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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.

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Versuchungen kennen gelernt haben? Ich kenne sie -- denn mir waren sie alle Genossen!"

"Ihnen? Ihrer Phantasie -- Ihren Dichterwerken."

"Warum sollt ich mich schämen, Ihnen die Geschichte meiner Armuth zu erzählen? Meine Mutter hatte aus Polen flüchten müssen, glaubte sich dadurch ihrer Güter verlustig. Ein Verwandter, Graf Golzenau nahm mich, den Knaben, auf und ließ meine Erziehung vollenden. Wie ich zum Jüngling geworden, konnt' ich es nicht mehr ertragen, von Anderer Güte zu leben, da ich sah, wie Tausende neben mir sich auch ohne Vermögen und fremde Unterstützung durch's Leben schlagen mußten -- ich nahm Nichts mehr an von meinem Verwandten -- und so lebt' ich in Armuth und Dürftigkeit während meiner schönsten Jugendjahre -- und daher kenn' ich die Armuth und ihr Unglück und ihre Kämpfe und ja -- auch ihre Versuchungen."

Er konnte niemals dieser Zeit denken, ohne bis in seine innersten Tiefen erschüttert zu werden; so hielt er auch jetzt inne, als sie im Gehen in eine kleine Rotunde gekommen waren, und lehnte sich auf eine kleine weiße Marmorsäule, mit der einen Hand seine Augen bergend, mit der andern nach der Elisabeths fassend. Sie gab sie ihm willig, drückte die seine innig und trat näher zu ihm.

Die Rotunde, in welcher sie standen, war von hohen Eichen gebildet, die dicht nebeneinander standen, daran

Versuchungen kennen gelernt haben? Ich kenne sie — denn mir waren sie alle Genossen!“

„Ihnen? Ihrer Phantasie — Ihren Dichterwerken.“

„Warum sollt ich mich schämen, Ihnen die Geschichte meiner Armuth zu erzählen? Meine Mutter hatte aus Polen flüchten müssen, glaubte sich dadurch ihrer Güter verlustig. Ein Verwandter, Graf Golzenau nahm mich, den Knaben, auf und ließ meine Erziehung vollenden. Wie ich zum Jüngling geworden, konnt’ ich es nicht mehr ertragen, von Anderer Güte zu leben, da ich sah, wie Tausende neben mir sich auch ohne Vermögen und fremde Unterstützung durch’s Leben schlagen mußten — ich nahm Nichts mehr an von meinem Verwandten — und so lebt’ ich in Armuth und Dürftigkeit während meiner schönsten Jugendjahre — und daher kenn’ ich die Armuth und ihr Unglück und ihre Kämpfe und ja — auch ihre Versuchungen.“

Er konnte niemals dieser Zeit denken, ohne bis in seine innersten Tiefen erschüttert zu werden; so hielt er auch jetzt inne, als sie im Gehen in eine kleine Rotunde gekommen waren, und lehnte sich auf eine kleine weiße Marmorsäule, mit der einen Hand seine Augen bergend, mit der andern nach der Elisabeths fassend. Sie gab sie ihm willig, drückte die seine innig und trat näher zu ihm.

Die Rotunde, in welcher sie standen, war von hohen Eichen gebildet, die dicht nebeneinander standen, daran

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[173/0179] Versuchungen kennen gelernt haben? Ich kenne sie — denn mir waren sie alle Genossen!“ „Ihnen? Ihrer Phantasie — Ihren Dichterwerken.“ „Warum sollt ich mich schämen, Ihnen die Geschichte meiner Armuth zu erzählen? Meine Mutter hatte aus Polen flüchten müssen, glaubte sich dadurch ihrer Güter verlustig. Ein Verwandter, Graf Golzenau nahm mich, den Knaben, auf und ließ meine Erziehung vollenden. Wie ich zum Jüngling geworden, konnt’ ich es nicht mehr ertragen, von Anderer Güte zu leben, da ich sah, wie Tausende neben mir sich auch ohne Vermögen und fremde Unterstützung durch’s Leben schlagen mußten — ich nahm Nichts mehr an von meinem Verwandten — und so lebt’ ich in Armuth und Dürftigkeit während meiner schönsten Jugendjahre — und daher kenn’ ich die Armuth und ihr Unglück und ihre Kämpfe und ja — auch ihre Versuchungen.“ Er konnte niemals dieser Zeit denken, ohne bis in seine innersten Tiefen erschüttert zu werden; so hielt er auch jetzt inne, als sie im Gehen in eine kleine Rotunde gekommen waren, und lehnte sich auf eine kleine weiße Marmorsäule, mit der einen Hand seine Augen bergend, mit der andern nach der Elisabeths fassend. Sie gab sie ihm willig, drückte die seine innig und trat näher zu ihm. Die Rotunde, in welcher sie standen, war von hohen Eichen gebildet, die dicht nebeneinander standen, daran

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/179>, abgerufen am 27.11.2024.