Johannes verabschiedete sich bald von den Mädchen, ging dann noch einmal zu seiner Mutter, ihr gute Nacht zu sagen, plauderte noch ein Weilchen mit ihr und stieg dann hinauf in seine Burg.
Grade mit dem ersten Sternlein kam er oben an.
"Es ist schon Alles zurecht gemacht," rief ihm die Frau Vogt entgegen, "ich will gleich die Laterne an- zünden und Sie hinaufleuchten."
"Ei, da müßt' ich Sie wieder hinunterleuchten, weil Sie sich fürchten, allein zu gehen, von wegen der Ahnen- bilder und Käuzlein, des Werfens und Scheuchens, da- von Sie mir gesagt haben," lachte Johannes.
"Ob die liebe Jugend heutzutage nicht immer das Alter aufziehen muß," eiferte die Frau Vogt, "jetzt will immer das Ei klüger sein als die Henne, zu meiner Zeit war das anders."
"Das ist nun wieder einmal gar Nichts gesagt, weil es eben seit Menschengedenken alle Tage so gesagt wird," antwortete Johannes, aber Alles im heitern und gemüth- lichen Ton. "Das Sprichwort, das Sie brauchten, ist viel früher als zu Jhrer Lebenszeit entstanden, drum ist's zu Jhrer Zeit auch gerade so gewesen, wie jetzt zu dieser, zu meiner, nur daß Sie damals selbst das klügere Ei waren, jetzt aber die Henne geworden sind, die Nichts mehr von den Eiern wissen mag. Nun, gute Nacht,
Johannes verabſchiedete ſich bald von den Maͤdchen, ging dann noch einmal zu ſeiner Mutter, ihr gute Nacht zu ſagen, plauderte noch ein Weilchen mit ihr und ſtieg dann hinauf in ſeine Burg.
Grade mit dem erſten Sternlein kam er oben an.
„Es iſt ſchon Alles zurecht gemacht,“ rief ihm die Frau Vogt entgegen, „ich will gleich die Laterne an- zuͤnden und Sie hinaufleuchten.“
„Ei, da muͤßt’ ich Sie wieder hinunterleuchten, weil Sie ſich fuͤrchten, allein zu gehen, von wegen der Ahnen- bilder und Kaͤuzlein, des Werfens und Scheuchens, da- von Sie mir geſagt haben,“ lachte Johannes.
„Ob die liebe Jugend heutzutage nicht immer das Alter aufziehen muß,“ eiferte die Frau Vogt, „jetzt will immer das Ei kluͤger ſein als die Henne, zu meiner Zeit war das anders.“
„Das iſt nun wieder einmal gar Nichts geſagt, weil es eben ſeit Menſchengedenken alle Tage ſo geſagt wird,“ antwortete Johannes, aber Alles im heitern und gemuͤth- lichen Ton. „Das Sprichwort, das Sie brauchten, iſt viel fruͤher als zu Jhrer Lebenszeit entſtanden, drum iſt’s zu Jhrer Zeit auch gerade ſo geweſen, wie jetzt zu dieſer, zu meiner, nur daß Sie damals ſelbſt das kluͤgere Ei waren, jetzt aber die Henne geworden ſind, die Nichts mehr von den Eiern wiſſen mag. Nun, gute Nacht,
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Johannes verabſchiedete ſich bald von den Maͤdchen,
ging dann noch einmal zu ſeiner Mutter, ihr gute Nacht
zu ſagen, plauderte noch ein Weilchen mit ihr und ſtieg
dann hinauf in ſeine Burg.
Grade mit dem erſten Sternlein kam er oben an.
„Es iſt ſchon Alles zurecht gemacht,“ rief ihm die
Frau Vogt entgegen, „ich will gleich die Laterne an-
zuͤnden und Sie hinaufleuchten.“
„Ei, da muͤßt’ ich Sie wieder hinunterleuchten, weil
Sie ſich fuͤrchten, allein zu gehen, von wegen der Ahnen-
bilder und Kaͤuzlein, des Werfens und Scheuchens, da-
von Sie mir geſagt haben,“ lachte Johannes.
„Ob die liebe Jugend heutzutage nicht immer das
Alter aufziehen muß,“ eiferte die Frau Vogt, „jetzt will
immer das Ei kluͤger ſein als die Henne, zu meiner Zeit
war das anders.“
„Das iſt nun wieder einmal gar Nichts geſagt, weil
es eben ſeit Menſchengedenken alle Tage ſo geſagt wird,“
antwortete Johannes, aber Alles im heitern und gemuͤth-
lichen Ton. „Das Sprichwort, das Sie brauchten, iſt
viel fruͤher als zu Jhrer Lebenszeit entſtanden, drum iſt’s
zu Jhrer Zeit auch gerade ſo geweſen, wie jetzt zu dieſer,
zu meiner, nur daß Sie damals ſelbſt das kluͤgere Ei
waren, jetzt aber die Henne geworden ſind, die Nichts
mehr von den Eiern wiſſen mag. Nun, gute Nacht,
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/98>, abgerufen am 18.05.2024.
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