Sie traten durch die schwarze Lattenthür hinein. Eine Allee schöner Linden durchschneidet den Gottesacker bis zur Kirchthür. Zu beiden Seiten breiten sich die Gräber- reihen aus, die mit schönen, grünen Rasen überdeckt sind. Auf den meisten Gräbern erheben sich hölzerne schwarze Kreuze, zuweilen ist wohl auch ein eisernes dar- unter, darauf sind die Namen derer zu lesen, welche sich hier unter diesen Hügeln zur Ruhe gefunden haben. Auf manchem Grab steht auch ein Rosenstrauch, oder andere Sommerblumen schmücken es. Jetzt sieht Mutter Eva das Grab, welches sie sucht, sie weiß die Stelle gar genau, zu oft schon ist sie da gewesen; oft auch hat sie im tiefsten Schmerz darauf gesessen und gewünscht, auch da zu liegen, da sie einmal Nichts mehr im Leben habe, weil ihr Liebstes, ihr All' genommen sei, erst der Gatte durch den Tod, daß sie ihn nun nur auf dem Kirchhof besuchen kann, dann der Sohn, durch sein Fortwandern, den sie in der Fremde gleich gar nicht zu suchen und zu finden weiß -- aber heute ist es anders, heute ist der Sohn da, heute will sie nicht sterben, heute möchte sie nur so gern den Gatten wieder auferwecken, damit er ihre Freude theile über ihr Kind, das so groß und schön geworden und doch so gut geblieben! Ja, wie groß würde dann erst die Freude sein, wenn beide Eltern zugleich sie hätten! Nun hat sie die Mutter allein.
Sie traten durch die ſchwarze Lattenthuͤr hinein. Eine Allee ſchoͤner Linden durchſchneidet den Gottesacker bis zur Kirchthuͤr. Zu beiden Seiten breiten ſich die Graͤber- reihen aus, die mit ſchoͤnen, gruͤnen Raſen uͤberdeckt ſind. Auf den meiſten Graͤbern erheben ſich hoͤlzerne ſchwarze Kreuze, zuweilen iſt wohl auch ein eiſernes dar- unter, darauf ſind die Namen derer zu leſen, welche ſich hier unter dieſen Huͤgeln zur Ruhe gefunden haben. Auf manchem Grab ſteht auch ein Roſenſtrauch, oder andere Sommerblumen ſchmuͤcken es. Jetzt ſieht Mutter Eva das Grab, welches ſie ſucht, ſie weiß die Stelle gar genau, zu oft ſchon iſt ſie da geweſen; oft auch hat ſie im tiefſten Schmerz darauf geſeſſen und gewuͤnſcht, auch da zu liegen, da ſie einmal Nichts mehr im Leben habe, weil ihr Liebſtes, ihr All’ genommen ſei, erſt der Gatte durch den Tod, daß ſie ihn nun nur auf dem Kirchhof beſuchen kann, dann der Sohn, durch ſein Fortwandern, den ſie in der Fremde gleich gar nicht zu ſuchen und zu finden weiß — aber heute iſt es anders, heute iſt der Sohn da, heute will ſie nicht ſterben, heute moͤchte ſie nur ſo gern den Gatten wieder auferwecken, damit er ihre Freude theile uͤber ihr Kind, das ſo groß und ſchoͤn geworden und doch ſo gut geblieben! Ja, wie groß wuͤrde dann erſt die Freude ſein, wenn beide Eltern zugleich ſie haͤtten! Nun hat ſie die Mutter allein.
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Sie traten durch die ſchwarze Lattenthuͤr hinein. Eine
Allee ſchoͤner Linden durchſchneidet den Gottesacker bis
zur Kirchthuͤr. Zu beiden Seiten breiten ſich die Graͤber-
reihen aus, die mit ſchoͤnen, gruͤnen Raſen uͤberdeckt
ſind. Auf den meiſten Graͤbern erheben ſich hoͤlzerne
ſchwarze Kreuze, zuweilen iſt wohl auch ein eiſernes dar-
unter, darauf ſind die Namen derer zu leſen, welche
ſich hier unter dieſen Huͤgeln zur Ruhe gefunden haben.
Auf manchem Grab ſteht auch ein Roſenſtrauch, oder
andere Sommerblumen ſchmuͤcken es. Jetzt ſieht Mutter
Eva das Grab, welches ſie ſucht, ſie weiß die Stelle gar
genau, zu oft ſchon iſt ſie da geweſen; oft auch hat ſie
im tiefſten Schmerz darauf geſeſſen und gewuͤnſcht, auch
da zu liegen, da ſie einmal Nichts mehr im Leben habe,
weil ihr Liebſtes, ihr All’ genommen ſei, erſt der Gatte
durch den Tod, daß ſie ihn nun nur auf dem Kirchhof
beſuchen kann, dann der Sohn, durch ſein Fortwandern,
den ſie in der Fremde gleich gar nicht zu ſuchen und
zu finden weiß — aber heute iſt es anders, heute iſt
der Sohn da, heute will ſie nicht ſterben, heute moͤchte
ſie nur ſo gern den Gatten wieder auferwecken, damit
er ihre Freude theile uͤber ihr Kind, das ſo groß und
ſchoͤn geworden und doch ſo gut geblieben! Ja, wie
groß wuͤrde dann erſt die Freude ſein, wenn beide Eltern
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/93>, abgerufen am 04.12.2024.
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