Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846."Johannes!" Im Augenblick stand er geräuschlos neben dem Bett und legte sanft seine Hand auf die fieberheiße seines Weibes, indem er flüsterte: "Willst Du etwas, gute Amalie?" "Sterben!" ächzte sie, indem sie beide Hände vor ihre Stirn schlug und das Haupt auf ihre Kniee legte. So zusammengebeugt seufzte sie laut und ungeduldig unter ihren Schmerzen. Er legte ihr die in einander gewühlten Kissen wieder zurecht, schlang den Arm sanft um ihre Schultern und wollte sie zärtlich aufrichten. Aber sie zuckte zusammen, als mache seine Berührung ihr Schmerz, verzog den Mund bitter und flüsterte ein zurückweisendes: "Geh!" und: "Laß!" Thalheim nahm seinen Arm zurück und blieb eine Weile schweigsam stehen, seine Augen weilten unverändert mit zärtlicher Theilnahme auf der Kranken, die jetzt ihren Kopf aufrichtete, und hastig flehend sprach: "Nur einen Wunsch erfülle mir noch, damit ich sterben kann --" auch mit bitter'm Tone hinzufügte: "Du kannst es -- er kostet kein Geld." Thalheim warf einen Blick an die Decke des Zimmers, einen Blick, der den Himmel suchte -- aber es schien kein Himmel über ihm zu sein, sein Blick traf nur die graue Decke. Amalie war schon lange krank, und er war arm „Johannes!“ Im Augenblick stand er geräuschlos neben dem Bett und legte sanft seine Hand auf die fieberheiße seines Weibes, indem er flüsterte: „Willst Du etwas, gute Amalie?“ „Sterben!“ ächzte sie, indem sie beide Hände vor ihre Stirn schlug und das Haupt auf ihre Kniee legte. So zusammengebeugt seufzte sie laut und ungeduldig unter ihren Schmerzen. Er legte ihr die in einander gewühlten Kissen wieder zurecht, schlang den Arm sanft um ihre Schultern und wollte sie zärtlich aufrichten. Aber sie zuckte zusammen, als mache seine Berührung ihr Schmerz, verzog den Mund bitter und flüsterte ein zurückweisendes: „Geh!“ und: „Laß!“ Thalheim nahm seinen Arm zurück und blieb eine Weile schweigsam stehen, seine Augen weilten unverändert mit zärtlicher Theilnahme auf der Kranken, die jetzt ihren Kopf aufrichtete, und hastig flehend sprach: „Nur einen Wunsch erfülle mir noch, damit ich sterben kann —“ auch mit bitter’m Tone hinzufügte: „Du kannst es — er kostet kein Geld.“ Thalheim warf einen Blick an die Decke des Zimmers, einen Blick, der den Himmel suchte — aber es schien kein Himmel über ihm zu sein, sein Blick traf nur die graue Decke. Amalie war schon lange krank, und er war arm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0030" n="20"/> <p> „Johannes!“</p> <p>Im Augenblick stand er geräuschlos neben dem Bett und legte sanft seine Hand auf die fieberheiße seines Weibes, indem er flüsterte:</p> <p>„Willst Du etwas, gute Amalie?“</p> <p>„Sterben!“ ächzte sie, indem sie beide Hände vor ihre Stirn schlug und das Haupt auf ihre Kniee legte. So zusammengebeugt seufzte sie laut und ungeduldig unter ihren Schmerzen. Er legte ihr die in einander gewühlten Kissen wieder zurecht, schlang den Arm sanft um ihre Schultern und wollte sie zärtlich aufrichten. Aber sie zuckte zusammen, als mache seine Berührung ihr Schmerz, verzog den Mund bitter und flüsterte ein zurückweisendes: „Geh!“ und: „Laß!“</p> <p>Thalheim nahm seinen Arm zurück und blieb eine Weile schweigsam stehen, seine Augen weilten unverändert mit zärtlicher Theilnahme auf der Kranken, die jetzt ihren Kopf aufrichtete, und hastig flehend sprach: „Nur einen Wunsch erfülle mir noch, damit ich sterben kann —“ auch mit bitter’m Tone hinzufügte: „Du kannst es — er kostet kein Geld.“</p> <p>Thalheim warf einen Blick an die Decke des Zimmers, einen Blick, der den Himmel suchte — aber es schien kein Himmel über ihm zu sein, sein Blick traf nur die graue Decke. Amalie war schon lange krank, und er war arm </p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
„Johannes!“
Im Augenblick stand er geräuschlos neben dem Bett und legte sanft seine Hand auf die fieberheiße seines Weibes, indem er flüsterte:
„Willst Du etwas, gute Amalie?“
„Sterben!“ ächzte sie, indem sie beide Hände vor ihre Stirn schlug und das Haupt auf ihre Kniee legte. So zusammengebeugt seufzte sie laut und ungeduldig unter ihren Schmerzen. Er legte ihr die in einander gewühlten Kissen wieder zurecht, schlang den Arm sanft um ihre Schultern und wollte sie zärtlich aufrichten. Aber sie zuckte zusammen, als mache seine Berührung ihr Schmerz, verzog den Mund bitter und flüsterte ein zurückweisendes: „Geh!“ und: „Laß!“
Thalheim nahm seinen Arm zurück und blieb eine Weile schweigsam stehen, seine Augen weilten unverändert mit zärtlicher Theilnahme auf der Kranken, die jetzt ihren Kopf aufrichtete, und hastig flehend sprach: „Nur einen Wunsch erfülle mir noch, damit ich sterben kann —“ auch mit bitter’m Tone hinzufügte: „Du kannst es — er kostet kein Geld.“
Thalheim warf einen Blick an die Decke des Zimmers, einen Blick, der den Himmel suchte — aber es schien kein Himmel über ihm zu sein, sein Blick traf nur die graue Decke. Amalie war schon lange krank, und er war arm
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-08-23T11:52:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-08-23T11:52:15Z)
HATHI TRUST Digital Library: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-08-23T11:52:15Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |