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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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und die christliche Liebe durchwehte, in dem jedes Wort zur
stillen Duldung und Fügung in das Unvermeidliche auf-
forderte -- dieser Brief fand dennoch keine Gnade vor den
Augen von Johannes Hütern.

Der Pfarrer hat ihn dem Gefangenwärter gleich offen
übergeben -- dieser lieferte ihn an den Vorgesetzten zur
Durchsicht ab und dieser fand für gut, ihn zu unterschla-
gen. Das allein war nicht genug. Um den armen Jo-
hannes recht zu quälen, ward ihm der Tod seiner Mut-
ter nicht nur auf die roheste Art und Weise mitgetheilt,
sondern der übrige Jnhalt des Briefes geradezu verdreht.
Man scheute sich nicht, den Segen einer Sterbenden in
Fluch zu verwandeln und den Verwaisten in seinem Schmerz
noch durch eine frevelhafte Lüge zu quälen. Man wußte
recht gut, daß er ein tiefes, weiches Gemüth hatte, auf
das nur die edelsten und heiligsten Gefühle einen Ein-
fluß zu üben vermochten -- man wollte ihn hier fassen,
damit er zerknirscht durch den Fluch einer Mutter und
durch das Bewußtsein, die Schuld ihres Todes zu tra-
gen, Alles bereue, was er gethan und sich selbst, als
einen Missethäter und Verbrecher anklage.

Jn dieser Hinsicht kam dem Gericht der Tod der
Mutter Eva sehr gelegen. --

Johannes überließ sich dem ganzen Ausbruch seines
ungeheuern Schmerzes. Nie hatte ein Sohn seine Mut-

20*

und die chriſtliche Liebe durchwehte, in dem jedes Wort zur
ſtillen Duldung und Fuͤgung in das Unvermeidliche auf-
forderte — dieſer Brief fand dennoch keine Gnade vor den
Augen von Johannes Huͤtern.

Der Pfarrer hat ihn dem Gefangenwaͤrter gleich offen
uͤbergeben — dieſer lieferte ihn an den Vorgeſetzten zur
Durchſicht ab und dieſer fand fuͤr gut, ihn zu unterſchla-
gen. Das allein war nicht genug. Um den armen Jo-
hannes recht zu quaͤlen, ward ihm der Tod ſeiner Mut-
ter nicht nur auf die roheſte Art und Weiſe mitgetheilt,
ſondern der uͤbrige Jnhalt des Briefes geradezu verdreht.
Man ſcheute ſich nicht, den Segen einer Sterbenden in
Fluch zu verwandeln und den Verwaiſten in ſeinem Schmerz
noch durch eine frevelhafte Luͤge zu quaͤlen. Man wußte
recht gut, daß er ein tiefes, weiches Gemuͤth hatte, auf
das nur die edelſten und heiligſten Gefuͤhle einen Ein-
fluß zu uͤben vermochten — man wollte ihn hier faſſen,
damit er zerknirſcht durch den Fluch einer Mutter und
durch das Bewußtſein, die Schuld ihres Todes zu tra-
gen, Alles bereue, was er gethan und ſich ſelbſt, als
einen Miſſethaͤter und Verbrecher anklage.

Jn dieſer Hinſicht kam dem Gericht der Tod der
Mutter Eva ſehr gelegen. —

Johannes uͤberließ ſich dem ganzen Ausbruch ſeines
ungeheuern Schmerzes. Nie hatte ein Sohn ſeine Mut-

20*
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[307/0315] und die chriſtliche Liebe durchwehte, in dem jedes Wort zur ſtillen Duldung und Fuͤgung in das Unvermeidliche auf- forderte — dieſer Brief fand dennoch keine Gnade vor den Augen von Johannes Huͤtern. Der Pfarrer hat ihn dem Gefangenwaͤrter gleich offen uͤbergeben — dieſer lieferte ihn an den Vorgeſetzten zur Durchſicht ab und dieſer fand fuͤr gut, ihn zu unterſchla- gen. Das allein war nicht genug. Um den armen Jo- hannes recht zu quaͤlen, ward ihm der Tod ſeiner Mut- ter nicht nur auf die roheſte Art und Weiſe mitgetheilt, ſondern der uͤbrige Jnhalt des Briefes geradezu verdreht. Man ſcheute ſich nicht, den Segen einer Sterbenden in Fluch zu verwandeln und den Verwaiſten in ſeinem Schmerz noch durch eine frevelhafte Luͤge zu quaͤlen. Man wußte recht gut, daß er ein tiefes, weiches Gemuͤth hatte, auf das nur die edelſten und heiligſten Gefuͤhle einen Ein- fluß zu uͤben vermochten — man wollte ihn hier faſſen, damit er zerknirſcht durch den Fluch einer Mutter und durch das Bewußtſein, die Schuld ihres Todes zu tra- gen, Alles bereue, was er gethan und ſich ſelbſt, als einen Miſſethaͤter und Verbrecher anklage. Jn dieſer Hinſicht kam dem Gericht der Tod der Mutter Eva ſehr gelegen. — Johannes uͤberließ ſich dem ganzen Ausbruch ſeines ungeheuern Schmerzes. Nie hatte ein Sohn ſeine Mut- 20*

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/315>, abgerufen am 22.11.2024.