Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

eingetreten und hatte sich schweigend an Johannes Seite
gestellt; sie legte ihre Hand wie segnend auf seine hohe
klare Stirn und sagte: "Ja lieber Johannes, ich weiß es
auch, was eine Mutter fühlt und leidet um ihre Kinder!
Jch und die gute Frau Eva, wir haben einander oft unsre
Noth geklagt, wie mir die beiden Töchter fortgezogen wa-
ren und wie sie von Euch, ihrem Einzigen, nicht wußte,
ob sie ihn je wiedersehen werde oder nicht. Ach, ich
weiß es wohl, es giebt viele Kinder, Söhne zumal, die
ihre Mutter vergessen, die hochmüthig von der alten
Frau sich wenden, die ihnen einst das Leben gab und
mehr! ihr Bestes, eignes Leben, setzte sie für die Kinder
ein und zu unter täglichen und nächtlichen Wachen und
Sorgen. Aber die Kinder denken, wenn sie groß gewor-
den sind, entweder gar nicht mehr daran oder sie denken,
das hat Alles eben nur so sein müssen! sie wissen's der
Mutter keinen Dank und vergelten mit Gleichgültigkeit
und Kälte ihre aufopfernde Liebe! -- Seht Johannes,
das hat mich von Euch so gefreut, daß Jhr anders seid
wie diese Söhne! "Nehmt es mir nicht übel, daß ich so
frei zu Euch herausrede, aber ich bin auch eine Mutter
und hab' schon ein Recht dazu, so mit Euch zu sprechen.
Wenn mir Mutter Eva nicht eifersüchtig würde, so möcht'
ich schon sagen, Jhr seid wie mein eig'ner Sohn, denn
so lieb hab ich Euch, daß ich wollte, Jhr wäret's. So

eingetreten und hatte ſich ſchweigend an Johannes Seite
geſtellt; ſie legte ihre Hand wie ſegnend auf ſeine hohe
klare Stirn und ſagte: „Ja lieber Johannes, ich weiß es
auch, was eine Mutter fuͤhlt und leidet um ihre Kinder!
Jch und die gute Frau Eva, wir haben einander oft unſre
Noth geklagt, wie mir die beiden Toͤchter fortgezogen wa-
ren und wie ſie von Euch, ihrem Einzigen, nicht wußte,
ob ſie ihn je wiederſehen werde oder nicht. Ach, ich
weiß es wohl, es giebt viele Kinder, Soͤhne zumal, die
ihre Mutter vergeſſen, die hochmuͤthig von der alten
Frau ſich wenden, die ihnen einſt das Leben gab und
mehr! ihr Beſtes, eignes Leben, ſetzte ſie fuͤr die Kinder
ein und zu unter taͤglichen und naͤchtlichen Wachen und
Sorgen. Aber die Kinder denken, wenn ſie groß gewor-
den ſind, entweder gar nicht mehr daran oder ſie denken,
das hat Alles eben nur ſo ſein muͤſſen! ſie wiſſen’s der
Mutter keinen Dank und vergelten mit Gleichguͤltigkeit
und Kaͤlte ihre aufopfernde Liebe! — Seht Johannes,
das hat mich von Euch ſo gefreut, daß Jhr anders ſeid
wie dieſe Soͤhne! „Nehmt es mir nicht uͤbel, daß ich ſo
frei zu Euch herausrede, aber ich bin auch eine Mutter
und hab’ ſchon ein Recht dazu, ſo mit Euch zu ſprechen.
Wenn mir Mutter Eva nicht eiferſuͤchtig wuͤrde, ſo moͤcht’
ich ſchon ſagen, Jhr ſeid wie mein eig’ner Sohn, denn
ſo lieb hab ich Euch, daß ich wollte, Jhr waͤret’s. So

