ganz und gar nicht verargen konnte, wenn er sich un- parteiisch an seine Stelle versetzte. Ja, er meinte sogar, er müsse Johannes noch mehr schätzen, als all' die An- dern, weil er ihm an Kenntnissen und dergleichen am nächsten stünde und so am besten zu beurtheilen wußte, weil er eher auch als die Landleute das Leben in den großen Städten kannte und also wußte, was es heißt, da gefeiert zu sein und in den höchsten Kreisen zu leben: -- wie leicht da Einer stolz und hochmüthig wird, besonders wenn er ganz allein durch eigenes Ver- dienst sich heraus und emporgearbeitet und es ihm an der Wiege nicht gesungen worden war, welch' glänzende Rolle er einst spielen werde. Und daß Johannes trotz dem Allen so gut und einfältiglich im edelsten Sinne des Worts geblieben war, daß er so ganz der Alte wieder zu den schlichten biedern Bewohnern seines Hei- mathdorfes gekommen, das machte ihn unserm Schul- meister besonders werth. Als dieser nun aber vollends von Johannes hatte das Lied sagen hören:
"Es ist mein Stolz, daß ich vom Volke stamme," so wär' er dem Dichter lieber gleich um den Hals ge- fallen, so hatte er ihm das Lied aus der eigenen Seele gesungen. Aber übrigens konnte sich unser Schulmeister nicht helfen, er war von der Kindtaufe sehr traurig nach Hause gekommen. Am andern Tag überlegt' er
ganz und gar nicht verargen konnte, wenn er ſich un- parteiiſch an ſeine Stelle verſetzte. Ja, er meinte ſogar, er muͤſſe Johannes noch mehr ſchaͤtzen, als all’ die An- dern, weil er ihm an Kenntniſſen und dergleichen am naͤchſten ſtuͤnde und ſo am beſten zu beurtheilen wußte, weil er eher auch als die Landleute das Leben in den großen Staͤdten kannte und alſo wußte, was es heißt, da gefeiert zu ſein und in den hoͤchſten Kreiſen zu leben: — wie leicht da Einer ſtolz und hochmuͤthig wird, beſonders wenn er ganz allein durch eigenes Ver- dienſt ſich heraus und emporgearbeitet und es ihm an der Wiege nicht geſungen worden war, welch’ glaͤnzende Rolle er einſt ſpielen werde. Und daß Johannes trotz dem Allen ſo gut und einfaͤltiglich im edelſten Sinne des Worts geblieben war, daß er ſo ganz der Alte wieder zu den ſchlichten biedern Bewohnern ſeines Hei- mathdorfes gekommen, das machte ihn unſerm Schul- meiſter beſonders werth. Als dieſer nun aber vollends von Johannes hatte das Lied ſagen hoͤren:
„Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme,“ ſo waͤr’ er dem Dichter lieber gleich um den Hals ge- fallen, ſo hatte er ihm das Lied aus der eigenen Seele geſungen. Aber uͤbrigens konnte ſich unſer Schulmeiſter nicht helfen, er war von der Kindtaufe ſehr traurig nach Hauſe gekommen. Am andern Tag uͤberlegt’ er
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ganz und gar nicht verargen konnte, wenn er ſich un-
parteiiſch an ſeine Stelle verſetzte. Ja, er meinte ſogar,
er muͤſſe Johannes noch mehr ſchaͤtzen, als all’ die An-
dern, weil er ihm an Kenntniſſen und dergleichen am
naͤchſten ſtuͤnde und ſo am beſten zu beurtheilen wußte,
weil er eher auch als die Landleute das Leben in den
großen Staͤdten kannte und alſo wußte, was es heißt,
da gefeiert zu ſein und in den hoͤchſten Kreiſen zu
leben: — wie leicht da Einer ſtolz und hochmuͤthig
wird, beſonders wenn er ganz allein durch eigenes Ver-
dienſt ſich heraus und emporgearbeitet und es ihm an
der Wiege nicht geſungen worden war, welch’ glaͤnzende
Rolle er einſt ſpielen werde. Und daß Johannes trotz
dem Allen ſo gut und einfaͤltiglich im edelſten Sinne
des Worts geblieben war, daß er ſo ganz der Alte
wieder zu den ſchlichten biedern Bewohnern ſeines Hei-
mathdorfes gekommen, das machte ihn unſerm Schul-
meiſter beſonders werth. Als dieſer nun aber vollends
von Johannes hatte das Lied ſagen hoͤren:
„Es iſt mein Stolz, daß ich vom Volke ſtamme,“
ſo waͤr’ er dem Dichter lieber gleich um den Hals ge-
fallen, ſo hatte er ihm das Lied aus der eigenen Seele
geſungen. Aber uͤbrigens konnte ſich unſer Schulmeiſter
nicht helfen, er war von der Kindtaufe ſehr traurig
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/103>, abgerufen am 04.12.2024.
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