"Jnnen steckt der Schlüssel," sagte Johannes, "wozu habe ich denn Turnen gelernt, ich steig' über die Mauer und schließ von Jnnen auf."
"Nein, da wird der Kettenhund beißen," sagte sie ängstlich, "lieber wecke ich den Vater." --
"So locken Sie nur den Hund mit Jhrer Stimme, die er doch kennt, dort an die Lücke, da werde ich schon mit ihm fertig," sagte Johannes "und stand schon oben auf der Mauer, so daß sie ihn nicht mehr zurückhalten konnte und nur den Hund an der Lücke zuredete. So ging Alles gut. Johannes war in den Hof gesprungen und konnte nun Suschen hineinlassen; sie dankte ihm tausendmal und nahm, als er schon auf der Straße stand, mit einem langen Händedruck von ihm Abschied.
Wie er nun wieder allein vor sich hingeht, sieht er einen Mann auf der andern Seite der breiten Dorfgasse gehen, aber da es zu dunkel ist und er weiter nicht ste- hen blieb, erkennt er ihn nicht und geht vorüber. --
Johannes aber war von unserm Schulmeister erkannt worden, der auf seinem Heimweg vorhin an Suschens Wohnung vorüber gegangen war und schon lange gegen- über gestanden hatte, wo er im Schatten von beiden nicht gesehen worden war.
„Jnnen ſteckt der Schluͤſſel,“ ſagte Johannes, „wozu habe ich denn Turnen gelernt, ich ſteig’ uͤber die Mauer und ſchließ von Jnnen auf.“
„Nein, da wird der Kettenhund beißen,“ ſagte ſie aͤngſtlich, „lieber wecke ich den Vater.“ —
„So locken Sie nur den Hund mit Jhrer Stimme, die er doch kennt, dort an die Luͤcke, da werde ich ſchon mit ihm fertig,“ ſagte Johannes „und ſtand ſchon oben auf der Mauer, ſo daß ſie ihn nicht mehr zuruͤckhalten konnte und nur den Hund an der Luͤcke zuredete. So ging Alles gut. Johannes war in den Hof geſprungen und konnte nun Suschen hineinlaſſen; ſie dankte ihm tauſendmal und nahm, als er ſchon auf der Straße ſtand, mit einem langen Haͤndedruck von ihm Abſchied.
Wie er nun wieder allein vor ſich hingeht, ſieht er einen Mann auf der andern Seite der breiten Dorfgaſſe gehen, aber da es zu dunkel iſt und er weiter nicht ſte- hen blieb, erkennt er ihn nicht und geht voruͤber. —
Johannes aber war von unſerm Schulmeiſter erkannt worden, der auf ſeinem Heimweg vorhin an Suschens Wohnung voruͤber gegangen war und ſchon lange gegen- uͤber geſtanden hatte, wo er im Schatten von beiden nicht geſehen worden war.
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„Jnnen ſteckt der Schluͤſſel,“ ſagte Johannes, „wozu
habe ich denn Turnen gelernt, ich ſteig’ uͤber die Mauer
und ſchließ von Jnnen auf.“
„Nein, da wird der Kettenhund beißen,“ ſagte ſie
aͤngſtlich, „lieber wecke ich den Vater.“ —
„So locken Sie nur den Hund mit Jhrer Stimme,
die er doch kennt, dort an die Luͤcke, da werde ich ſchon
mit ihm fertig,“ ſagte Johannes „und ſtand ſchon oben
auf der Mauer, ſo daß ſie ihn nicht mehr zuruͤckhalten
konnte und nur den Hund an der Luͤcke zuredete. So
ging Alles gut. Johannes war in den Hof geſprungen
und konnte nun Suschen hineinlaſſen; ſie dankte ihm
tauſendmal und nahm, als er ſchon auf der Straße ſtand,
mit einem langen Haͤndedruck von ihm Abſchied.
Wie er nun wieder allein vor ſich hingeht, ſieht er
einen Mann auf der andern Seite der breiten Dorfgaſſe
gehen, aber da es zu dunkel iſt und er weiter nicht ſte-
hen blieb, erkennt er ihn nicht und geht voruͤber. —
Johannes aber war von unſerm Schulmeiſter erkannt
worden, der auf ſeinem Heimweg vorhin an Suschens
Wohnung voruͤber gegangen war und ſchon lange gegen-
uͤber geſtanden hatte, wo er im Schatten von beiden nicht
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/163>, abgerufen am 27.11.2024.
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