zierlichen schwarzen Sammetrock -- sondern vom Kopf bis zum Fuß in hellgraue Leinwand gekleidet, schwang er sich hinauf auf's Reck -- der Schulmeister behänd' wie eine Katze ihm nach, daß der Vogt ganz starr vor Stau- nen auf der Stelle, von der aus er ihnen zugesehen, wie angewurzelt stehen blieb.
"Die Gelenke sind mir doch noch nicht zu steif ge- worden, wenn ich auch lange nicht geturnt habe," sagte der Schulmeister, "ich habe schon noch Geschick genug, allenfalls auch noch einen Turnlehrer abzugeben."
"Nun, so lang' ich hier bin," sagte Johannes, "kann ich das Amt schon übernehmen; ich laufe ohnehin unter Euch herum wie ein Tagedieb, wenigstens komm' ich mir so vor, obwohl ich recht gut weiß, daß ich in meinem Leben kaum so fleißig gewesen bin, als eben jetzt. Wie aber ist so ein Lehrer dagegen belastet! von früh bis Abend dieselbe anstrengende Arbeit und für die größte Mühe den kärglichsten Lohn, für den schwersten und würdigsten Be- ruf oft eine unwürdige Stellung. Ja, aber was hilft das Alles! Klagen über Klagen werden laut und kom- men in Form von Petitionen auf die Landtage und in die Kammern -- aber es ist eben Alles vergebens. -- Weiß der Himmel, wenn es einmal anders werden wird -- daß es aber einmal anders und besser werden muß, ist ge- wiß. Einstweilen, da die neue, bessere Zeit nicht mit Eins
zierlichen ſchwarzen Sammetrock — ſondern vom Kopf bis zum Fuß in hellgraue Leinwand gekleidet, ſchwang er ſich hinauf auf’s Reck — der Schulmeiſter behaͤnd’ wie eine Katze ihm nach, daß der Vogt ganz ſtarr vor Stau- nen auf der Stelle, von der aus er ihnen zugeſehen, wie angewurzelt ſtehen blieb.
„Die Gelenke ſind mir doch noch nicht zu ſteif ge- worden, wenn ich auch lange nicht geturnt habe,“ ſagte der Schulmeiſter, „ich habe ſchon noch Geſchick genug, allenfalls auch noch einen Turnlehrer abzugeben.“
„Nun, ſo lang’ ich hier bin,“ ſagte Johannes, „kann ich das Amt ſchon uͤbernehmen; ich laufe ohnehin unter Euch herum wie ein Tagedieb, wenigſtens komm’ ich mir ſo vor, obwohl ich recht gut weiß, daß ich in meinem Leben kaum ſo fleißig geweſen bin, als eben jetzt. Wie aber iſt ſo ein Lehrer dagegen belaſtet! von fruͤh bis Abend dieſelbe anſtrengende Arbeit und fuͤr die groͤßte Muͤhe den kaͤrglichſten Lohn, fuͤr den ſchwerſten und wuͤrdigſten Be- ruf oft eine unwuͤrdige Stellung. Ja, aber was hilft das Alles! Klagen uͤber Klagen werden laut und kom- men in Form von Petitionen auf die Landtage und in die Kammern — aber es iſt eben Alles vergebens. — Weiß der Himmel, wenn es einmal anders werden wird — daß es aber einmal anders und beſſer werden muß, iſt ge- wiß. Einſtweilen, da die neue, beſſere Zeit nicht mit Eins
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zierlichen ſchwarzen Sammetrock — ſondern vom Kopf
bis zum Fuß in hellgraue Leinwand gekleidet, ſchwang er
ſich hinauf auf’s Reck — der Schulmeiſter behaͤnd’ wie
eine Katze ihm nach, daß der Vogt ganz ſtarr vor Stau-
nen auf der Stelle, von der aus er ihnen zugeſehen, wie
angewurzelt ſtehen blieb.
„Die Gelenke ſind mir doch noch nicht zu ſteif ge-
worden, wenn ich auch lange nicht geturnt habe,“ ſagte
der Schulmeiſter, „ich habe ſchon noch Geſchick genug,
allenfalls auch noch einen Turnlehrer abzugeben.“
„Nun, ſo lang’ ich hier bin,“ ſagte Johannes, „kann
ich das Amt ſchon uͤbernehmen; ich laufe ohnehin unter
Euch herum wie ein Tagedieb, wenigſtens komm’ ich mir
ſo vor, obwohl ich recht gut weiß, daß ich in meinem
Leben kaum ſo fleißig geweſen bin, als eben jetzt. Wie
aber iſt ſo ein Lehrer dagegen belaſtet! von fruͤh bis Abend
dieſelbe anſtrengende Arbeit und fuͤr die groͤßte Muͤhe den
kaͤrglichſten Lohn, fuͤr den ſchwerſten und wuͤrdigſten Be-
ruf oft eine unwuͤrdige Stellung. Ja, aber was hilft
das Alles! Klagen uͤber Klagen werden laut und kom-
men in Form von Petitionen auf die Landtage und in
die Kammern — aber es iſt eben Alles vergebens. —
Weiß der Himmel, wenn es einmal anders werden wird —
daß es aber einmal anders und beſſer werden muß, iſt ge-
wiß. Einſtweilen, da die neue, beſſere Zeit nicht mit Eins
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/198>, abgerufen am 23.11.2024.
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