Johannes sank vernichtet auf sein Strohlager nieder und wühlte seinen Kopf tief hinein. Der Gefangenwär- ter warf einen hämischen Blick auf den Unglücklichen, den er durch eine freche Lüge so zu Boden geschmettert hatte und verließ das Gemach.
Das freilich war keine Lüge, daß Mutter Eva vor- gestern begraben worden war, und daß der Pfarrer dies un- serm Johannes mittheilte. Aber die Art dieser Mittheilung war eine ganz andere geworden, als wie sie hätte sein sollen.
Der würdige Pfarrer hatte an Johannes einen Brief voll christlicher Milde und Ergebung geschrieben, in dem er ihm, nachdem er mehrmals vergeblich versucht hatte, persönlich zu ihm gelassen zu werden, den Tod und das Begräbniß von Mutter Eva mittheilte. Er hatte dies in seinem Brief auf die schonendste Weise gethan. Er hatte gesucht, die Schuld dieses Todes auf Mutter Eva's hohes Alter überhaupt und ihre zunehmende Altersschwäche zu übertragen. Wohl erwähnte er des Schmerzes, den Mutter Eva empfunden, daß sie ihren Sohn nicht noch einmal habe sehen können, aber er schrieb auch, wie sein Name ihr letztes Wort gewesen und wie sie ihren heilig- sten und liebevollsten Muttersegen in seiner, des Pfarrers Hände gelegt habe. Sie habe ihm Alles, Alles vergeben -- aber er verschwieg, daß sie seinen Feinden dabei geflucht habe.
Dieser Brief, welchen die frömmste Gottergebenheit
Johannes ſank vernichtet auf ſein Strohlager nieder und wuͤhlte ſeinen Kopf tief hinein. Der Gefangenwaͤr- ter warf einen haͤmiſchen Blick auf den Ungluͤcklichen, den er durch eine freche Luͤge ſo zu Boden geſchmettert hatte und verließ das Gemach.
Das freilich war keine Luͤge, daß Mutter Eva vor- geſtern begraben worden war, und daß der Pfarrer dies un- ſerm Johannes mittheilte. Aber die Art dieſer Mittheilung war eine ganz andere geworden, als wie ſie haͤtte ſein ſollen.
Der wuͤrdige Pfarrer hatte an Johannes einen Brief voll chriſtlicher Milde und Ergebung geſchrieben, in dem er ihm, nachdem er mehrmals vergeblich verſucht hatte, perſoͤnlich zu ihm gelaſſen zu werden, den Tod und das Begraͤbniß von Mutter Eva mittheilte. Er hatte dies in ſeinem Brief auf die ſchonendſte Weiſe gethan. Er hatte geſucht, die Schuld dieſes Todes auf Mutter Eva’s hohes Alter uͤberhaupt und ihre zunehmende Altersſchwaͤche zu uͤbertragen. Wohl erwaͤhnte er des Schmerzes, den Mutter Eva empfunden, daß ſie ihren Sohn nicht noch einmal habe ſehen koͤnnen, aber er ſchrieb auch, wie ſein Name ihr letztes Wort geweſen und wie ſie ihren heilig- ſten und liebevollſten Mutterſegen in ſeiner, des Pfarrers Haͤnde gelegt habe. Sie habe ihm Alles, Alles vergeben — aber er verſchwieg, daß ſie ſeinen Feinden dabei geflucht habe.
Dieſer Brief, welchen die froͤmmſte Gottergebenheit
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0314"n="306"/><p>Johannes ſank vernichtet auf ſein Strohlager nieder<lb/>
und wuͤhlte ſeinen Kopf tief hinein. Der Gefangenwaͤr-<lb/>
ter warf einen haͤmiſchen Blick auf den Ungluͤcklichen, den<lb/>
er durch eine freche Luͤge ſo zu Boden geſchmettert hatte<lb/>
und verließ das Gemach.</p><lb/><p>Das freilich war keine Luͤge, daß Mutter Eva vor-<lb/>
geſtern begraben worden war, und daß der Pfarrer dies un-<lb/>ſerm Johannes mittheilte. Aber die Art dieſer Mittheilung<lb/>
war eine ganz andere geworden, als wie ſie haͤtte ſein ſollen.</p><lb/><p>Der wuͤrdige Pfarrer hatte an Johannes einen Brief<lb/>
voll chriſtlicher Milde und Ergebung geſchrieben, in dem<lb/>
er ihm, nachdem er mehrmals vergeblich verſucht hatte,<lb/>
perſoͤnlich zu ihm gelaſſen zu werden, den Tod und das<lb/>
Begraͤbniß von Mutter Eva mittheilte. Er hatte dies<lb/>
in ſeinem Brief auf die ſchonendſte Weiſe gethan. Er<lb/>
hatte geſucht, die Schuld dieſes Todes auf Mutter Eva’s<lb/>
hohes Alter uͤberhaupt und ihre zunehmende Altersſchwaͤche<lb/>
zu uͤbertragen. Wohl erwaͤhnte er des Schmerzes, den<lb/>
Mutter Eva empfunden, daß ſie ihren Sohn nicht noch<lb/>
einmal habe ſehen koͤnnen, aber er ſchrieb auch, wie ſein<lb/>
Name ihr letztes Wort geweſen und wie ſie ihren heilig-<lb/>ſten und liebevollſten Mutterſegen in ſeiner, des Pfarrers<lb/>
Haͤnde gelegt habe. Sie habe ihm Alles, Alles vergeben —<lb/>
aber er verſchwieg, daß ſie ſeinen Feinden dabei geflucht habe.</p><lb/><p>Dieſer Brief, welchen die froͤmmſte Gottergebenheit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[306/0314]
Johannes ſank vernichtet auf ſein Strohlager nieder
und wuͤhlte ſeinen Kopf tief hinein. Der Gefangenwaͤr-
ter warf einen haͤmiſchen Blick auf den Ungluͤcklichen, den
er durch eine freche Luͤge ſo zu Boden geſchmettert hatte
und verließ das Gemach.
Das freilich war keine Luͤge, daß Mutter Eva vor-
geſtern begraben worden war, und daß der Pfarrer dies un-
ſerm Johannes mittheilte. Aber die Art dieſer Mittheilung
war eine ganz andere geworden, als wie ſie haͤtte ſein ſollen.
Der wuͤrdige Pfarrer hatte an Johannes einen Brief
voll chriſtlicher Milde und Ergebung geſchrieben, in dem
er ihm, nachdem er mehrmals vergeblich verſucht hatte,
perſoͤnlich zu ihm gelaſſen zu werden, den Tod und das
Begraͤbniß von Mutter Eva mittheilte. Er hatte dies
in ſeinem Brief auf die ſchonendſte Weiſe gethan. Er
hatte geſucht, die Schuld dieſes Todes auf Mutter Eva’s
hohes Alter uͤberhaupt und ihre zunehmende Altersſchwaͤche
zu uͤbertragen. Wohl erwaͤhnte er des Schmerzes, den
Mutter Eva empfunden, daß ſie ihren Sohn nicht noch
einmal habe ſehen koͤnnen, aber er ſchrieb auch, wie ſein
Name ihr letztes Wort geweſen und wie ſie ihren heilig-
ſten und liebevollſten Mutterſegen in ſeiner, des Pfarrers
Haͤnde gelegt habe. Sie habe ihm Alles, Alles vergeben —
aber er verſchwieg, daß ſie ſeinen Feinden dabei geflucht habe.
Dieſer Brief, welchen die froͤmmſte Gottergebenheit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/314>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.