Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.zurükgenommen, und haben, wie die Brahmanen, den ganzen Indra-Himmel zerstört, und das an ihre Stelle gesezt, was einzig ihnen als Denker übrig blieb: ein transzendentales Prinzip. Diese Leistung der indischen Denker war im Abendland nicht zu überbieten.1) 1) Max Müller erklärt dieses Verhältnis von Massen-Religion zu der esoterischen Erkenntnis des Einzelnen in Indien in einem Artikel der Nineteenth Century 1893 folgendermassen: "Die Lehren des Brahmanismus waren Jedermann zugänglich, freilig erst nach gebührender, so langwieriger und mühseliger Verbreitung, dass verhältnismässig Wenige das lezte Wort ergründeten. Der Brahmane musste sein Haus verlassen und sich in die Stille des Waldes in völlige Abgeschiedenheit zurükziehen. Das höchste Ziel dieses beschaulichen Einsiedlerlebens war die Erkentnis der eigenen Seele, des eigenen Selbst, Atman, im Gegensaz zum blossen Ego (Ich); eine schwierige Aufgabe; denn schon damals wurde die Existenz der Seele geläugnet. Manche hielten Leib und Seele für Eins, manche die Seele für den Lebenshauch und andere glaubten, die Seele sei einfach das Ego, der Geist mit all seinen Wahrnehmungen und Fähigkeiten. Der Einsiedler im Walde musste erkennen lernen, dass die Seele ihrer eigentlichen Natur gemäss nicht mit Auge, noch Ohr, noch überhaupt auf irgend eine Weise äusserlich wahrnehmbar ist gleich der körperlichen Welt, die ringsum besteht und vergeht. Denn sobald sie äusserlich wahrnehmbar ist, erscheint sie als etwas Objektives, von dem wahrnehmbaren Subjekt gänzlich verschiedenes. Sie wäre nicht länger die Seele. Das unsichtbare und äusserlich unwahrnehmbare Etwas, das vorher Seele hiess, wurde nun Atman, Selbst, genannt. Nichts weiter wusste man von diesem Selbst zu künden, als: "Es existirt, begreift, denkt." Hatte man aber erst einmal entdekt, dass die einzigen Eigenschaften, die man dem Atman, dem Selbst, in uns zuschreiben konte, indentisch waren mit denen, die Brahma angehörten, dem unsichtbaren Wesen, das in der Natur und den sogenanten Naturgöttern stekt, so war nur noch ein kurzer Schritt zur Entdekung der ursprünglichen Identität des Atman und des Brahma, der Einheit zwischen Gott und Menschen, der tatsächlichen Identität göttlicher und menschlischer Natur. Diese Identität in völliger Reinheit wiederherzustellen und endlich die Uebel der Unwissenheit, die sie bisher verhült hatten, zu verscheuchen, war fortan der höchste Lebenszwek des Waldsiedlers. Die Lehren, welche die Ergebnisse dieser in Waldeinsamkeit gepflogenen filosofischen Betrachtungen enthielten, hiessen Upanischads oder Rahasya (Geheimlehren). Sie wurden von den jungen [jungeu] Leuten und Ehemännern verborgen gehalten. Diese durften nicht zu frühe hören, dass die Götter, die sie verehrten, nur verschiedene Namen für das in der Natur verborgene Unbekante waren, und alle Weisheit in dem einen
zurükgenommen, und haben, wie die Brahmanen, den ganzen Indra-Himmel zerstört, und das an ihre Stelle gesezt, was einzig ihnen als Denker übrig blieb: ein transzendentales Prinzip. Diese Leistung der indischen Denker war im Abendland nicht zu überbieten.1) 1) Max Müller erklärt dieses Verhältnis von Massen-Religion zu der esoterischen Erkenntnis des Einzelnen in Indien in einem Artikel der Nineteenth Century 1893 folgendermassen: „Die Lehren des Brahmanismus waren Jedermann zugänglich, freilig erst nach gebührender, so langwieriger und mühseliger Verbreitung, dass verhältnismässig Wenige das lezte Wort ergründeten. Der Brahmane musste sein Haus verlassen und sich in die Stille des Waldes in völlige Abgeschiedenheit zurükziehen. Das höchste Ziel dieses beschaulichen Einsiedlerlebens war die Erkentnis der eigenen Seele, des eigenen Selbst, Atman, im Gegensaz zum blossen Ego (Ich); eine schwierige Aufgabe; denn schon damals wurde die Existenz der Seele geläugnet. Manche hielten Leib und Seele für Eins, manche die Seele für den Lebenshauch und andere glaubten, die Seele sei einfach das Ego, der Geist mit all seinen Wahrnehmungen und Fähigkeiten. Der Einsiedler im Walde musste erkennen lernen, dass die Seele ihrer eigentlichen Natur gemäss nicht mit Auge, noch Ohr, noch überhaupt auf irgend eine Weise äusserlich wahrnehmbar ist gleich der körperlichen Welt, die ringsum besteht und vergeht. Denn sobald sie äusserlich wahrnehmbar ist, erscheint sie als etwas Objektives, von dem wahrnehmbaren Subjekt gänzlich verschiedenes. Sie wäre nicht länger die Seele. Das unsichtbare und äusserlich unwahrnehmbare Etwas, das vorher Seele hiess, wurde nun Atman, Selbst, genannt. Nichts weiter wusste man von diesem Selbst zu künden, als: „Es existirt, begreift, denkt.