſind eines Mädchens Plagen,
Ihre Bruſt iſt krank und wund,
Und zum Lohn für ſtille Klagen
Küßt ſie noch ein welker Mund.
Wird denn nie das Blatt ſich wenden,
Und das Reich der Alten enden?
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Zitationshilfe: | Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/229>, abgerufen am 16.02.2025. |