Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 3. Leipzig, 1846.fremd gewesen. Die Vögel, die sich zur Reise rüsteten, mahnten sie daran, daß bald nach ihnen ihr Sänger fortziehen, daß ihr Jaromir die sterbende Natur mit der lebendigen Stadt vertauschen werde. Sie malte es sich aus, wie der Park veröden werde ohne ihn. Auch ein kleiner Auftritt von gestern kam ihr nicht wieder aus dem Gedächtniß und trug dazu bei, ihre trübe Stimmung zu erhöhen. Sie hatte nämlich gestern im Gesellschaftszimmer einen Band Gedichte von Jaromir liegen lassen. Aarens war dagewesen und hatte ihn zur Hand genommen, man hatte über die Gedichte und den Dichter gesprochen und der Graf Hohenthal hatte Aarens aufgefordert, eines oder das andere davon vorzulesen, da ihm noch alle unbekannt seien. Aarens hatte mit lächelnder Miene ein Freiheitslied aufgesucht und vorgetragen, das dem Grafen wegen seiner radicalen Tendenz höchlichst mißfiel -- er wollte ein anderes hören, Aarens suchte ein anderes: "An die Frauen" -- und sagte, der Titel lasse doch auf einen zarteren Inhalt schließen -- aber in diesem Lied wurden die Worte: Frau und frei als zwei Synonymen gebraucht und die Frauen aufgefordert, auch nicht zurückzubleiben im würdigen Dienst der neuen Zeit -- dies Lied empörte die Gräfin noch mehr als den Grafen, sie fand es ganz unverträglich mit der Achtung und zarten Ergebenheit, welche sie für ihr ganzes Geschlecht in Anspruch fremd gewesen. Die Vögel, die sich zur Reise rüsteten, mahnten sie daran, daß bald nach ihnen ihr Sänger fortziehen, daß ihr Jaromir die sterbende Natur mit der lebendigen Stadt vertauschen werde. Sie malte es sich aus, wie der Park veröden werde ohne ihn. Auch ein kleiner Auftritt von gestern kam ihr nicht wieder aus dem Gedächtniß und trug dazu bei, ihre trübe Stimmung zu erhöhen. Sie hatte nämlich gestern im Gesellschaftszimmer einen Band Gedichte von Jaromir liegen lassen. Aarens war dagewesen und hatte ihn zur Hand genommen, man hatte über die Gedichte und den Dichter gesprochen und der Graf Hohenthal hatte Aarens aufgefordert, eines oder das andere davon vorzulesen, da ihm noch alle unbekannt seien. Aarens hatte mit lächelnder Miene ein Freiheitslied aufgesucht und vorgetragen, das dem Grafen wegen seiner radicalen Tendenz höchlichst mißfiel — er wollte ein anderes hören, Aarens suchte ein anderes: „An die Frauen“ — und sagte, der Titel lasse doch auf einen zarteren Inhalt schließen — aber in diesem Lied wurden die Worte: Frau und frei als zwei Synonymen gebraucht und die Frauen aufgefordert, auch nicht zurückzubleiben im würdigen Dienst der neuen Zeit — dies Lied empörte die Gräfin noch mehr als den Grafen, sie fand es ganz unverträglich mit der Achtung und zarten Ergebenheit, welche sie für ihr ganzes Geschlecht in Anspruch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0049" n="45"/> fremd gewesen. Die Vögel, die sich zur Reise rüsteten, mahnten sie daran, daß bald nach ihnen ihr Sänger fortziehen, daß ihr Jaromir die sterbende Natur mit der lebendigen Stadt vertauschen werde. Sie malte es sich aus, wie der Park veröden werde ohne ihn.</p> <p>Auch ein kleiner Auftritt von gestern kam ihr nicht wieder aus dem Gedächtniß und trug dazu bei, ihre trübe Stimmung zu erhöhen. Sie hatte nämlich gestern im Gesellschaftszimmer einen Band Gedichte von Jaromir liegen lassen. Aarens war dagewesen und hatte ihn zur Hand genommen, man hatte über die Gedichte und den Dichter gesprochen und der Graf Hohenthal hatte Aarens aufgefordert, eines oder das andere davon vorzulesen, da ihm noch alle unbekannt seien. Aarens hatte mit lächelnder Miene ein Freiheitslied aufgesucht und vorgetragen, das dem Grafen wegen seiner radicalen Tendenz höchlichst mißfiel — er wollte ein anderes hören, Aarens suchte ein anderes: „An die Frauen“ — und sagte, der Titel lasse doch auf einen zarteren Inhalt schließen — aber in diesem Lied wurden die Worte: Frau und frei als zwei Synonymen gebraucht und die Frauen aufgefordert, auch nicht zurückzubleiben im würdigen Dienst der neuen Zeit — dies Lied empörte die Gräfin noch mehr als den Grafen, sie fand es ganz unverträglich mit der Achtung und zarten Ergebenheit, welche sie für ihr ganzes Geschlecht in Anspruch </p> </div> </body> </text> </TEI> [45/0049]
fremd gewesen. Die Vögel, die sich zur Reise rüsteten, mahnten sie daran, daß bald nach ihnen ihr Sänger fortziehen, daß ihr Jaromir die sterbende Natur mit der lebendigen Stadt vertauschen werde. Sie malte es sich aus, wie der Park veröden werde ohne ihn.
Auch ein kleiner Auftritt von gestern kam ihr nicht wieder aus dem Gedächtniß und trug dazu bei, ihre trübe Stimmung zu erhöhen. Sie hatte nämlich gestern im Gesellschaftszimmer einen Band Gedichte von Jaromir liegen lassen. Aarens war dagewesen und hatte ihn zur Hand genommen, man hatte über die Gedichte und den Dichter gesprochen und der Graf Hohenthal hatte Aarens aufgefordert, eines oder das andere davon vorzulesen, da ihm noch alle unbekannt seien. Aarens hatte mit lächelnder Miene ein Freiheitslied aufgesucht und vorgetragen, das dem Grafen wegen seiner radicalen Tendenz höchlichst mißfiel — er wollte ein anderes hören, Aarens suchte ein anderes: „An die Frauen“ — und sagte, der Titel lasse doch auf einen zarteren Inhalt schließen — aber in diesem Lied wurden die Worte: Frau und frei als zwei Synonymen gebraucht und die Frauen aufgefordert, auch nicht zurückzubleiben im würdigen Dienst der neuen Zeit — dies Lied empörte die Gräfin noch mehr als den Grafen, sie fand es ganz unverträglich mit der Achtung und zarten Ergebenheit, welche sie für ihr ganzes Geschlecht in Anspruch
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