Zeit war so vergangen -- das Lämpchen fing an ganz matt zu brennen, da riß sie sich endlich von seinem An- blick los, um nun auch schlafen zu gehen. Sie schlich wieder leise in ihr Kämmerlein, ließ die Thür aber weit auf. Das Lämpchen verlöschte sie nun auch und legte sich zur Ruhe. Aber das half ihr nicht viel, die Freude ließ sie nicht schlafen, sie konnte davor kein Auge zu- thun; immer nur dachte sie an ihren Johannes -- daß sie ihn wieder habe, lange behalten werde, daß sein Herz auch in der großen Welt ganz so geblieben sei, wie sonst, sie so lieb habe und sein ganzes Dorf gewiß viel mehr als all die großen Leut', mit denen er lebte -- und wie sie ihn nun so stattlich und schön vor sich gesehen habe. Unterdeß ging der Mond auf und schaute in die kleinen Fenster hell und neugierig herein. Da sagte Mutter Eva still zu sich selber: Schlafen kann ich nun einmal nicht, warum soll ich's nicht machen, wie sonst? Da hab' ich Nächte lang an Johanneslein's Wiege wach gesessen und seinen Schlaf belauscht, wenn ich dachte, es fehlte ihm etwas -- das Johanneslein ist nun groß geworden und die Wiege ist lange zerbrochen, aber drinnen liegt der große Johannes, den ich endlich wieder habe nach langer, langer Zeit, warum soll ich mich denn nicht zu ihm setzen und sehen, wie er schläft? Und so stand sie wieder auf, kleidete sich an und schlich in das Stübchen.
Zeit war ſo vergangen — das Laͤmpchen fing an ganz matt zu brennen, da riß ſie ſich endlich von ſeinem An- blick los, um nun auch ſchlafen zu gehen. Sie ſchlich wieder leiſe in ihr Kaͤmmerlein, ließ die Thuͤr aber weit auf. Das Laͤmpchen verloͤſchte ſie nun auch und legte ſich zur Ruhe. Aber das half ihr nicht viel, die Freude ließ ſie nicht ſchlafen, ſie konnte davor kein Auge zu- thun; immer nur dachte ſie an ihren Johannes — daß ſie ihn wieder habe, lange behalten werde, daß ſein Herz auch in der großen Welt ganz ſo geblieben ſei, wie ſonſt, ſie ſo lieb habe und ſein ganzes Dorf gewiß viel mehr als all die großen Leut’, mit denen er lebte — und wie ſie ihn nun ſo ſtattlich und ſchoͤn vor ſich geſehen habe. Unterdeß ging der Mond auf und ſchaute in die kleinen Fenſter hell und neugierig herein. Da ſagte Mutter Eva ſtill zu ſich ſelber: Schlafen kann ich nun einmal nicht, warum ſoll ich’s nicht machen, wie ſonſt? Da hab’ ich Naͤchte lang an Johanneslein’s Wiege wach geſeſſen und ſeinen Schlaf belauſcht, wenn ich dachte, es fehlte ihm etwas — das Johanneslein iſt nun groß geworden und die Wiege iſt lange zerbrochen, aber drinnen liegt der große Johannes, den ich endlich wieder habe nach langer, langer Zeit, warum ſoll ich mich denn nicht zu ihm ſetzen und ſehen, wie er ſchlaͤft? Und ſo ſtand ſie wieder auf, kleidete ſich an und ſchlich in das Stuͤbchen.
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Zeit war ſo vergangen — das Laͤmpchen fing an ganz
matt zu brennen, da riß ſie ſich endlich von ſeinem An-
blick los, um nun auch ſchlafen zu gehen. Sie ſchlich
wieder leiſe in ihr Kaͤmmerlein, ließ die Thuͤr aber weit
auf. Das Laͤmpchen verloͤſchte ſie nun auch und legte
ſich zur Ruhe. Aber das half ihr nicht viel, die Freude
ließ ſie nicht ſchlafen, ſie konnte davor kein Auge zu-
thun; immer nur dachte ſie an ihren Johannes — daß ſie
ihn wieder habe, lange behalten werde, daß ſein Herz
auch in der großen Welt ganz ſo geblieben ſei, wie ſonſt,
ſie ſo lieb habe und ſein ganzes Dorf gewiß viel mehr
als all die großen Leut’, mit denen er lebte — und wie
ſie ihn nun ſo ſtattlich und ſchoͤn vor ſich geſehen habe.
Unterdeß ging der Mond auf und ſchaute in die kleinen
Fenſter hell und neugierig herein. Da ſagte Mutter
Eva ſtill zu ſich ſelber: Schlafen kann ich nun einmal
nicht, warum ſoll ich’s nicht machen, wie ſonſt? Da
hab’ ich Naͤchte lang an Johanneslein’s Wiege wach geſeſſen
und ſeinen Schlaf belauſcht, wenn ich dachte, es fehlte
ihm etwas — das Johanneslein iſt nun groß geworden
und die Wiege iſt lange zerbrochen, aber drinnen liegt
der große Johannes, den ich endlich wieder habe nach
langer, langer Zeit, warum ſoll ich mich denn nicht zu
ihm ſetzen und ſehen, wie er ſchlaͤft? Und ſo ſtand ſie
wieder auf, kleidete ſich an und ſchlich in das Stuͤbchen.
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/71>, abgerufen am 04.12.2024.
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