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0246" n="238"/>
eingetreten und hatte &#x017F;ich &#x017F;chweigend an Johannes Seite<lb/>
ge&#x017F;tellt; &#x017F;ie legte ihre Hand wie &#x017F;egnend auf &#x017F;eine hohe<lb/>
klare Stirn und &#x017F;agte: &#x201E;Ja lieber Johannes, ich weiß es<lb/>
auch, was eine Mutter fu&#x0364;hlt und leidet um ihre Kinder!<lb/>
Jch und die gute Frau Eva, wir haben einander oft un&#x017F;re<lb/>
Noth geklagt, wie mir die beiden To&#x0364;chter fortgezogen wa-<lb/>
ren und wie &#x017F;ie von Euch, ihrem Einzigen, nicht wußte,<lb/>
ob &#x017F;ie ihn je wieder&#x017F;ehen werde oder nicht. Ach, ich<lb/>
weiß es wohl, es giebt viele Kinder, So&#x0364;hne zumal, die<lb/>
ihre Mutter verge&#x017F;&#x017F;en, die hochmu&#x0364;thig von der alten<lb/>
Frau &#x017F;ich wenden, die ihnen ein&#x017F;t das Leben gab und<lb/>
mehr! ihr Be&#x017F;tes, eignes Leben, &#x017F;etzte &#x017F;ie fu&#x0364;r die Kinder<lb/>
ein und zu unter ta&#x0364;glichen und na&#x0364;chtlichen Wachen und<lb/>
Sorgen. Aber die Kinder denken, wenn &#x017F;ie groß gewor-<lb/>
den &#x017F;ind, entweder gar nicht mehr daran oder &#x017F;ie denken,<lb/>
das hat Alles eben nur &#x017F;o &#x017F;ein mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en! &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en&#x2019;s der<lb/>
Mutter keinen Dank und vergelten mit Gleichgu&#x0364;ltigkeit<lb/>
und Ka&#x0364;lte ihre aufopfernde Liebe! &#x2014; Seht Johannes,<lb/>
das hat mich von Euch &#x017F;o gefreut, daß Jhr anders &#x017F;eid<lb/>
wie die&#x017F;e So&#x0364;hne! &#x201E;Nehmt es mir nicht u&#x0364;bel, daß ich &#x017F;o<lb/>
frei zu Euch herausrede, aber ich bin auch eine Mutter<lb/>
und hab&#x2019; &#x017F;chon ein Recht dazu, &#x017F;o mit Euch zu &#x017F;prechen.<lb/>
Wenn mir Mutter Eva nicht eifer&#x017F;u&#x0364;chtig wu&#x0364;rde, &#x017F;o mo&#x0364;cht&#x2019;<lb/>
ich &#x017F;chon &#x017F;agen, Jhr &#x017F;eid wie mein eig&#x2019;ner Sohn, denn<lb/>
&#x017F;o lieb hab ich Euch, daß ich wollte, Jhr wa&#x0364;ret&#x2019;s. So<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0246] eingetreten und hatte ſich ſchweigend an Johannes Seite geſtellt; ſie legte ihre Hand wie ſegnend auf ſeine hohe klare Stirn und ſagte: „Ja lieber Johannes, ich weiß es auch, was eine Mutter fuͤhlt und leidet um ihre Kinder! Jch und die gute Frau Eva, wir haben einander oft unſre Noth geklagt, wie mir die beiden Toͤchter fortgezogen wa- ren und wie ſie von Euch, ihrem Einzigen, nicht wußte, ob ſie ihn je wiederſehen werde oder nicht. Ach, ich weiß es wohl, es giebt viele Kinder, Soͤhne zumal, die ihre Mutter vergeſſen, die hochmuͤthig von der alten Frau ſich wenden, die ihnen einſt das Leben gab und mehr! ihr Beſtes, eignes Leben, ſetzte ſie fuͤr die Kinder ein und zu unter taͤglichen und naͤchtlichen Wachen und Sorgen. Aber die Kinder denken, wenn ſie groß gewor- den ſind, entweder gar nicht mehr daran oder ſie denken, das hat Alles eben nur ſo ſein muͤſſen! ſie wiſſen’s der Mutter keinen Dank und vergelten mit Gleichguͤltigkeit und Kaͤlte ihre aufopfernde Liebe! — Seht Johannes, das hat mich von Euch ſo gefreut, daß Jhr anders ſeid wie dieſe Soͤhne! „Nehmt es mir nicht uͤbel, daß ich ſo frei zu Euch herausrede, aber ich bin auch eine Mutter und hab’ ſchon ein Recht dazu, ſo mit Euch zu ſprechen. Wenn mir Mutter Eva nicht eiferſuͤchtig wuͤrde, ſo moͤcht’ ich ſchon ſagen, Jhr ſeid wie mein eig’ner Sohn, denn ſo lieb hab ich Euch, daß ich wollte, Jhr waͤret’s. So

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/246
Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/246>, abgerufen am 23.11.2024.