Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.der Erscheinungswelt gebraucht, um eine Behauptung zu erschleichen, die auf andere Art nicht bewiesen werden kann. Wenn ich ein Schienen-Geleise betrachte rücksichtlich des Umstandes, ob die eine Schiene von der andern abhängig sei, so ist die erste und einzige Frage, die mich interessirt, ob die eine Schiene von der andern kausal bedingt ist. Ist dies bejaht, dann ist der Umstand, ob die beiden Schienen mit einander paralell verlaufen, mir höchst einerlei, oder komt erst in zweiter Linie in Betracht. Ist sie verneint, so ist mein kausales Bedürfnis gedekt, und der weitere Umstand, ob die Schienen paralell verlaufen, kann mich dann ebenfalls nicht weiter interessiren. Mit der Anwendung des geometrischen Bildes des Paralellismus für den psicho-fisischen Prozess ist die Frage der Kausalität umgangen. Hier stekt also ein schwindelhafter Punkt im Denken des 19. Jahrhunderts. - Aehnlich steht es mit dem Bild des "Spiegels", der in der Form des Bewusstseins die fisischen Gehirnprozesse wiedergeben soll. Das Spiegelbild ist in der Natur die kausale Folge des Objekts. Das Spiegelbild ist nicht Nichts. Sonst wäre auch das Licht Nichts. Mit Spiegeln konte schon Archimedes Schiffe verbrennen. Mit der Wendung also, dass die Psiche die Gehirnvorgänge im Bewusstsein wiederspiegle, ist gesagt, dass sie die kausale Folge der Gehirnprozesse sei. Dies soll aber vermieden werden. Also auch hier Spiegelfechterei und Zweideutigkeit. - Konsequenter, und daher beachtenswerter, erscheinen einige jüngere Forscher, wie Münsterberg, Herzen, die unter der Dewise des "psicho-fisischen Materjalismus" einhergehen. Sie geben offen zu, dass, den Wechselverkehr des Körpers mit dem Geist vom materjalistischen Standpunkt aus zu verstehen, eine Unmöglichkeit sei; andrerseits beharren sie auf ihrer Forderung, dass jede psichische Tätigkeit eine molekülare Bewegung der Nervenelemente ist. Bei dem weiteren Versuch freilich, besondere psichische Tätigkeiten molekular zu erklären, kommen sie auf Abstrusitäten, wie: dass "Ideen Muskelzusammziehungen" seien; oder: dass "Raum und Zeit Wahrnehmungen von Unterschieden von Muskelspannungen" seien; und "Muskelempfindungen die der Erscheinungswelt gebraucht, um eine Behauptung zu erschleichen, die auf andere Art nicht bewiesen werden kann. Wenn ich ein Schienen-Geleise betrachte rücksichtlich des Umstandes, ob die eine Schiene von der andern abhängig sei, so ist die erste und einzige Frage, die mich interessirt, ob die eine Schiene von der andern kausal bedingt ist. Ist dies bejaht, dann ist der Umstand, ob die beiden Schienen mit einander paralell verlaufen, mir höchst einerlei, oder komt erst in zweiter Linie in Betracht. Ist sie verneint, so ist mein kausales Bedürfnis gedekt, und der weitere Umstand, ob die Schienen paralell verlaufen, kann mich dann ebenfalls nicht weiter interessiren. Mit der Anwendung des geometrischen Bildes des Paralellismus für den psicho-fisischen Prozess ist die Frage der Kausalität umgangen. Hier stekt also ein schwindelhafter Punkt im Denken des 19. Jahrhunderts. – Aehnlich steht es mit dem Bild des „Spiegels“, der in der Form des Bewusstseins die fisischen Gehirnprozesse wiedergeben soll. Das Spiegelbild ist in der Natur die kausale Folge des Objekts. Das Spiegelbild ist nicht Nichts. Sonst wäre auch das Licht Nichts. Mit Spiegeln konte schon Archimedes Schiffe verbrennen. Mit der Wendung also, dass die Psiche die Gehirnvorgänge im Bewusstsein wiederspiegle, ist gesagt, dass sie die kausale Folge der Gehirnprozesse sei. Dies soll aber vermieden werden. Also auch hier Spiegelfechterei und Zweideutigkeit. – Konsequenter, und daher beachtenswerter, erscheinen einige jüngere Forscher, wie Münsterberg, Herzen, die unter der Dewise des „psicho-fisischen Materjalismus“ einhergehen. Sie geben offen zu, dass, den Wechselverkehr des Körpers mit dem Geist vom materjalistischen Standpunkt aus zu verstehen, eine Unmöglichkeit sei; andrerseits beharren sie auf ihrer Forderung, dass jede psichische Tätigkeit eine molekülare Bewegung der