Johannes sehr ernst, "können Sie praktisch sein, weil Sie Dichter sind? auch von Jhnen, auch von der Jugend diese Frage? Und Jhr wundert Euch noch, daß das Le- ben oft so langweilig und elend ist, daß alle Erbärmlich- keiten und Verbrechen, daß alle Gemeinheiten darin freien Spielraum haben, indeß alles Edle und Höhere sich scheu in alle Winkel verkriechen möchte als sei es nicht werth den Tag zu sehen -- Jhr wundert Euch noch darüber, wenn Jhr von vornherein nun alles Gemeine und Her- gebrachte für berechtigt erklärt, das Schöne und Gute aber vom Leben ausschließt, dem Volke vorenthalten wollt -- o nicht das Volk ist's, welches Sünde thut! das ist der Fluch, daß tagtäglich an ihm Sünde gethan wird!"
Unser Schulmeister war aufgesprungen, wie auch Jo- hannes zuvor, und warf sich dem Aufgebrachten hastig in die Arme, damit er nur nicht so weiter spreche. Er hatte eine Thräne im Auge und bat: "Johannes, hören Sie auf! in solchem Grade verdien' ich diese Vorwürfe nicht, ich habe immer gedacht und gesagt wie Sie auch -- aber da kommen die ältern klügern Leute, die das Leben aus Erfahrung kennen, das Volk auch lieb haben und nun das Bessere wollen, würdige Männer wie zum Beispiel unser Herr Pfarrer und sagen: Sie hätten, wie sie jung gewesen, auch gedacht wie wir, aber nun hätten sie sich die Hörner abgelaufen und sehen die Dinge anders an,
Johannes ſehr ernſt, „koͤnnen Sie praktiſch ſein, weil Sie Dichter ſind? auch von Jhnen, auch von der Jugend dieſe Frage? Und Jhr wundert Euch noch, daß das Le- ben oft ſo langweilig und elend iſt, daß alle Erbaͤrmlich- keiten und Verbrechen, daß alle Gemeinheiten darin freien Spielraum haben, indeß alles Edle und Hoͤhere ſich ſcheu in alle Winkel verkriechen moͤchte als ſei es nicht werth den Tag zu ſehen — Jhr wundert Euch noch daruͤber, wenn Jhr von vornherein nun alles Gemeine und Her- gebrachte fuͤr berechtigt erklaͤrt, das Schoͤne und Gute aber vom Leben ausſchließt, dem Volke vorenthalten wollt — o nicht das Volk iſt’s, welches Suͤnde thut! das iſt der Fluch, daß tagtaͤglich an ihm Suͤnde gethan wird!“
Unſer Schulmeiſter war aufgeſprungen, wie auch Jo- hannes zuvor, und warf ſich dem Aufgebrachten haſtig in die Arme, damit er nur nicht ſo weiter ſpreche. Er hatte eine Thraͤne im Auge und bat: „Johannes, hoͤren Sie auf! in ſolchem Grade verdien’ ich dieſe Vorwuͤrfe nicht, ich habe immer gedacht und geſagt wie Sie auch — aber da kommen die aͤltern kluͤgern Leute, die das Leben aus Erfahrung kennen, das Volk auch lieb haben und nun das Beſſere wollen, wuͤrdige Maͤnner wie zum Beiſpiel unſer Herr Pfarrer und ſagen: Sie haͤtten, wie ſie jung geweſen, auch gedacht wie wir, aber nun haͤtten ſie ſich die Hoͤrner abgelaufen und ſehen die Dinge anders an,
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Johannes ſehr ernſt, „koͤnnen Sie praktiſch ſein, weil Sie
Dichter ſind? auch von Jhnen, auch von der Jugend
dieſe Frage? Und Jhr wundert Euch noch, daß das Le-
ben oft ſo langweilig und elend iſt, daß alle Erbaͤrmlich-
keiten und Verbrechen, daß alle Gemeinheiten darin freien
Spielraum haben, indeß alles Edle und Hoͤhere ſich ſcheu
in alle Winkel verkriechen moͤchte als ſei es nicht werth
den Tag zu ſehen — Jhr wundert Euch noch daruͤber,
wenn Jhr von vornherein nun alles Gemeine und Her-
gebrachte fuͤr berechtigt erklaͤrt, das Schoͤne und Gute
aber vom Leben ausſchließt, dem Volke vorenthalten wollt
— o nicht das Volk iſt’s, welches Suͤnde thut! das iſt
der Fluch, daß tagtaͤglich an ihm Suͤnde gethan wird!“
Unſer Schulmeiſter war aufgeſprungen, wie auch Jo-
hannes zuvor, und warf ſich dem Aufgebrachten haſtig in
die Arme, damit er nur nicht ſo weiter ſpreche. Er hatte
eine Thraͤne im Auge und bat: „Johannes, hoͤren Sie
auf! in ſolchem Grade verdien’ ich dieſe Vorwuͤrfe nicht,
ich habe immer gedacht und geſagt wie Sie auch — aber
da kommen die aͤltern kluͤgern Leute, die das Leben aus
Erfahrung kennen, das Volk auch lieb haben und nun
das Beſſere wollen, wuͤrdige Maͤnner wie zum Beiſpiel
unſer Herr Pfarrer und ſagen: Sie haͤtten, wie ſie jung
geweſen, auch gedacht wie wir, aber nun haͤtten ſie ſich
die Hoͤrner abgelaufen und ſehen die Dinge anders an,
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/117>, abgerufen am 04.12.2024.
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