Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.Julinacht draußen war hell, durch das kleine offen stehende Fenster der Kammer schauten die Sterne hell zu ihm herein, sie leuchteten ihm genug zu seinen verworrenen Träumereien. Er hatte seinen Ellenbogen auf den Tisch gestemmt, das Haupt in die Hand gestützt. So sann er. Bald rieselte es wie eisiger Schauer über seine ganze Haut, bald fühlte er sein Herz, seine Schläfe, seine Adern heftig pochen -- dann glitt eine große Thräne langsam, sehr langsam und sehr heiß über seine bleiche Wange. Er flüsterte leise für sich. Solch' stillgeführtes Selbstgespräch allein mit sich oder mit seinem Gott war für ihn eine Art von Bedürfniß geworden. Seine Genossen verstanden ihn ja nicht -- nicht einmal Wilhelm, das hatte er erst jetzt wieder erfahren. Ein Wesen gab es freilich, das ihn vielleicht verstanden hätte -- aber von all' diesen Dingen wollte er ja nicht einmal zu der schweigend verehrten Geliebten sprechen, selbst wenn er es gekonnt hätte. Jetzt sprach er zu sich: "Und was haben sie denn nun da Anderes gesagt und geschrieben, daß es mich so gewaltsam bewegt hat? Waren es nicht hier und da meine eigenen Worte, was ich da las? -- und doch wirbelt mir das Hirn, brennt meine Stirn -- mir ist, als sei ich plötzlich fieberheiß hinausgestoßen Julinacht draußen war hell, durch das kleine offen stehende Fenster der Kammer schauten die Sterne hell zu ihm herein, sie leuchteten ihm genug zu seinen verworrenen Träumereien. Er hatte seinen Ellenbogen auf den Tisch gestemmt, das Haupt in die Hand gestützt. So sann er. Bald rieselte es wie eisiger Schauer über seine ganze Haut, bald fühlte er sein Herz, seine Schläfe, seine Adern heftig pochen — dann glitt eine große Thräne langsam, sehr langsam und sehr heiß über seine bleiche Wange. Er flüsterte leise für sich. Solch’ stillgeführtes Selbstgespräch allein mit sich oder mit seinem Gott war für ihn eine Art von Bedürfniß geworden. Seine Genossen verstanden ihn ja nicht — nicht einmal Wilhelm, das hatte er erst jetzt wieder erfahren. Ein Wesen gab es freilich, das ihn vielleicht verstanden hätte — aber von all’ diesen Dingen wollte er ja nicht einmal zu der schweigend verehrten Geliebten sprechen, selbst wenn er es gekonnt hätte. Jetzt sprach er zu sich: „Und was haben sie denn nun da Anderes gesagt und geschrieben, daß es mich so gewaltsam bewegt hat? Waren es nicht hier und da meine eigenen Worte, was ich da las? — und doch wirbelt mir das Hirn, brennt meine Stirn — mir ist, als sei ich plötzlich fieberheiß hinausgestoßen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0095" n="89"/> Julinacht draußen war hell, durch das kleine offen stehende Fenster der Kammer schauten die Sterne hell zu ihm herein, sie leuchteten ihm genug zu seinen verworrenen Träumereien. Er hatte seinen Ellenbogen auf den Tisch gestemmt, das Haupt in die Hand gestützt. So sann er. Bald rieselte es wie eisiger Schauer über seine ganze Haut, bald fühlte er sein Herz, seine Schläfe, seine Adern heftig pochen — dann glitt eine große Thräne langsam, sehr langsam und sehr heiß über seine bleiche Wange.</p> <p>Er flüsterte leise für sich. Solch’ stillgeführtes Selbstgespräch allein mit sich oder mit seinem Gott war für ihn eine Art von Bedürfniß geworden. Seine Genossen verstanden ihn ja nicht — nicht einmal Wilhelm, das hatte er erst jetzt wieder erfahren. Ein Wesen gab es freilich, das ihn vielleicht verstanden hätte — aber von all’ diesen Dingen wollte er ja nicht einmal zu der schweigend verehrten Geliebten sprechen, selbst wenn er es gekonnt hätte.</p> <p>Jetzt sprach er zu sich:</p> <p>„Und was haben sie denn nun da Anderes gesagt und geschrieben, daß es mich so gewaltsam bewegt hat? Waren es nicht hier und da meine eigenen Worte, was ich da las? — und doch wirbelt mir das Hirn, brennt meine Stirn — mir ist, als sei ich plötzlich fieberheiß hinausgestoßen </p> </div> </body> </text> </TEI> [89/0095]
Julinacht draußen war hell, durch das kleine offen stehende Fenster der Kammer schauten die Sterne hell zu ihm herein, sie leuchteten ihm genug zu seinen verworrenen Träumereien. Er hatte seinen Ellenbogen auf den Tisch gestemmt, das Haupt in die Hand gestützt. So sann er. Bald rieselte es wie eisiger Schauer über seine ganze Haut, bald fühlte er sein Herz, seine Schläfe, seine Adern heftig pochen — dann glitt eine große Thräne langsam, sehr langsam und sehr heiß über seine bleiche Wange.
Er flüsterte leise für sich. Solch’ stillgeführtes Selbstgespräch allein mit sich oder mit seinem Gott war für ihn eine Art von Bedürfniß geworden. Seine Genossen verstanden ihn ja nicht — nicht einmal Wilhelm, das hatte er erst jetzt wieder erfahren. Ein Wesen gab es freilich, das ihn vielleicht verstanden hätte — aber von all’ diesen Dingen wollte er ja nicht einmal zu der schweigend verehrten Geliebten sprechen, selbst wenn er es gekonnt hätte.
Jetzt sprach er zu sich:
„Und was haben sie denn nun da Anderes gesagt und geschrieben, daß es mich so gewaltsam bewegt hat? Waren es nicht hier und da meine eigenen Worte, was ich da las? — und doch wirbelt mir das Hirn, brennt meine Stirn — mir ist, als sei ich plötzlich fieberheiß hinausgestoßen
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