ihr gehen, eine Mutter muß doch wissen, was eine Mut- ter fühlt und Mitleid haben. Sie wird ihren Mann schon bereden können, daß er thut, was sie bittet -- nun hat ja das Elend auch noch einen Tag länger gedauert -- nun werden sie barmherziger sein!" --
Und Suschen ging in die Stadt. Es gelang ihr auch, die Frau Amtmann zu sprechen. Aber die vor- nehme Mutter in der Stadt, die ihren Sohn auch sehr lieb hatte, mußte doch denken, die Mutter auf dem Lande sei aus anderm Stoff gemacht, denn sie --: un- erhört wies sie Suschen ab, da könne sie sich nicht hinein- wagen, Suschen möge selber auf's Amt gehen. Suschen ging dahin -- um zur Thür hinausgeworfen zu werden. --
Voll Verzweiflung kehrte sie in's Dorf zurück. Mut- ter Eva lebte noch unter fürchterlichen Qualen einen Tag -- dann starb sie den langsamen, qualvollen Tod unerfüllter Sehnsucht. Jn den letzten Angenblicken kehrte ihr volles Bewußtsein und auch die Sprache wieder. Sie sagte zu dem Pfarrer, der an ihrem Bette stand: "Sagen Sie zu meinem Johanneslein, daß ich ihm Alles vergeben habe -- aber denen, die jetzt kein Erbarmen haben mit mir und ihm, vergeb ich nicht! Geben Sie meinen Se- gen dem Johannes!" --
So hatte Mutter Eva in drei Tagen endlich den schwersten Todeskampf ausgerungen. --
ihr gehen, eine Mutter muß doch wiſſen, was eine Mut- ter fuͤhlt und Mitleid haben. Sie wird ihren Mann ſchon bereden koͤnnen, daß er thut, was ſie bittet — nun hat ja das Elend auch noch einen Tag laͤnger gedauert — nun werden ſie barmherziger ſein!“ —
Und Suschen ging in die Stadt. Es gelang ihr auch, die Frau Amtmann zu ſprechen. Aber die vor- nehme Mutter in der Stadt, die ihren Sohn auch ſehr lieb hatte, mußte doch denken, die Mutter auf dem Lande ſei aus anderm Stoff gemacht, denn ſie —: un- erhoͤrt wies ſie Suschen ab, da koͤnne ſie ſich nicht hinein- wagen, Suschen moͤge ſelber auf’s Amt gehen. Suschen ging dahin — um zur Thuͤr hinausgeworfen zu werden. —
Voll Verzweiflung kehrte ſie in’s Dorf zuruͤck. Mut- ter Eva lebte noch unter fuͤrchterlichen Qualen einen Tag — dann ſtarb ſie den langſamen, qualvollen Tod unerfuͤllter Sehnſucht. Jn den letzten Angenblicken kehrte ihr volles Bewußtſein und auch die Sprache wieder. Sie ſagte zu dem Pfarrer, der an ihrem Bette ſtand: „Sagen Sie zu meinem Johanneslein, daß ich ihm Alles vergeben habe — aber denen, die jetzt kein Erbarmen haben mit mir und ihm, vergeb ich nicht! Geben Sie meinen Se- gen dem Johannes!“ —
So hatte Mutter Eva in drei Tagen endlich den ſchwerſten Todeskampf ausgerungen. —
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0311"n="303"/>
ihr gehen, eine Mutter muß doch wiſſen, was eine Mut-<lb/>
ter fuͤhlt und Mitleid haben. Sie wird ihren Mann<lb/>ſchon bereden koͤnnen, daß er thut, was ſie bittet — nun<lb/>
hat ja das Elend auch noch einen Tag laͤnger gedauert<lb/>— nun werden ſie barmherziger ſein!“—</p><lb/><p>Und Suschen ging in die Stadt. Es gelang ihr<lb/>
auch, die Frau Amtmann zu ſprechen. Aber die vor-<lb/>
nehme Mutter in der Stadt, die ihren Sohn auch ſehr<lb/>
lieb hatte, mußte doch denken, die Mutter auf dem<lb/>
Lande ſei aus anderm Stoff gemacht, denn ſie —: un-<lb/>
erhoͤrt wies ſie Suschen ab, da koͤnne ſie ſich nicht hinein-<lb/>
wagen, Suschen moͤge ſelber auf’s Amt gehen. Suschen<lb/>
ging dahin — um zur Thuͤr hinausgeworfen zu werden. —</p><lb/><p>Voll Verzweiflung kehrte ſie in’s Dorf zuruͤck. Mut-<lb/>
ter Eva lebte noch unter fuͤrchterlichen Qualen einen<lb/>
Tag — dann ſtarb ſie den langſamen, qualvollen Tod<lb/>
unerfuͤllter Sehnſucht. Jn den letzten Angenblicken kehrte<lb/>
ihr volles Bewußtſein und auch die Sprache wieder. Sie<lb/>ſagte zu dem Pfarrer, der an ihrem Bette ſtand: „Sagen<lb/>
Sie zu meinem Johanneslein, daß ich ihm Alles vergeben<lb/>
habe — aber denen, die jetzt kein Erbarmen haben mit<lb/>
mir und ihm, vergeb ich nicht! Geben Sie meinen Se-<lb/>
gen dem Johannes!“—</p><lb/><p>So hatte Mutter Eva in drei Tagen endlich den<lb/>ſchwerſten Todeskampf ausgerungen. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></body></text></TEI>
[303/0311]
ihr gehen, eine Mutter muß doch wiſſen, was eine Mut-
ter fuͤhlt und Mitleid haben. Sie wird ihren Mann
ſchon bereden koͤnnen, daß er thut, was ſie bittet — nun
hat ja das Elend auch noch einen Tag laͤnger gedauert
— nun werden ſie barmherziger ſein!“ —
Und Suschen ging in die Stadt. Es gelang ihr
auch, die Frau Amtmann zu ſprechen. Aber die vor-
nehme Mutter in der Stadt, die ihren Sohn auch ſehr
lieb hatte, mußte doch denken, die Mutter auf dem
Lande ſei aus anderm Stoff gemacht, denn ſie —: un-
erhoͤrt wies ſie Suschen ab, da koͤnne ſie ſich nicht hinein-
wagen, Suschen moͤge ſelber auf’s Amt gehen. Suschen
ging dahin — um zur Thuͤr hinausgeworfen zu werden. —
Voll Verzweiflung kehrte ſie in’s Dorf zuruͤck. Mut-
ter Eva lebte noch unter fuͤrchterlichen Qualen einen
Tag — dann ſtarb ſie den langſamen, qualvollen Tod
unerfuͤllter Sehnſucht. Jn den letzten Angenblicken kehrte
ihr volles Bewußtſein und auch die Sprache wieder. Sie
ſagte zu dem Pfarrer, der an ihrem Bette ſtand: „Sagen
Sie zu meinem Johanneslein, daß ich ihm Alles vergeben
habe — aber denen, die jetzt kein Erbarmen haben mit
mir und ihm, vergeb ich nicht! Geben Sie meinen Se-
gen dem Johannes!“ —
So hatte Mutter Eva in drei Tagen endlich den
ſchwerſten Todeskampf ausgerungen. —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/311>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.