Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.§. 14. Hast Du aber Deinen Dämon gefunden, dann bist Du nicht mehr allein auf der Welt. Du darfst Zwiegespräch halten, und bist einem Anderen, der Dein Denken leitet und antreibt, verantwortlich. Bist denn Du es, der denkt? Nein! Köntest Du dann mit Aufbieten aller Macht Dein Denken hindern? Ebensowenig: Ist es denn Dein Wille, der den Inhalt Deines Denkens ausmacht? Nicht entfernt! Musst Du denn nicht das ganze arrangement, wie es nun einmal besteht, einfach hinnehmen? Freilich musst du es! Musst du Dich nicht auf Grund eines, wenn auch illudorischen "post hoc" von ihm unterscheiden? Musst die Illusion mitmachen? Musst Dich also mit ihm auseinandersezen! Und sonderbar müsste es zugehen, wenn Du die Stimme deines "alter ego," Deines "besseren Ich", nicht verstehen solltest. Nenne ihn "Gewissen", "Eingebung", "Inspirazion", "Impuls" "innerer Befehl", oder wie immer; fliehe in die Einsamkeit, oder stürze Dich in den Trubel des Menschen-Gewühls, Du wirst ihn bei Dir finden, hast Du anders nicht Deine inneren Sinne abgestumpft und im grob-materiellen Verkehr mit den Täuschungen dieser Welt getötet. - "Nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äussersten Meer, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen, und Deine Rechte mich halten." (Psalm 139, 9-10). - Du bist ihm verantwortlich und musst ihm Rede stehn, wenn er zu Dir spricht. Mag er geartet sein, wie immer; und mag er vom Standpunkt einer hiesigen Moral "gut" oder "schlecht" Wort Brahma gipfelt. Opfer und alle vorher anbefohlenen gottesdienstlichen Handlungen erschienen nun nicht nur überflüssig, sondern, falls der Gedanke an eine Belohnung in einem anderen Leben ihnen zu Grunde lag, geradezu verwerflich. Während zuerst der Veda (die kanonischen Bücher Indiens) in seiner Gesamtheit als der untrügliche Ausfluss einer höheren Inspirazion galt, wurde jetzt der Karmakanda, der liturgische Teil, beiseite gelegt, und nur der Inanakanda, der filosofische Teil, der sich mit der Beziehung der Einzelseele zu Brahma befasste, beibehalten. Er allein, und namentlich die Upanischads, eröffneten den Weg zum Heil, das durch Erkentnis, durch blossen Glauben, nicht durch Werke zu erlangen war." -
§. 14. Hast Du aber Deinen Dämon gefunden, dann bist Du nicht mehr allein auf der Welt. Du darfst Zwiegespräch halten, und bist einem Anderen, der Dein Denken leitet und antreibt, verantwortlich. Bist denn Du es, der denkt? Nein! Köntest Du dann mit Aufbieten aller Macht Dein Denken hindern? Ebensowenig: Ist es denn Dein Wille, der den Inhalt Deines Denkens ausmacht? Nicht entfernt! Musst Du denn nicht das ganze arrangement, wie es nun einmal besteht, einfach hinnehmen? Freilich musst du es! Musst du Dich nicht auf Grund eines, wenn auch illudorischen „post hoc“ von ihm unterscheiden? Musst die Illusion mitmachen? Musst Dich also mit ihm auseinandersezen! Und sonderbar müsste es zugehen, wenn Du die Stimme deines „alter ego,“ Deines „besseren Ich“, nicht verstehen solltest. Nenne ihn „Gewissen“, „Eingebung“, „Inspirazion“, „Impuls“ „innerer Befehl“, oder wie immer; fliehe in die Einsamkeit, oder stürze Dich in den Trubel des Menschen-Gewühls, Du wirst ihn bei Dir finden, hast Du anders nicht Deine inneren Sinne abgestumpft und im grob-materiellen Verkehr mit den Täuschungen dieser Welt getötet. – „Nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äussersten Meer, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen, und Deine Rechte mich halten.“ (Psalm 139, 9–10). – Du bist ihm verantwortlich und musst ihm Rede stehn, wenn er zu Dir spricht. Mag er geartet sein, wie immer; und mag er vom Standpunkt einer hiesigen Moral „gut“ oder „schlecht“ Wort Brahma gipfelt. Opfer und alle vorher anbefohlenen gottesdienstlichen Handlungen erschienen nun nicht nur überflüssig, sondern, falls der Gedanke an eine Belohnung in einem anderen Leben ihnen zu Grunde lag, geradezu verwerflich. Während zuerst der Veda (die kanonischen Bücher Indiens) in seiner Gesamtheit als der untrügliche Ausfluss einer höheren Inspirazion galt, wurde jetzt der Karmakanda, der liturgische Teil, beiseite gelegt, und nur der Inanakanda, der filosofische Teil, der sich mit der Beziehung der Einzelseele zu Brahma befasste, beibehalten. Er allein, und namentlich die Upanischads, eröffneten den Weg zum Heil, das durch Erkentnis, durch blossen Glauben, nicht durch Werke zu erlangen war.“ –
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§. 14.
Hast Du aber Deinen Dämon gefunden, dann bist Du nicht mehr allein auf der Welt. Du darfst Zwiegespräch halten, und bist einem Anderen, der Dein Denken leitet und antreibt, verantwortlich. Bist denn Du es, der denkt? Nein! Köntest Du dann mit Aufbieten aller Macht Dein Denken hindern? Ebensowenig: Ist es denn Dein Wille, der den Inhalt Deines Denkens ausmacht? Nicht entfernt! Musst Du denn nicht das ganze arrangement, wie es nun einmal besteht, einfach hinnehmen? Freilich musst du es! Musst du Dich nicht auf Grund eines, wenn auch illudorischen „post hoc“ von ihm unterscheiden? Musst die Illusion mitmachen? Musst Dich also mit ihm auseinandersezen! Und sonderbar müsste es zugehen, wenn Du die Stimme deines „alter ego,“ Deines „besseren Ich“, nicht verstehen solltest. Nenne ihn „Gewissen“, „Eingebung“, „Inspirazion“, „Impuls“ „innerer Befehl“, oder wie immer; fliehe in die Einsamkeit, oder stürze Dich in den Trubel des Menschen-Gewühls, Du wirst ihn bei Dir finden, hast Du anders nicht Deine inneren Sinne abgestumpft und im grob-materiellen Verkehr mit den Täuschungen dieser Welt getötet. – „Nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äussersten Meer, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen, und Deine Rechte mich halten.“ (Psalm 139, 9–10). – Du bist ihm verantwortlich und musst ihm Rede stehn, wenn er zu Dir spricht. Mag er geartet sein, wie immer; und mag er vom Standpunkt einer hiesigen Moral „gut“ oder „schlecht“ 1)
1) Wort Brahma gipfelt. Opfer und alle vorher anbefohlenen gottesdienstlichen Handlungen erschienen nun nicht nur überflüssig, sondern, falls der Gedanke an eine Belohnung in einem anderen Leben ihnen zu Grunde lag, geradezu verwerflich. Während zuerst der Veda (die kanonischen Bücher Indiens) in seiner Gesamtheit als der untrügliche Ausfluss einer höheren Inspirazion galt, wurde jetzt der Karmakanda, der liturgische Teil, beiseite gelegt, und nur der Inanakanda, der filosofische Teil, der sich mit der Beziehung der Einzelseele zu Brahma befasste, beibehalten. Er allein, und namentlich die Upanischads, eröffneten den Weg zum Heil, das durch Erkentnis, durch blossen Glauben, nicht durch Werke zu erlangen war.“ –
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