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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.

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"Dieser Dichter hatte lange Zeit vergessen, daß er einer war, bis Sie ihn wieder dazu machten --" antwortete Jaromir und fuhr dann fort: "Sehen Sie, Ihnen allein gegenüber darf ich doch wahr sein? Sie haben es ja eben ausgesprochen, daß ich ein Dichter sei -- nicht jedem Wesen entschleiert ein solcher seine Seele -- und darum, als ich Sie das erste Mal in diesem Schlosse sah, als ich unerwartet in der Tochter dieses Hauses das weinende Mädchen wieder erkannte, das ich einst fern von hier begrüßt, da fesselte nicht allein das Erstaunen meine Zunge, daß ich es nicht aussprach, wie Sie mir nicht ganz fremd seien, sondern ich blieb darüber stumm, weil diese Begegnung immer ein süßes Geheimniß meiner Seele geblieben war, das ich nun nicht auf ein Mal mit gleichgültigen Worten gleichgültigen Ohren und Herzen Preis geben konnte. Und dann -- ich wußte ja nicht, ob es nicht vielleicht auch Ihr stilles Geheimniß war, das keine Zeugen und keine Mitwisser duldete, an jenem Tag und an jener Stelle sich auszuweinen? Und lieber noch hätte ich mich selbst verrathen, als Sie!"

"Ich danke Ihnen für diese Rücksicht. Thränen, mit denen man sich in die Einsamkeit flüchtet, um sie auszuweinen, werden von Andern verstanden --" sagte Elisabeth.

Er fuhr fort: "Sie waren gewiß an jenem Morgen

„Dieser Dichter hatte lange Zeit vergessen, daß er einer war, bis Sie ihn wieder dazu machten —“ antwortete Jaromir und fuhr dann fort: „Sehen Sie, Ihnen allein gegenüber darf ich doch wahr sein? Sie haben es ja eben ausgesprochen, daß ich ein Dichter sei — nicht jedem Wesen entschleiert ein solcher seine Seele — und darum, als ich Sie das erste Mal in diesem Schlosse sah, als ich unerwartet in der Tochter dieses Hauses das weinende Mädchen wieder erkannte, das ich einst fern von hier begrüßt, da fesselte nicht allein das Erstaunen meine Zunge, daß ich es nicht aussprach, wie Sie mir nicht ganz fremd seien, sondern ich blieb darüber stumm, weil diese Begegnung immer ein süßes Geheimniß meiner Seele geblieben war, das ich nun nicht auf ein Mal mit gleichgültigen Worten gleichgültigen Ohren und Herzen Preis geben konnte. Und dann — ich wußte ja nicht, ob es nicht vielleicht auch Ihr stilles Geheimniß war, das keine Zeugen und keine Mitwisser duldete, an jenem Tag und an jener Stelle sich auszuweinen? Und lieber noch hätte ich mich selbst verrathen, als Sie!“

„Ich danke Ihnen für diese Rücksicht. Thränen, mit denen man sich in die Einsamkeit flüchtet, um sie auszuweinen, werden von Andern verstanden —“ sagte Elisabeth.

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[51/0057] „Dieser Dichter hatte lange Zeit vergessen, daß er einer war, bis Sie ihn wieder dazu machten —“ antwortete Jaromir und fuhr dann fort: „Sehen Sie, Ihnen allein gegenüber darf ich doch wahr sein? Sie haben es ja eben ausgesprochen, daß ich ein Dichter sei — nicht jedem Wesen entschleiert ein solcher seine Seele — und darum, als ich Sie das erste Mal in diesem Schlosse sah, als ich unerwartet in der Tochter dieses Hauses das weinende Mädchen wieder erkannte, das ich einst fern von hier begrüßt, da fesselte nicht allein das Erstaunen meine Zunge, daß ich es nicht aussprach, wie Sie mir nicht ganz fremd seien, sondern ich blieb darüber stumm, weil diese Begegnung immer ein süßes Geheimniß meiner Seele geblieben war, das ich nun nicht auf ein Mal mit gleichgültigen Worten gleichgültigen Ohren und Herzen Preis geben konnte. Und dann — ich wußte ja nicht, ob es nicht vielleicht auch Ihr stilles Geheimniß war, das keine Zeugen und keine Mitwisser duldete, an jenem Tag und an jener Stelle sich auszuweinen? Und lieber noch hätte ich mich selbst verrathen, als Sie!“ „Ich danke Ihnen für diese Rücksicht. Thränen, mit denen man sich in die Einsamkeit flüchtet, um sie auszuweinen, werden von Andern verstanden —“ sagte Elisabeth. Er fuhr fort: „Sie waren gewiß an jenem Morgen

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/57>, abgerufen am 14.05.2024.