gelassen. Jch sagte Alles, was ich sagen konnte -- ich sprach nicht als Freund des Gefangenen oder seiner Mutter, sondern nur als Seelsorger meiner Gemeinde, als Christ, als Vater, als Mensch. Es war Alles um- sonst. Jch will es nicht wiederholen, wie schnöde ich abgewiesen ward!"
Bleicher Schrecken lag auf allen Gesichtern der Um- stehenden -- aus Traugotts vor Wuth zitternden Lippen rang sich ein Fluch -- Mutter Eva stöhnte und flehte um den Tod -- sie hatte nicht verstanden, was der Pfar- rer gesagt, aber sie ahnte Alles und rief: "Sagt's nur seinen Henkern, daß sie mich ermorden -- ich kann ja so nicht sterben! -- Johannes, Johanneslein!" --
So ging es fort und fort, bis der Abend kam, und so ging es fort die ganze lange Nacht durch. Suschen und Laura wachten vereint bei Mutter Eva. Sie konnte keine Ruhe finden, Nichts genießen, auch nicht sprechen -- aber auch nicht sterben. Sie winselte nur in Einem fort und wenn man auch keine Worte mehr hörte, so wußte man doch, warum sie winselte und wonach sie verlangte. --
Wie der Tag graute, sagte Suschen: "Jch kann es nicht mehr aushalten, versuchen muß ich's, was ich ver- mag. Es sind ja auch Menschen. Der Herr Amtmann hat eine Frau, die auch einen Sohn hat; ich will zu
gelaſſen. Jch ſagte Alles, was ich ſagen konnte — ich ſprach nicht als Freund des Gefangenen oder ſeiner Mutter, ſondern nur als Seelſorger meiner Gemeinde, als Chriſt, als Vater, als Menſch. Es war Alles um- ſonſt. Jch will es nicht wiederholen, wie ſchnoͤde ich abgewieſen ward!“
Bleicher Schrecken lag auf allen Geſichtern der Um- ſtehenden — aus Traugotts vor Wuth zitternden Lippen rang ſich ein Fluch — Mutter Eva ſtoͤhnte und flehte um den Tod — ſie hatte nicht verſtanden, was der Pfar- rer geſagt, aber ſie ahnte Alles und rief: „Sagt’s nur ſeinen Henkern, daß ſie mich ermorden — ich kann ja ſo nicht ſterben! — Johannes, Johanneslein!“ —
So ging es fort und fort, bis der Abend kam, und ſo ging es fort die ganze lange Nacht durch. Suschen und Laura wachten vereint bei Mutter Eva. Sie konnte keine Ruhe finden, Nichts genießen, auch nicht ſprechen — aber auch nicht ſterben. Sie winſelte nur in Einem fort und wenn man auch keine Worte mehr hoͤrte, ſo wußte man doch, warum ſie winſelte und wonach ſie verlangte. —
Wie der Tag graute, ſagte Suschen: „Jch kann es nicht mehr aushalten, verſuchen muß ich’s, was ich ver- mag. Es ſind ja auch Menſchen. Der Herr Amtmann hat eine Frau, die auch einen Sohn hat; ich will zu
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0310"n="302"/>
gelaſſen. Jch ſagte Alles, was ich ſagen konnte —<lb/>
ich ſprach nicht als Freund des Gefangenen oder ſeiner<lb/>
Mutter, ſondern nur als Seelſorger meiner Gemeinde,<lb/>
als Chriſt, als Vater, als Menſch. Es war Alles um-<lb/>ſonſt. Jch will es nicht wiederholen, wie ſchnoͤde ich<lb/>
abgewieſen ward!“</p><lb/><p>Bleicher Schrecken lag auf allen Geſichtern der Um-<lb/>ſtehenden — aus Traugotts vor Wuth zitternden Lippen<lb/>
rang ſich ein Fluch — Mutter Eva ſtoͤhnte und flehte<lb/>
um den Tod —ſie hatte nicht verſtanden, was der Pfar-<lb/>
rer geſagt, aber ſie ahnte Alles und rief: „Sagt’s nur<lb/>ſeinen Henkern, daß ſie mich ermorden — ich kann ja<lb/>ſo nicht ſterben! — Johannes, Johanneslein!“—</p><lb/><p>So ging es fort und fort, bis der Abend kam, und<lb/>ſo ging es fort die ganze lange Nacht durch. Suschen<lb/>
und Laura wachten vereint bei Mutter Eva. Sie konnte<lb/>
keine Ruhe finden, Nichts genießen, auch nicht ſprechen —<lb/>
aber auch nicht ſterben. Sie winſelte nur in Einem<lb/>
fort und wenn man auch keine Worte mehr hoͤrte, ſo<lb/>
wußte man doch, warum ſie winſelte und wonach ſie<lb/>
verlangte. —</p><lb/><p>Wie der Tag graute, ſagte Suschen: „Jch kann es<lb/>
nicht mehr aushalten, verſuchen muß ich’s, was ich ver-<lb/>
mag. Es ſind ja auch Menſchen. Der Herr Amtmann<lb/>
hat eine Frau, die auch einen Sohn hat; ich will zu<lb/></p></div></body></text></TEI>
[302/0310]
gelaſſen. Jch ſagte Alles, was ich ſagen konnte —
ich ſprach nicht als Freund des Gefangenen oder ſeiner
Mutter, ſondern nur als Seelſorger meiner Gemeinde,
als Chriſt, als Vater, als Menſch. Es war Alles um-
ſonſt. Jch will es nicht wiederholen, wie ſchnoͤde ich
abgewieſen ward!“
Bleicher Schrecken lag auf allen Geſichtern der Um-
ſtehenden — aus Traugotts vor Wuth zitternden Lippen
rang ſich ein Fluch — Mutter Eva ſtoͤhnte und flehte
um den Tod — ſie hatte nicht verſtanden, was der Pfar-
rer geſagt, aber ſie ahnte Alles und rief: „Sagt’s nur
ſeinen Henkern, daß ſie mich ermorden — ich kann ja
ſo nicht ſterben! — Johannes, Johanneslein!“ —
So ging es fort und fort, bis der Abend kam, und
ſo ging es fort die ganze lange Nacht durch. Suschen
und Laura wachten vereint bei Mutter Eva. Sie konnte
keine Ruhe finden, Nichts genießen, auch nicht ſprechen —
aber auch nicht ſterben. Sie winſelte nur in Einem
fort und wenn man auch keine Worte mehr hoͤrte, ſo
wußte man doch, warum ſie winſelte und wonach ſie
verlangte. —
Wie der Tag graute, ſagte Suschen: „Jch kann es
nicht mehr aushalten, verſuchen muß ich’s, was ich ver-
mag. Es ſind ja auch Menſchen. Der Herr Amtmann
hat eine Frau, die auch einen Sohn hat; ich will zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/310>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.