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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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leichte Zusammenstellung faßlich und anmu¬
thig, dagegen auch das bloße Ebenmaaß die
unangenehme Dürre einer Zahlenfigur hat.
Die beste Poesie liegt uns ganz nahe, und
ein gewöhnlicher Gegenstand ist nicht selten
ihr liebster Stoff. Für den Dichter ist die
Poesie an beschränkte Werkzeuge gebunden,
und eben dadurch wird sie zur Kunst. Die
Sprache überhaupt hat ihren bestimmten
Kreis. Noch enger ist der Umfang einer be¬
sondern Volkssprache. Durch Übung und
Nachdenken lernt der Dichter seine Sprache
kennen. Er weiß, was er mit ihr leisten
kann, genau, und wird keinen thörichten
Versuch machen, sie über ihre Kräfte anzu¬
spannen. Nur selten wird er alle ihre Kräf¬
te in Einen Punkt zusammen drängen, denn
sonst wird er ermüdend, und vernichtet selbst
die kostbare Wirkung einer gutangebrachten
Kraftäußerung. Auf seltsame Sprünge rich¬

tet

leichte Zuſammenſtellung faßlich und anmu¬
thig, dagegen auch das bloße Ebenmaaß die
unangenehme Dürre einer Zahlenfigur hat.
Die beſte Poeſie liegt uns ganz nahe, und
ein gewöhnlicher Gegenſtand iſt nicht ſelten
ihr liebſter Stoff. Für den Dichter iſt die
Poeſie an beſchränkte Werkzeuge gebunden,
und eben dadurch wird ſie zur Kunſt. Die
Sprache überhaupt hat ihren beſtimmten
Kreis. Noch enger iſt der Umfang einer be¬
ſondern Volksſprache. Durch Übung und
Nachdenken lernt der Dichter ſeine Sprache
kennen. Er weiß, was er mit ihr leiſten
kann, genau, und wird keinen thörichten
Verſuch machen, ſie über ihre Kräfte anzu¬
ſpannen. Nur ſelten wird er alle ihre Kräf¬
te in Einen Punkt zuſammen drängen, denn
ſonſt wird er ermüdend, und vernichtet ſelbſt
die koſtbare Wirkung einer gutangebrachten
Kraftäußerung. Auf ſeltſame Sprünge rich¬

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[256/0264] leichte Zuſammenſtellung faßlich und anmu¬ thig, dagegen auch das bloße Ebenmaaß die unangenehme Dürre einer Zahlenfigur hat. Die beſte Poeſie liegt uns ganz nahe, und ein gewöhnlicher Gegenſtand iſt nicht ſelten ihr liebſter Stoff. Für den Dichter iſt die Poeſie an beſchränkte Werkzeuge gebunden, und eben dadurch wird ſie zur Kunſt. Die Sprache überhaupt hat ihren beſtimmten Kreis. Noch enger iſt der Umfang einer be¬ ſondern Volksſprache. Durch Übung und Nachdenken lernt der Dichter ſeine Sprache kennen. Er weiß, was er mit ihr leiſten kann, genau, und wird keinen thörichten Verſuch machen, ſie über ihre Kräfte anzu¬ ſpannen. Nur ſelten wird er alle ihre Kräf¬ te in Einen Punkt zuſammen drängen, denn ſonſt wird er ermüdend, und vernichtet ſelbſt die koſtbare Wirkung einer gutangebrachten Kraftäußerung. Auf ſeltſame Sprünge rich¬ tet

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/264>, abgerufen am 21.11.2024.