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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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schendes Unding sich verliert. Besonders als
Lehrling kann man nicht genug sich vor die¬
sen Ausschweifungen hüten, da eine lebhafte
Fantasie nur gar zu gern nach den Grenzen
sich begiebt, und übermüthig das Unsinnliche,
Übermäßige zu ergreifen und auszusprechen
sucht. Reifere Erfahrung lehrt erst, jene
Unverhältnißmäßigkeit der Gegenstände zu
vermeiden, und die Aufspürung des Einfachsten
und Höchsten der Weltweisheit zu überlassen.
Der ältere Dichter steigt nicht höher, als er
es gerade nöthig hat, um seinen mannichfal¬
tigen Vorrath in eine leichtfaßliche Ordnung
zu stellen, und hütet sich wohl, die Mannich¬
faltigkeit zu verlassen, die ihm Stoff genug
und auch die nöthigen Vergleichungspunkte
darbietet. Ich möchte fast sagen, das Chaos
muß in jeder Dichtung durch den regelmäßi¬
gen Flor der Ordnung schimmern. Den
Reichthum der Erfindung macht nur eine

ſchendes Unding ſich verliert. Beſonders als
Lehrling kann man nicht genug ſich vor die¬
ſen Ausſchweifungen hüten, da eine lebhafte
Fantaſie nur gar zu gern nach den Grenzen
ſich begiebt, und übermüthig das Unſinnliche,
Übermäßige zu ergreifen und auszuſprechen
ſucht. Reifere Erfahrung lehrt erſt, jene
Unverhältnißmäßigkeit der Gegenſtände zu
vermeiden, und die Aufſpürung des Einfachſten
und Höchſten der Weltweisheit zu überlaſſen.
Der ältere Dichter ſteigt nicht höher, als er
es gerade nöthig hat, um ſeinen mannichfal¬
tigen Vorrath in eine leichtfaßliche Ordnung
zu ſtellen, und hütet ſich wohl, die Mannich¬
faltigkeit zu verlaſſen, die ihm Stoff genug
und auch die nöthigen Vergleichungspunkte
darbietet. Ich möchte faſt ſagen, das Chaos
muß in jeder Dichtung durch den regelmäßi¬
gen Flor der Ordnung ſchimmern. Den
Reichthum der Erfindung macht nur eine

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[255/0263] ſchendes Unding ſich verliert. Beſonders als Lehrling kann man nicht genug ſich vor die¬ ſen Ausſchweifungen hüten, da eine lebhafte Fantaſie nur gar zu gern nach den Grenzen ſich begiebt, und übermüthig das Unſinnliche, Übermäßige zu ergreifen und auszuſprechen ſucht. Reifere Erfahrung lehrt erſt, jene Unverhältnißmäßigkeit der Gegenſtände zu vermeiden, und die Aufſpürung des Einfachſten und Höchſten der Weltweisheit zu überlaſſen. Der ältere Dichter ſteigt nicht höher, als er es gerade nöthig hat, um ſeinen mannichfal¬ tigen Vorrath in eine leichtfaßliche Ordnung zu ſtellen, und hütet ſich wohl, die Mannich¬ faltigkeit zu verlaſſen, die ihm Stoff genug und auch die nöthigen Vergleichungspunkte darbietet. Ich möchte faſt ſagen, das Chaos muß in jeder Dichtung durch den regelmäßi¬ gen Flor der Ordnung ſchimmern. Den Reichthum der Erfindung macht nur eine

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/263>, abgerufen am 21.11.2024.