Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?"

"Vergeben ist eine heilige Pflicht," sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. "Ich vergebe Dir Alles!"

"Du vergiebst mir -- nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt --" flüsterte sie vorwurfsvoll, "doch ja, ich verdiene das -- Du vergiebst doch -- ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich -- --!"

Johannes sah sie fragend an und schwieg.

Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: "Du willst mich nicht verstehen -- Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!"

"Auch noch das!" sagte Johannes tonlos.

"Einige Tage vorher, eh' ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen -- die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf -- aber ich bezwang

— Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?“

„Vergeben ist eine heilige Pflicht,“ sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. „Ich vergebe Dir Alles!“

„Du vergiebst mir — nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt —“ flüsterte sie vorwurfsvoll, „doch ja, ich verdiene das — Du vergiebst doch — ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich — —!“

Johannes sah sie fragend an und schwieg.

Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: „Du willst mich nicht verstehen — Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!“

„Auch noch das!“ sagte Johannes tonlos.

„Einige Tage vorher, eh’ ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen — die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf — aber ich bezwang

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="32"/>
&#x2014; Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Vergeben ist eine heilige Pflicht,&#x201C; sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. &#x201E;Ich vergebe Dir Alles!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Du vergiebst mir &#x2014; nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt &#x2014;&#x201C; flüsterte sie vorwurfsvoll, &#x201E;doch ja, ich verdiene das &#x2014; Du vergiebst doch &#x2014; ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich &#x2014; &#x2014;!&#x201C;</p>
        <p>Johannes sah sie fragend an und schwieg.</p>
        <p>Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: &#x201E;Du willst mich nicht verstehen &#x2014; Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Auch noch das!&#x201C; sagte Johannes tonlos.</p>
        <p>&#x201E;Einige Tage vorher, eh&#x2019; ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen &#x2014; die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf &#x2014; aber ich bezwang
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0042] — Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?“ „Vergeben ist eine heilige Pflicht,“ sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. „Ich vergebe Dir Alles!“ „Du vergiebst mir — nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt —“ flüsterte sie vorwurfsvoll, „doch ja, ich verdiene das — Du vergiebst doch — ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich — —!“ Johannes sah sie fragend an und schwieg. Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: „Du willst mich nicht verstehen — Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!“ „Auch noch das!“ sagte Johannes tonlos. „Einige Tage vorher, eh’ ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen — die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf — aber ich bezwang

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-23T11:52:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-23T11:52:15Z)
HATHI TRUST Digital Library: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-23T11:52:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/42
Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/42>, abgerufen am 03.12.2024.