Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

war nach diesen Versprechungen gehandelt worden -- aber
eben gerade deshalb hatte der widerspenstige Christlieb,
der sich andere Jahre mit einer einzigen Maie vor seinem
Haus begnügt, dies Jahr eine ganze doppelte Reihe da-
von aufpflanzen lassen. Man wußte recht gut, daß es
nicht Anhänglichkeit an eine alte Sitte sei, sondern nur
Trotz gegen diejenigen, die es anders gewollt hatten; er
selbst wollte dadurch den Leuten beweisen, er mache, was
ihm gut dünkte und schere sich um Niemand im Dorfe
Etwas, weder um den Pfarrer, noch den Richter, am
Wenigsten um Johannes und den Schulmeister. Dieser
ward nun ganz aufgebracht von solchem Hohn und wußte
vor Aerger nicht, was beginnen. Ganz ingrimmig stand
er am Fenster und schaute mit zuckenden Händen hinaus.

Der Johannistag war aus der Reihe der privilegirten
Feiertage gestrichen, aber es war auch jeder Gemeinde
frei gegeben, ihn mit einer kirchlichen Feier, wie in alter
Zeit, zu begehen. Unser Pfarrer gehörte nun nicht zu den
gewöhnlichen und trägen Geistlichen, welche froh sind,
wenn sie sich einmal eine Predigt ersparen können -- ihm
war es ein Ernst um den Dienst im Reich der allge-
meinen Bruderliebe, dazu er berufen war. Er freute sich
darüber, daß seine Gemeinde ihn angegangen war, auch
am Johannistag zu predigen und hielt am Morgen Got-

war nach dieſen Verſprechungen gehandelt worden — aber
eben gerade deshalb hatte der widerſpenſtige Chriſtlieb,
der ſich andere Jahre mit einer einzigen Maie vor ſeinem
Haus begnuͤgt, dies Jahr eine ganze doppelte Reihe da-
von aufpflanzen laſſen. Man wußte recht gut, daß es
nicht Anhaͤnglichkeit an eine alte Sitte ſei, ſondern nur
Trotz gegen diejenigen, die es anders gewollt hatten; er
ſelbſt wollte dadurch den Leuten beweiſen, er mache, was
ihm gut duͤnkte und ſchere ſich um Niemand im Dorfe
Etwas, weder um den Pfarrer, noch den Richter, am
Wenigſten um Johannes und den Schulmeiſter. Dieſer
ward nun ganz aufgebracht von ſolchem Hohn und wußte
vor Aerger nicht, was beginnen. Ganz ingrimmig ſtand
er am Fenſter und ſchaute mit zuckenden Haͤnden hinaus.

Der Johannistag war aus der Reihe der privilegirten
Feiertage geſtrichen, aber es war auch jeder Gemeinde
frei gegeben, ihn mit einer kirchlichen Feier, wie in alter
Zeit, zu begehen. Unſer Pfarrer gehoͤrte nun nicht zu den
gewoͤhnlichen und traͤgen Geiſtlichen, welche froh ſind,
wenn ſie ſich einmal eine Predigt erſparen koͤnnen — ihm
war es ein Ernſt um den Dienſt im Reich der allge-
meinen Bruderliebe, dazu er berufen war. Er freute ſich
daruͤber, daß ſeine Gemeinde ihn angegangen war, auch
am Johannistag zu predigen und hielt am Morgen Got-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0212" n="204"/>
war nach die&#x017F;en Ver&#x017F;prechungen gehandelt worden &#x2014; aber<lb/>
eben gerade deshalb hatte der wider&#x017F;pen&#x017F;tige Chri&#x017F;tlieb,<lb/>
der &#x017F;ich andere Jahre mit einer einzigen Maie vor &#x017F;einem<lb/>
Haus begnu&#x0364;gt, dies Jahr eine ganze doppelte Reihe da-<lb/>
von aufpflanzen la&#x017F;&#x017F;en. Man wußte recht gut, daß es<lb/>
nicht Anha&#x0364;nglichkeit an eine alte Sitte &#x017F;ei, &#x017F;ondern nur<lb/>
Trotz gegen diejenigen, die es anders gewollt hatten; er<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wollte dadurch den Leuten bewei&#x017F;en, er mache, was<lb/>
ihm gut du&#x0364;nkte und &#x017F;chere &#x017F;ich um Niemand im Dorfe<lb/>
Etwas, weder um den Pfarrer, noch den Richter, am<lb/>
Wenig&#x017F;ten um Johannes und den Schulmei&#x017F;ter. Die&#x017F;er<lb/>
ward nun ganz aufgebracht von &#x017F;olchem Hohn und wußte<lb/>
vor Aerger nicht, was beginnen. Ganz ingrimmig &#x017F;tand<lb/>
er am Fen&#x017F;ter und &#x017F;chaute mit zuckenden Ha&#x0364;nden hinaus.</p><lb/>
        <p>Der Johannistag war aus der Reihe der privilegirten<lb/>
Feiertage ge&#x017F;trichen, aber es war auch jeder Gemeinde<lb/>
frei gegeben, ihn mit einer kirchlichen Feier, wie in alter<lb/>
Zeit, zu begehen. Un&#x017F;er Pfarrer geho&#x0364;rte nun nicht zu den<lb/>
gewo&#x0364;hnlichen und tra&#x0364;gen Gei&#x017F;tlichen, welche froh &#x017F;ind,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ich einmal eine Predigt er&#x017F;paren ko&#x0364;nnen &#x2014; ihm<lb/>
war es ein Ern&#x017F;t um den Dien&#x017F;t im Reich der allge-<lb/>
meinen Bruderliebe, dazu er berufen war. Er freute &#x017F;ich<lb/>
daru&#x0364;ber, daß &#x017F;eine Gemeinde ihn angegangen war, auch<lb/>
am Johannistag zu predigen und hielt am Morgen Got-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0212] war nach dieſen Verſprechungen gehandelt worden — aber eben gerade deshalb hatte der widerſpenſtige Chriſtlieb, der ſich andere Jahre mit einer einzigen Maie vor ſeinem Haus begnuͤgt, dies Jahr eine ganze doppelte Reihe da- von aufpflanzen laſſen. Man wußte recht gut, daß es nicht Anhaͤnglichkeit an eine alte Sitte ſei, ſondern nur Trotz gegen diejenigen, die es anders gewollt hatten; er ſelbſt wollte dadurch den Leuten beweiſen, er mache, was ihm gut duͤnkte und ſchere ſich um Niemand im Dorfe Etwas, weder um den Pfarrer, noch den Richter, am Wenigſten um Johannes und den Schulmeiſter. Dieſer ward nun ganz aufgebracht von ſolchem Hohn und wußte vor Aerger nicht, was beginnen. Ganz ingrimmig ſtand er am Fenſter und ſchaute mit zuckenden Haͤnden hinaus. Der Johannistag war aus der Reihe der privilegirten Feiertage geſtrichen, aber es war auch jeder Gemeinde frei gegeben, ihn mit einer kirchlichen Feier, wie in alter Zeit, zu begehen. Unſer Pfarrer gehoͤrte nun nicht zu den gewoͤhnlichen und traͤgen Geiſtlichen, welche froh ſind, wenn ſie ſich einmal eine Predigt erſparen koͤnnen — ihm war es ein Ernſt um den Dienſt im Reich der allge- meinen Bruderliebe, dazu er berufen war. Er freute ſich daruͤber, daß ſeine Gemeinde ihn angegangen war, auch am Johannistag zu predigen und hielt am Morgen Got-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/212
Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/212>, abgerufen am 23.11.2024.