Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.gekommen war. So begegnete ihm diese schöne Erscheinung zum zweiten Male -- ja zum zweiten Male in einem Moment, wo in ihm all' seine Gefühle im Sturm sich erhoben hatten. Aber wie an ders jetzt, als damals! Damals hatte ein leuchtender Friede auf ihrem Gesicht gelegen, mit festen, leichten Schritten war sie an ihm vorübergegangen -- jetzt lag sie hier hingeworfen, wie innerlich vernichtet -- ihre goldenen Locken bemühten sich vergebens, ihre Thränen zu verschleiern, ihre gefalteten Hände zeugten wohl vom Gebet, aber doch von keinem Gebet, das Frieden und Erhörung gefunden. Langsam näherte er sich ihr, bis er ganz dicht neben ihr stand -- da fuhr sie auf, und maß ihn mit einem langen, fragenden Blick der Bestürzung. "Sie sind noch so jung, und schon so unglücklich?" sagte Jaromir mit der sanftesten Stimme des Mitgefühls. Sie griff nach ihrem Hut, und wollte sich rasch entfernen, ohne zu antworten -- da warf sie unwillkührlich noch einen vorübergehenden Blick auf ihn -- und er erwiderte ihn so aus tiefster Seele, so ernst und voll innigster, schmerzlichster Theilnahme, daß sie leise sagte: "Schonen Sie mich!" und wieder in einen Strom von Thränen ausbrach. "Fürchten Sie keine beleidigende Annäherung von mir," sagte er mit sanftem Ernst, "ich werde Sie nicht stören, wenn Sie in diese morgentliche Einsamkeit flüchteten, um gekommen war. So begegnete ihm diese schöne Erscheinung zum zweiten Male — ja zum zweiten Male in einem Moment, wo in ihm all’ seine Gefühle im Sturm sich erhoben hatten. Aber wie an ders jetzt, als damals! Damals hatte ein leuchtender Friede auf ihrem Gesicht gelegen, mit festen, leichten Schritten war sie an ihm vorübergegangen — jetzt lag sie hier hingeworfen, wie innerlich vernichtet — ihre goldenen Locken bemühten sich vergebens, ihre Thränen zu verschleiern, ihre gefalteten Hände zeugten wohl vom Gebet, aber doch von keinem Gebet, das Frieden und Erhörung gefunden. Langsam näherte er sich ihr, bis er ganz dicht neben ihr stand — da fuhr sie auf, und maß ihn mit einem langen, fragenden Blick der Bestürzung. „Sie sind noch so jung, und schon so unglücklich?“ sagte Jaromir mit der sanftesten Stimme des Mitgefühls. Sie griff nach ihrem Hut, und wollte sich rasch entfernen, ohne zu antworten — da warf sie unwillkührlich noch einen vorübergehenden Blick auf ihn — und er erwiderte ihn so aus tiefster Seele, so ernst und voll innigster, schmerzlichster Theilnahme, daß sie leise sagte: „Schonen Sie mich!“ und wieder in einen Strom von Thränen ausbrach. „Fürchten Sie keine beleidigende Annäherung von mir,“ sagte er mit sanftem Ernst, „ich werde Sie nicht stören, wenn Sie in diese morgentliche Einsamkeit flüchteten, um <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0123" n="113"/> gekommen war. So begegnete ihm diese schöne Erscheinung zum zweiten Male — ja zum zweiten Male in einem Moment, wo in ihm all’ seine Gefühle im Sturm sich erhoben hatten. Aber wie an ders jetzt, als damals! Damals hatte ein leuchtender Friede auf ihrem Gesicht gelegen, mit festen, leichten Schritten war sie an ihm vorübergegangen — jetzt lag sie hier hingeworfen, wie innerlich vernichtet — ihre goldenen Locken bemühten sich vergebens, ihre Thränen zu verschleiern, ihre gefalteten Hände zeugten wohl vom Gebet, aber doch von keinem Gebet, das Frieden und Erhörung gefunden.</p> <p>Langsam näherte er sich ihr, bis er ganz dicht neben ihr stand — da fuhr sie auf, und maß ihn mit einem langen, fragenden Blick der Bestürzung.</p> <p>„Sie sind noch so jung, und schon so unglücklich?“ sagte Jaromir mit der sanftesten Stimme des Mitgefühls.</p> <p>Sie griff nach ihrem Hut, und wollte sich rasch entfernen, ohne zu antworten — da warf sie unwillkührlich noch einen vorübergehenden Blick auf ihn — und er erwiderte ihn so aus tiefster Seele, so ernst und voll innigster, schmerzlichster Theilnahme, daß sie leise sagte: „Schonen Sie mich!“ und wieder in einen Strom von Thränen ausbrach.</p> <p>„Fürchten Sie keine beleidigende Annäherung von mir,“ sagte er mit sanftem Ernst, „ich werde Sie nicht stören, wenn Sie in diese morgentliche Einsamkeit flüchteten, um </p> </div> </body> </text> </TEI> [113/0123]
gekommen war. So begegnete ihm diese schöne Erscheinung zum zweiten Male — ja zum zweiten Male in einem Moment, wo in ihm all’ seine Gefühle im Sturm sich erhoben hatten. Aber wie an ders jetzt, als damals! Damals hatte ein leuchtender Friede auf ihrem Gesicht gelegen, mit festen, leichten Schritten war sie an ihm vorübergegangen — jetzt lag sie hier hingeworfen, wie innerlich vernichtet — ihre goldenen Locken bemühten sich vergebens, ihre Thränen zu verschleiern, ihre gefalteten Hände zeugten wohl vom Gebet, aber doch von keinem Gebet, das Frieden und Erhörung gefunden.
Langsam näherte er sich ihr, bis er ganz dicht neben ihr stand — da fuhr sie auf, und maß ihn mit einem langen, fragenden Blick der Bestürzung.
„Sie sind noch so jung, und schon so unglücklich?“ sagte Jaromir mit der sanftesten Stimme des Mitgefühls.
Sie griff nach ihrem Hut, und wollte sich rasch entfernen, ohne zu antworten — da warf sie unwillkührlich noch einen vorübergehenden Blick auf ihn — und er erwiderte ihn so aus tiefster Seele, so ernst und voll innigster, schmerzlichster Theilnahme, daß sie leise sagte: „Schonen Sie mich!“ und wieder in einen Strom von Thränen ausbrach.
„Fürchten Sie keine beleidigende Annäherung von mir,“ sagte er mit sanftem Ernst, „ich werde Sie nicht stören, wenn Sie in diese morgentliche Einsamkeit flüchteten, um
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