Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.Brunnen liefen? Wie die fröhlichen Morgenlieder, mit welchen die Handwerker zur Arbeit gingen? Wie das "guten Morgen", was Vorübergehende ihnen zuriefen? "Gute Nacht!" sagten die vorhin so Heitern und Glücklichen plötzlich übelgelaunt und verstimmt zu einander, und an den verschiedenen Straßenecken sich trennend, ging Jeder, verdrießlich vor sich ausschauend, den Weg nach seiner Wohnung. Jaromir war plötzlich ernüchtert -- vielleicht auch noch nicht ganz -- er fühlte nur auf ein Mal wieder, daß sich eine Last auf sein Herz senkte, welche er vorhin für immer abgeschüttelt zu haben meinte. So fremd und unharmonisch er jetzt seine eigne, verstörte Erscheinung fand in und mit dieser frischen, thätigen Morgenwelt -- so unharmonisch kam ihm wieder sein ganzes Sein zur ganzen großen Erdenwelt, so unharmonisch seine innere Sehnsucht zu seiner Stellung im Leben, zu seiner Umgebung, der Gesellschaft vor -- in seiner innern Gefühlswelt vernahm er wieder nur lauter schrillende Mistöne -- er fühlte, daß er heute noch ganz derselbe zerrissene Mensch sei, wie gestern, ja daß er dies Bewußtsein heute nur tiefer hatte, als jemals. -- Und so war er denn jetzt auch wieder unglücklicher und nüchterner als jemals erwacht aus dem kurzen Taumel des Vergnügens. Er hätte heimgehen, und den Morgen verschlafen können, wie andere Male, sich in sein Lager vergraben, damit Brunnen liefen? Wie die fröhlichen Morgenlieder, mit welchen die Handwerker zur Arbeit gingen? Wie das „guten Morgen“, was Vorübergehende ihnen zuriefen? „Gute Nacht!“ sagten die vorhin so Heitern und Glücklichen plötzlich übelgelaunt und verstimmt zu einander, und an den verschiedenen Straßenecken sich trennend, ging Jeder, verdrießlich vor sich ausschauend, den Weg nach seiner Wohnung. Jaromir war plötzlich ernüchtert — vielleicht auch noch nicht ganz — er fühlte nur auf ein Mal wieder, daß sich eine Last auf sein Herz senkte, welche er vorhin für immer abgeschüttelt zu haben meinte. So fremd und unharmonisch er jetzt seine eigne, verstörte Erscheinung fand in und mit dieser frischen, thätigen Morgenwelt — so unharmonisch kam ihm wieder sein ganzes Sein zur ganzen großen Erdenwelt, so unharmonisch seine innere Sehnsucht zu seiner Stellung im Leben, zu seiner Umgebung, der Gesellschaft vor — in seiner innern Gefühlswelt vernahm er wieder nur lauter schrillende Mistöne — er fühlte, daß er heute noch ganz derselbe zerrissene Mensch sei, wie gestern, ja daß er dies Bewußtsein heute nur tiefer hatte, als jemals. — Und so war er denn jetzt auch wieder unglücklicher und nüchterner als jemals erwacht aus dem kurzen Taumel des Vergnügens. Er hätte heimgehen, und den Morgen verschlafen können, wie andere Male, sich in sein Lager vergraben, damit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0120" n="110"/> Brunnen liefen? Wie die fröhlichen Morgenlieder, mit welchen die Handwerker zur Arbeit gingen? Wie das „guten Morgen“, was Vorübergehende ihnen zuriefen? „Gute Nacht!“ sagten die vorhin so Heitern und Glücklichen plötzlich übelgelaunt und verstimmt zu einander, und an den verschiedenen Straßenecken sich trennend, ging Jeder, verdrießlich vor sich ausschauend, den Weg nach seiner Wohnung.</p> <p>Jaromir war plötzlich ernüchtert — vielleicht auch noch nicht ganz — er fühlte nur auf ein Mal wieder, daß sich eine Last auf sein Herz senkte, welche er vorhin für immer abgeschüttelt zu haben meinte. So fremd und unharmonisch er jetzt seine eigne, verstörte Erscheinung fand in und mit dieser frischen, thätigen Morgenwelt — so unharmonisch kam ihm wieder sein ganzes Sein zur ganzen großen Erdenwelt, so unharmonisch seine innere Sehnsucht zu seiner Stellung im Leben, zu seiner Umgebung, der Gesellschaft vor — in seiner innern Gefühlswelt vernahm er wieder nur lauter schrillende Mistöne — er fühlte, daß er heute noch ganz derselbe zerrissene Mensch sei, wie gestern, ja daß er dies Bewußtsein heute nur tiefer hatte, als jemals. — Und so war er denn jetzt auch wieder unglücklicher und nüchterner als jemals erwacht aus dem kurzen Taumel des Vergnügens.</p> <p>Er hätte heimgehen, und den Morgen verschlafen können, wie andere Male, sich in sein Lager vergraben, damit </p> </div> </body> </text> </TEI> [110/0120]
Brunnen liefen? Wie die fröhlichen Morgenlieder, mit welchen die Handwerker zur Arbeit gingen? Wie das „guten Morgen“, was Vorübergehende ihnen zuriefen? „Gute Nacht!“ sagten die vorhin so Heitern und Glücklichen plötzlich übelgelaunt und verstimmt zu einander, und an den verschiedenen Straßenecken sich trennend, ging Jeder, verdrießlich vor sich ausschauend, den Weg nach seiner Wohnung.
Jaromir war plötzlich ernüchtert — vielleicht auch noch nicht ganz — er fühlte nur auf ein Mal wieder, daß sich eine Last auf sein Herz senkte, welche er vorhin für immer abgeschüttelt zu haben meinte. So fremd und unharmonisch er jetzt seine eigne, verstörte Erscheinung fand in und mit dieser frischen, thätigen Morgenwelt — so unharmonisch kam ihm wieder sein ganzes Sein zur ganzen großen Erdenwelt, so unharmonisch seine innere Sehnsucht zu seiner Stellung im Leben, zu seiner Umgebung, der Gesellschaft vor — in seiner innern Gefühlswelt vernahm er wieder nur lauter schrillende Mistöne — er fühlte, daß er heute noch ganz derselbe zerrissene Mensch sei, wie gestern, ja daß er dies Bewußtsein heute nur tiefer hatte, als jemals. — Und so war er denn jetzt auch wieder unglücklicher und nüchterner als jemals erwacht aus dem kurzen Taumel des Vergnügens.
Er hätte heimgehen, und den Morgen verschlafen können, wie andere Male, sich in sein Lager vergraben, damit
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/120>, abgerufen am 16.02.2025. |