“ Hatte man aber erst einmal entdekt, dass die einzigen Eigenschaften, die man dem Atman, dem Selbst, in uns zuschreiben konte, indentisch waren mit denen, die Brahma angehörten, dem unsichtbaren Wesen, das in der Natur und den sogenanten Naturgöttern stekt, so war nur noch ein kurzer Schritt zur Entdekung der ursprünglichen Identität des Atman und des Brahma, der Einheit zwischen Gott und Menschen, der tatsächlichen Identität göttlicher und menschlischer Natur. Diese Identität in völliger Reinheit wiederherzustellen und endlich die Uebel der Unwissenheit, die sie bisher verhült hatten, zu verscheuchen, war fortan der höchste Lebenszwek des Waldsiedlers. Die Lehren, welche die Ergebnisse dieser in Waldeinsamkeit gepflogenen filosofischen Betrachtungen enthielten, hiessen Upanischads oder Rahasya (Geheimlehren). Sie wurden von den jungen [jungeu] Leuten und Ehemännern verborgen gehalten. Diese durften nicht zu frühe hören, dass die Götter, die sie verehrten, nur verschiedene Namen für das in der Natur verborgene Unbekante waren, und alle Weisheit in dem einen
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zurükgenommen, und haben, wie die Brahmanen, den ganzen Indra-Himmel zerstört, und das an ihre Stelle gesezt, was einzig ihnen als Denker übrig blieb: ein transzendentales Prinzip. Diese Leistung der indischen Denker war im Abendland nicht zu überbieten. 1)
1) Max Müller erklärt dieses Verhältnis von Massen-Religion zu der esoterischen Erkenntnis des Einzelnen in Indien in einem Artikel der Nineteenth Century 1893 folgendermassen: „Die Lehren des Brahmanismus waren Jedermann zugänglich, freilig erst nach gebührender, so langwieriger und mühseliger Verbreitung, dass verhältnismässig Wenige das lezte Wort ergründeten. Der Brahmane musste sein Haus verlassen und sich in die Stille des Waldes in völlige Abgeschiedenheit zurükziehen. Das höchste Ziel dieses beschaulichen Einsiedlerlebens war die Erkentnis der eigenen Seele, des eigenen Selbst, Atman, im Gegensaz zum blossen Ego (Ich); eine schwierige Aufgabe; denn schon damals wurde die Existenz der Seele geläugnet. Manche hielten Leib und Seele für Eins, manche die Seele für den Lebenshauch und andere glaubten, die Seele sei einfach das Ego, der Geist mit all seinen Wahrnehmungen und Fähigkeiten. Der Einsiedler im Walde musste erkennen lernen, dass die Seele ihrer eigentlichen Natur gemäss nicht mit Auge, noch Ohr, noch überhaupt auf irgend eine Weise äusserlich wahrnehmbar ist gleich der körperlichen Welt, die ringsum besteht und vergeht. Denn sobald sie äusserlich wahrnehmbar ist, erscheint sie als etwas Objektives, von dem wahrnehmbaren Subjekt gänzlich verschiedenes. Sie wäre nicht länger die Seele. Das unsichtbare und äusserlich unwahrnehmbare Etwas, das vorher Seele hiess, wurde nun Atman, Selbst, genannt. Nichts weiter wusste man von diesem Selbst zu künden, als: „Es existirt, begreift, denkt.“ Hatte man aber erst einmal entdekt, dass die einzigen Eigenschaften, die man dem Atman, dem Selbst, in uns zuschreiben konte, indentisch waren mit denen, die Brahma angehörten, dem unsichtbaren Wesen, das in der Natur und den sogenanten Naturgöttern stekt, so war nur noch ein kurzer Schritt zur Entdekung der ursprünglichen Identität des Atman und des Brahma, der Einheit zwischen Gott und Menschen, der tatsächlichen Identität göttlicher und menschlischer Natur. Diese Identität in völliger Reinheit wiederherzustellen und endlich die Uebel der Unwissenheit, die sie bisher verhült hatten, zu verscheuchen, war fortan der höchste Lebenszwek des Waldsiedlers. Die Lehren, welche die Ergebnisse dieser in Waldeinsamkeit gepflogenen filosofischen Betrachtungen enthielten, hiessen Upanischads oder Rahasya (Geheimlehren). Sie wurden von den jungen [jungeu] Leuten und Ehemännern verborgen gehalten. Diese durften nicht zu frühe hören, dass die Götter, die sie verehrten, nur verschiedene Namen für das in der Natur verborgene Unbekante waren, und alle Weisheit in dem einen
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