In dem Alter der Welt, wo wir leben, findet der unmittelbare Verkehr mit dem Himmel nicht mehr Statt. Die alten Ge¬ schichten und Schriften sind jetzt die einzigen Quellen, durch die uns eine Kenntniß von der überirdischen Welt, so weit wir sie nö¬ thig haben, zu Theil wird; und statt jener ausdrücklichen Offenbarungen redet jetzt der heilige Geist mittelbar durch den Verstand kluger und wohlgesinnter Männer und durch die Lebensweise und die Schicksale frommer Menschen zu uns. Unsre heutigen Wunder¬ bilder haben mich nie sonderlich erbaut, und ich habe nie jene großen Thaten geglaubt, die unsre Geistlichen davon erzählen. Indeß mag sich daran erbauen, wer will, und ich hüte mich wohl jemanden in seinem Ver¬ trauen irre zu machen. -- Aber, lieber Vater, aus welchem Grunde seyd Ihr so den Träu¬ men entgegen, deren seltsame Verwandlun¬
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In dem Alter der Welt, wo wir leben, findet der unmittelbare Verkehr mit dem Himmel nicht mehr Statt. Die alten Ge¬ ſchichten und Schriften ſind jetzt die einzigen Quellen, durch die uns eine Kenntniß von der überirdiſchen Welt, ſo weit wir ſie nö¬ thig haben, zu Theil wird; und ſtatt jener ausdrücklichen Offenbarungen redet jetzt der heilige Geiſt mittelbar durch den Verſtand kluger und wohlgeſinnter Männer und durch die Lebensweiſe und die Schickſale frommer Menſchen zu uns. Unſre heutigen Wunder¬ bilder haben mich nie ſonderlich erbaut, und ich habe nie jene großen Thaten geglaubt, die unſre Geiſtlichen davon erzählen. Indeß mag ſich daran erbauen, wer will, und ich hüte mich wohl jemanden in ſeinem Ver¬ trauen irre zu machen. — Aber, lieber Vater, aus welchem Grunde ſeyd Ihr ſo den Träu¬ men entgegen, deren ſeltſame Verwandlun¬
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In dem Alter der Welt, wo wir leben,
findet der unmittelbare Verkehr mit dem
Himmel nicht mehr Statt. Die alten Ge¬
ſchichten und Schriften ſind jetzt die einzigen
Quellen, durch die uns eine Kenntniß von
der überirdiſchen Welt, ſo weit wir ſie nö¬
thig haben, zu Theil wird; und ſtatt jener
ausdrücklichen Offenbarungen redet jetzt der
heilige Geiſt mittelbar durch den Verſtand
kluger und wohlgeſinnter Männer und durch
die Lebensweiſe und die Schickſale frommer
Menſchen zu uns. Unſre heutigen Wunder¬
bilder haben mich nie ſonderlich erbaut, und
ich habe nie jene großen Thaten geglaubt,
die unſre Geiſtlichen davon erzählen. Indeß
mag ſich daran erbauen, wer will, und ich
hüte mich wohl jemanden in ſeinem Ver¬
trauen irre zu machen. — Aber, lieber Vater,
aus welchem Grunde ſeyd Ihr ſo den Träu¬
men entgegen, deren ſeltſame Verwandlun¬
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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/25>, abgerufen am 03.12.2024.
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