Nervenelemente ist. Bei dem weiteren Versuch freilich, besondere psichische Tätigkeiten molekular zu erklären, kommen sie auf Abstrusitäten, wie: dass „Ideen Muskelzusammziehungen“ seien; oder: dass „Raum und Zeit Wahrnehmungen von Unterschieden von Muskelspannungen“ seien; und „Muskelempfindungen die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="12"/> der Erscheinungswelt gebraucht, um eine Behauptung zu erschleichen, die auf andere Art nicht bewiesen werden kann. Wenn ich ein Schienen-Geleise betrachte rücksichtlich des Umstandes, ob die eine Schiene von der andern <hi rendition="#g">abhängig</hi> sei, so ist die erste und einzige Frage, die mich interessirt, ob die eine Schiene von der andern <hi rendition="#g">kausal bedingt</hi> ist. Ist dies bejaht, dann ist der Umstand, ob die beiden Schienen mit einander paralell verlaufen, mir höchst einerlei, oder komt erst in zweiter Linie in Betracht. Ist sie verneint, so ist mein kausales Bedürfnis gedekt, und der weitere Umstand, ob die Schienen paralell verlaufen, kann mich dann ebenfalls nicht weiter interessiren. Mit der Anwendung des geometrischen Bildes des Paralellismus für den psicho-fisischen Prozess ist die Frage der Kausalität umgangen. Hier stekt also ein schwindelhafter Punkt im Denken des 19. Jahrhunderts. – Aehnlich steht es mit dem Bild des „Spiegels“, der in der Form des Bewusstseins die fisischen Gehirnprozesse wiedergeben soll. Das Spiegelbild ist in der Natur die kausale Folge des Objekts. Das Spiegelbild ist nicht Nichts. Sonst wäre auch das Licht Nichts. Mit Spiegeln konte schon <hi rendition="#g">Archimedes</hi> Schiffe verbrennen. Mit der Wendung also, dass die Psiche die Gehirnvorgänge im Bewusstsein wiederspiegle, ist gesagt, dass sie die kausale Folge der Gehirnprozesse sei. Dies soll aber vermieden werden. 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der Erscheinungswelt gebraucht, um eine Behauptung zu erschleichen, die auf andere Art nicht bewiesen werden kann. Wenn ich ein Schienen-Geleise betrachte rücksichtlich des Umstandes, ob die eine Schiene von der andern abhängig sei, so ist die erste und einzige Frage, die mich interessirt, ob die eine Schiene von der andern kausal bedingt ist. Ist dies bejaht, dann ist der Umstand, ob die beiden Schienen mit einander paralell verlaufen, mir höchst einerlei, oder komt erst in zweiter Linie in Betracht. Ist sie verneint, so ist mein kausales Bedürfnis gedekt, und der weitere Umstand, ob die Schienen paralell verlaufen, kann mich dann ebenfalls nicht weiter interessiren. Mit der Anwendung des geometrischen Bildes des Paralellismus für den psicho-fisischen Prozess ist die Frage der Kausalität umgangen. Hier stekt also ein schwindelhafter Punkt im Denken des 19. Jahrhunderts. – Aehnlich steht es mit dem Bild des „Spiegels“, der in der Form des Bewusstseins die fisischen Gehirnprozesse wiedergeben soll. Das Spiegelbild ist in der Natur die kausale Folge des Objekts. Das Spiegelbild ist nicht Nichts. Sonst wäre auch das Licht Nichts. Mit Spiegeln konte schon Archimedes Schiffe verbrennen. Mit der Wendung also, dass die Psiche die Gehirnvorgänge im Bewusstsein wiederspiegle, ist gesagt, dass sie die kausale Folge der Gehirnprozesse sei. Dies soll aber vermieden werden. Also auch hier Spiegelfechterei und Zweideutigkeit. – Konsequenter, und daher beachtenswerter, erscheinen einige jüngere Forscher, wie Münsterberg, Herzen, die unter der Dewise des „psicho-fisischen Materjalismus“ einhergehen. Sie geben offen zu, dass, den Wechselverkehr des Körpers mit dem Geist vom materjalistischen Standpunkt aus zu verstehen, eine Unmöglichkeit sei; andrerseits beharren sie auf ihrer Forderung, dass jede psichische Tätigkeit eine molekülare Bewegung der Nervenelemente ist. Bei dem weiteren Versuch freilich, besondere psichische Tätigkeiten molekular zu erklären, kommen sie auf Abstrusitäten, wie: dass „Ideen Muskelzusammziehungen“ seien; oder: dass „Raum und Zeit Wahrnehmungen von Unterschieden von Muskelspannungen“ seien; und „Muskelempfindungen die
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