feufzte die Pfarrerin -- sie hatte zwei Töchter und beide waren auch in fremden Städten verheirathet, darum wußt' sie ein Lied davon zu singen wie es ist, wenn die Kinder sich aus den Nestern verfliegen und nicht wieder kommen, sie war nun in ihrem Alter allein, ohne Kinder in ihrem Nest. Aber sie sagte fromm er- geben: "Die Kinder sollen wir einmal nicht für uns allein behalten, zu unserm Glück allein erziehen, wir müssen sie hingeben in die Welt, an andre Menschen, damit sie wieder unter ihnen wirken, wie wir ja auch gewirkt haben. Es steht schon in der Bibel geschrieben, daß die Töchter die Mutter verlassen, um mit ihren Männern zu gehen, einst werden sie's wieder so erleben und sich am Ende auch darüber kränken -- wir selbst haben's ja auch nicht anders gemacht und sind von un- sern Eltern gegangen -- so thut einmal Jedes wieder dasselbe, wie es schon zuvor gethan worden."
"Nun ja doch," fuhr Eva fort, "es muß wohl so sein; aber wenn's Einem Jemand so sagte, da wo man sie nur eben erst mit Schmerz und Freude zur Welt gebracht und nun vor Liebe sich oft nicht zu lassen weiß -- wenn da Jemand sagte: Du mußt sie doch hergeben und in deinen alten Tagen wirst du kinderlos und verlassen und einsam dastehen und nicht vielmehr davon erfahren, ob du noch Kinder hast oder nicht --
feufzte die Pfarrerin — ſie hatte zwei Toͤchter und beide waren auch in fremden Staͤdten verheirathet, darum wußt’ ſie ein Lied davon zu ſingen wie es iſt, wenn die Kinder ſich aus den Neſtern verfliegen und nicht wieder kommen, ſie war nun in ihrem Alter allein, ohne Kinder in ihrem Neſt. Aber ſie ſagte fromm er- geben: „Die Kinder ſollen wir einmal nicht fuͤr uns allein behalten, zu unſerm Gluͤck allein erziehen, wir muͤſſen ſie hingeben in die Welt, an andre Menſchen, damit ſie wieder unter ihnen wirken, wie wir ja auch gewirkt haben. Es ſteht ſchon in der Bibel geſchrieben, daß die Toͤchter die Mutter verlaſſen, um mit ihren Maͤnnern zu gehen, einſt werden ſie’s wieder ſo erleben und ſich am Ende auch daruͤber kraͤnken — wir ſelbſt haben’s ja auch nicht anders gemacht und ſind von un- ſern Eltern gegangen — ſo thut einmal Jedes wieder daſſelbe, wie es ſchon zuvor gethan worden.“
„Nun ja doch,“ fuhr Eva fort, „es muß wohl ſo ſein; aber wenn’s Einem Jemand ſo ſagte, da wo man ſie nur eben erſt mit Schmerz und Freude zur Welt gebracht und nun vor Liebe ſich oft nicht zu laſſen weiß — wenn da Jemand ſagte: Du mußt ſie doch hergeben und in deinen alten Tagen wirſt du kinderlos und verlaſſen und einſam daſtehen und nicht vielmehr davon erfahren, ob du noch Kinder haſt oder nicht —
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feufzte die Pfarrerin — ſie hatte zwei Toͤchter und beide
waren auch in fremden Staͤdten verheirathet, darum
wußt’ ſie ein Lied davon zu ſingen wie es iſt, wenn
die Kinder ſich aus den Neſtern verfliegen und nicht
wieder kommen, ſie war nun in ihrem Alter allein,
ohne Kinder in ihrem Neſt. Aber ſie ſagte fromm er-
geben: „Die Kinder ſollen wir einmal nicht fuͤr uns
allein behalten, zu unſerm Gluͤck allein erziehen, wir
muͤſſen ſie hingeben in die Welt, an andre Menſchen,
damit ſie wieder unter ihnen wirken, wie wir ja auch
gewirkt haben. Es ſteht ſchon in der Bibel geſchrieben,
daß die Toͤchter die Mutter verlaſſen, um mit ihren
Maͤnnern zu gehen, einſt werden ſie’s wieder ſo erleben
und ſich am Ende auch daruͤber kraͤnken — wir ſelbſt
haben’s ja auch nicht anders gemacht und ſind von un-
ſern Eltern gegangen — ſo thut einmal Jedes wieder
daſſelbe, wie es ſchon zuvor gethan worden.“
„Nun ja doch,“ fuhr Eva fort, „es muß wohl ſo
ſein; aber wenn’s Einem Jemand ſo ſagte, da wo man
ſie nur eben erſt mit Schmerz und Freude zur Welt
gebracht und nun vor Liebe ſich oft nicht zu laſſen
weiß — wenn da Jemand ſagte: Du mußt ſie doch
hergeben und in deinen alten Tagen wirſt du kinderlos
und verlaſſen und einſam daſtehen und nicht vielmehr
davon erfahren, ob du noch Kinder haſt oder nicht —
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/45>, abgerufen am 03.12.2024.
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