scheint ihm etwas zu fehlen, was die fried¬ liche Stille seines Lebens, die Bequemlich¬ keiten seines Auskommens, die Freude sich geehrt und geliebt von seinen Mitbürgern zu sehn, und in allen Stadtangelegenheiten zu Rathe gezogen zu werden, ihm nicht er¬ setzen kann. Seine Bekannten halten ihn für sehr glüklich, aber sie wissen nicht, wie lebenssatt er ist, wie leer ihm oft die Welt vorkommt, wie sehnlich er sich hinweg wünscht, und wie er nicht aus Erwerblust, sondern um diese Stimmung zu verscheuchen, so fleißig arbeitet.
Was mich am meisten wundert, versetzte Sylvester, ist, daß er eure Erziehung ganz in den Händen eurer Mutter gelassen hat, und sorgfältig sich gehütet, in eure Entwick¬ lung sich zu mischen, oder euch zu irgend einem bestimmten Stande anzuhalten. Ihr habt von Glück zu sagen, daß ihr habt
ſcheint ihm etwas zu fehlen, was die fried¬ liche Stille ſeines Lebens, die Bequemlich¬ keiten ſeines Auskommens, die Freude ſich geehrt und geliebt von ſeinen Mitbürgern zu ſehn, und in allen Stadtangelegenheiten zu Rathe gezogen zu werden, ihm nicht er¬ ſetzen kann. Seine Bekannten halten ihn für ſehr glüklich, aber ſie wiſſen nicht, wie lebensſatt er iſt, wie leer ihm oft die Welt vorkommt, wie ſehnlich er ſich hinweg wünſcht, und wie er nicht aus Erwerbluſt, ſondern um dieſe Stimmung zu verſcheuchen, ſo fleißig arbeitet.
Was mich am meiſten wundert, verſetzte Sylveſter, iſt, daß er eure Erziehung ganz in den Händen eurer Mutter gelaſſen hat, und ſorgfältig ſich gehütet, in eure Entwick¬ lung ſich zu miſchen, oder euch zu irgend einem beſtimmten Stande anzuhalten. Ihr habt von Glück zu ſagen, daß ihr habt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0372"n="26"/>ſcheint ihm etwas zu fehlen, was die fried¬<lb/>
liche Stille ſeines Lebens, die Bequemlich¬<lb/>
keiten ſeines Auskommens, die Freude ſich<lb/>
geehrt und geliebt von ſeinen Mitbürgern<lb/>
zu ſehn, und in allen Stadtangelegenheiten<lb/>
zu Rathe gezogen zu werden, ihm nicht er¬<lb/>ſetzen kann. Seine Bekannten halten ihn<lb/>
für ſehr glüklich, aber ſie wiſſen nicht, wie<lb/>
lebensſatt er iſt, wie leer ihm oft die Welt<lb/>
vorkommt, wie ſehnlich er ſich hinweg<lb/>
wünſcht, und wie er nicht aus Erwerbluſt,<lb/>ſondern um dieſe Stimmung zu verſcheuchen,<lb/>ſo fleißig arbeitet.</p><lb/><p>Was mich am meiſten wundert, verſetzte<lb/>
Sylveſter, iſt, daß er eure Erziehung ganz<lb/>
in den Händen eurer Mutter gelaſſen hat,<lb/>
und ſorgfältig ſich gehütet, in eure Entwick¬<lb/>
lung ſich zu miſchen, oder euch zu irgend<lb/>
einem beſtimmten Stande anzuhalten. Ihr<lb/>
habt von Glück zu ſagen, daß ihr habt<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[26/0372]
ſcheint ihm etwas zu fehlen, was die fried¬
liche Stille ſeines Lebens, die Bequemlich¬
keiten ſeines Auskommens, die Freude ſich
geehrt und geliebt von ſeinen Mitbürgern
zu ſehn, und in allen Stadtangelegenheiten
zu Rathe gezogen zu werden, ihm nicht er¬
ſetzen kann. Seine Bekannten halten ihn
für ſehr glüklich, aber ſie wiſſen nicht, wie
lebensſatt er iſt, wie leer ihm oft die Welt
vorkommt, wie ſehnlich er ſich hinweg
wünſcht, und wie er nicht aus Erwerbluſt,
ſondern um dieſe Stimmung zu verſcheuchen,
ſo fleißig arbeitet.
Was mich am meiſten wundert, verſetzte
Sylveſter, iſt, daß er eure Erziehung ganz
in den Händen eurer Mutter gelaſſen hat,
und ſorgfältig ſich gehütet, in eure Entwick¬
lung ſich zu miſchen, oder euch zu irgend
einem beſtimmten Stande anzuhalten. Ihr
habt von Glück zu ſagen, daß ihr habt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/372>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.