Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.Franz aufgesucht und gesagt, es sei unrecht von ihm, daß er Fräulein Pauline immer so mit Erzählungen von Unglücklichen quäle, und sie dann berede, das Elend selbst mit anzusehen. Eine junge zärtliche Dame, wie sie, könne so Etwas nicht vertragen, sie werde dadurch selbst noch krank, weil es sie immer so angreife; ihre Gesundheit sei dadurch schon ganz zerrüttet -- sie setze ihr Leben auf's Spiel, wenn sie es noch länger so treibe; sie selbst habe freilich davon keine Ahnung, um so mehr sei es jedes Menschen Gewissenssache, sie zu schonen. Franz war ungläubig gewesen -- ich war es auch, dann sagte ich mir: die armen Leute müssen in diesem Elend leben und es selbst ertragen und die vornehmen Leute sollten gleich daran sterben, wenn sie es nur ein Mal erzählen hören, oder von Weitem einen flüchtigen Blick darauf werfen?" "Mein Fräulein ist ganz wohl -- und was will denn der Chirurg von ihr wissen, der sie niemals behandelt hat? Sie hat Gott sei Dank noch gar keinen Arzt gebraucht, seitdem sie hier ist. Und dieses alberne Mährchen hat Franz glauben können?" "Er hat es auch nicht so recht geglaubt, aber ängstlich hat es ihn doch gemacht. Sie gönnen uns diesen Engel nicht!" sagte er ernst und bitter -- aber wie er es sich näher überlegte, so hatte die Sache doch auch etwas Wahrscheinliches -- "diese Mädchen sind einmal so zart," Franz aufgesucht und gesagt, es sei unrecht von ihm, daß er Fräulein Pauline immer so mit Erzählungen von Unglücklichen quäle, und sie dann berede, das Elend selbst mit anzusehen. Eine junge zärtliche Dame, wie sie, könne so Etwas nicht vertragen, sie werde dadurch selbst noch krank, weil es sie immer so angreife; ihre Gesundheit sei dadurch schon ganz zerrüttet — sie setze ihr Leben auf’s Spiel, wenn sie es noch länger so treibe; sie selbst habe freilich davon keine Ahnung, um so mehr sei es jedes Menschen Gewissenssache, sie zu schonen. Franz war ungläubig gewesen — ich war es auch, dann sagte ich mir: die armen Leute müssen in diesem Elend leben und es selbst ertragen und die vornehmen Leute sollten gleich daran sterben, wenn sie es nur ein Mal erzählen hören, oder von Weitem einen flüchtigen Blick darauf werfen?“ „Mein Fräulein ist ganz wohl — und was will denn der Chirurg von ihr wissen, der sie niemals behandelt hat? Sie hat Gott sei Dank noch gar keinen Arzt gebraucht, seitdem sie hier ist. Und dieses alberne Mährchen hat Franz glauben können?“ „Er hat es auch nicht so recht geglaubt, aber ängstlich hat es ihn doch gemacht. Sie gönnen uns diesen Engel nicht!“ sagte er ernst und bitter — aber wie er es sich näher überlegte, so hatte die Sache doch auch etwas Wahrscheinliches — „diese Mädchen sind einmal so zart,“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0070" n="64"/> Franz aufgesucht und gesagt, es sei unrecht von ihm, daß er Fräulein Pauline immer so mit Erzählungen von Unglücklichen quäle, und sie dann berede, das Elend selbst mit anzusehen. Eine junge zärtliche Dame, wie sie, könne so Etwas nicht vertragen, sie werde dadurch selbst noch krank, weil es sie immer so angreife; ihre Gesundheit sei dadurch schon ganz zerrüttet — sie setze ihr Leben auf’s Spiel, wenn sie es noch länger so treibe; sie selbst habe freilich davon keine Ahnung, um so mehr sei es jedes Menschen Gewissenssache, sie zu schonen. Franz war ungläubig gewesen — ich war es auch, dann sagte ich mir: die armen Leute müssen in diesem Elend leben und es selbst ertragen und die vornehmen Leute sollten gleich daran sterben, wenn sie es nur ein Mal erzählen hören, oder von Weitem einen flüchtigen Blick darauf werfen?“</p> <p>„Mein Fräulein ist ganz wohl — und was will denn der Chirurg von ihr wissen, der sie niemals behandelt hat? Sie hat Gott sei Dank noch gar keinen Arzt gebraucht, seitdem sie hier ist. Und dieses alberne Mährchen hat Franz glauben können?“</p> <p>„Er hat es auch nicht so recht geglaubt, aber ängstlich hat es ihn doch gemacht. Sie gönnen uns diesen Engel nicht!“ sagte er ernst und bitter — aber wie er es sich näher überlegte, so hatte die Sache doch auch etwas Wahrscheinliches — „diese Mädchen sind einmal so zart,“ </p> </div> </body> </text> </TEI> [64/0070]
Franz aufgesucht und gesagt, es sei unrecht von ihm, daß er Fräulein Pauline immer so mit Erzählungen von Unglücklichen quäle, und sie dann berede, das Elend selbst mit anzusehen. Eine junge zärtliche Dame, wie sie, könne so Etwas nicht vertragen, sie werde dadurch selbst noch krank, weil es sie immer so angreife; ihre Gesundheit sei dadurch schon ganz zerrüttet — sie setze ihr Leben auf’s Spiel, wenn sie es noch länger so treibe; sie selbst habe freilich davon keine Ahnung, um so mehr sei es jedes Menschen Gewissenssache, sie zu schonen. Franz war ungläubig gewesen — ich war es auch, dann sagte ich mir: die armen Leute müssen in diesem Elend leben und es selbst ertragen und die vornehmen Leute sollten gleich daran sterben, wenn sie es nur ein Mal erzählen hören, oder von Weitem einen flüchtigen Blick darauf werfen?“
„Mein Fräulein ist ganz wohl — und was will denn der Chirurg von ihr wissen, der sie niemals behandelt hat? Sie hat Gott sei Dank noch gar keinen Arzt gebraucht, seitdem sie hier ist. Und dieses alberne Mährchen hat Franz glauben können?“
„Er hat es auch nicht so recht geglaubt, aber ängstlich hat es ihn doch gemacht. Sie gönnen uns diesen Engel nicht!“ sagte er ernst und bitter — aber wie er es sich näher überlegte, so hatte die Sache doch auch etwas Wahrscheinliches — „diese Mädchen sind einmal so zart,“
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