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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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ich bin nicht allein. Mag der Dämon ein Einfaches oder Vielfaches sein. Er ist da. Er tritt mir gegenüber. Wohl nur in Maske. Wir sind wie Blindgeborene, deren hereditär überkommene Gesichtsvorstellungen sie ahnen lässt, dass etwas mehr da ist, als was sie greifen und hören. Aber solange das Auge nicht operativ geöffnet wird, bleibt ihnen die geahnte Welt, das was hinter ihren Tast- und Gehörs-Empfindungen noch da ist, nämlich die räumliche Projekzion, verschlossen. - In der Erscheinungswelt trift sich also der Dämon von zwei Seiten, maskirt, wie auf einem Maskenball. In zwei einander gegenüberstehenden Menschen, die sich messen, spielt also der Dämon mit seinem "alter ego"; beide in Maske. Und ich, der sinliche Erfahrungsmensch, bin nur gut zum Maskenspiel. Wir sind nur Marjonetten, gezogen an fremden uns unbekanten Schnüren. Unser Glük: die Illusion, wir bewegten uns selbst. Wenigstens für den vulgären Menschen. Der Denker weiss genau, wie er dran ist. Deshalb ist er unglücklich, verbittert, resignirt. Warum wolte er den Schleier der Maya lüften?! Das brutalste Glük und die schmählichste Täuschung, die uns begegnet: die erotische Beziehung zwischen Mann und Weib, wo wir meinen zu empfinden, zu handeln, und nur die Arbeit eines Höheren verrichten, dem an Multiplizirung und Proliferirung sinlicher, illusion-erzeugender Aparate liegt.

Nur der Tod macht dem Spuk ein Ende. Für mich ein Ende. Denn Alles spricht dafür, dass ich, mein Denken, nichts weiss, dass mein Leichnam - ein illusionistisches Produkt - stinkend dort liegt, ein Schauspiel der Andern. Der Dämon zieht sich zurük. Die kreatorische Tätigkeit stelt er ein. Und die Hülse, die Maske, verfault zusehends im illusorischen Genuss - der Andern, Ueberlebenden. Dass kein Rest, kein Denk-Rest, soweit Menschen-Erfahrung reicht, von mir übrig bleibt, muss uns, so eifrig nach "Erhaltung der Kraft" Spürende, doch aufmerksam machen, dass hier etwas zum Teufel geht, wie man vulgär sagt, - wohin? Etwas, das Denken, wohin? - Und die Maske verfault vor unseren Augen. Sie mischt sich in die Masse der übrigen illusorischen Produkte. Sie geht ohne Rest auf.

ich bin nicht allein. Mag der Dämon ein Einfaches oder Vielfaches sein. Er ist da. Er tritt mir gegenüber. Wohl nur in Maske. Wir sind wie Blindgeborene, deren hereditär überkommene Gesichtsvorstellungen sie ahnen lässt, dass etwas mehr da ist, als was sie greifen und hören. Aber solange das Auge nicht operativ geöffnet wird, bleibt ihnen die geahnte Welt, das was hinter ihren Tast- und Gehörs-Empfindungen noch da ist, nämlich die räumliche Projekzion, verschlossen. – In der Erscheinungswelt trift sich also der Dämon von zwei Seiten, maskirt, wie auf einem Maskenball. In zwei einander gegenüberstehenden Menschen, die sich messen, spielt also der Dämon mit seinem „alter ego“; beide in Maske. Und ich, der sinliche Erfahrungsmensch, bin nur gut zum Maskenspiel. Wir sind nur Marjonetten, gezogen an fremden uns unbekanten Schnüren. Unser Glük: die Illusion, wir bewegten uns selbst. Wenigstens für den vulgären Menschen. Der Denker weiss genau, wie er dran ist. Deshalb ist er unglücklich, verbittert, resignirt. Warum wolte er den Schleier der Maya lüften?! Das brutalste Glük und die schmählichste Täuschung, die uns begegnet: die erotische Beziehung zwischen Mann und Weib, wo wir meinen zu empfinden, zu handeln, und nur die Arbeit eines Höheren verrichten, dem an Multiplizirung und Proliferirung sinlicher, illusion-erzeugender Aparate liegt.

Nur der Tod macht dem Spuk ein Ende. Für mich ein Ende. Denn Alles spricht dafür, dass ich, mein Denken, nichts weiss, dass mein Leichnam – ein illusionistisches Produkt – stinkend dort liegt, ein Schauspiel der Andern. Der Dämon zieht sich zurük. Die kreatorische Tätigkeit stelt er ein. Und die Hülse, die Maske, verfault zusehends im illusorischen Genuss – der Andern, Ueberlebenden. Dass kein Rest, kein Denk-Rest, soweit Menschen-Erfahrung reicht, von mir übrig bleibt, muss uns, so eifrig nach „Erhaltung der Kraft“ Spürende, doch aufmerksam machen, dass hier etwas zum Teufel geht, wie man vulgär sagt, – wohin? Etwas, das Denken, wohin? – Und die Maske verfault vor unseren Augen. Sie mischt sich in die Masse der übrigen illusorischen Produkte. Sie geht ohne Rest auf.

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ich bin nicht allein. Mag der Dämon ein Einfaches oder Vielfaches sein. Er ist da. Er tritt mir gegenüber. Wohl nur in Maske. Wir sind wie Blindgeborene, deren hereditär überkommene Gesichtsvorstellungen sie ahnen lässt, dass etwas mehr da ist, als was sie greifen und hören. Aber solange das Auge nicht operativ geöffnet wird, bleibt ihnen die geahnte Welt, das was hinter ihren Tast- und Gehörs-Empfindungen noch da ist, nämlich die räumliche Projekzion, verschlossen. &#x2013; In der Erscheinungswelt trift sich also der <hi rendition="#g">Dämon</hi> von zwei Seiten, maskirt, wie auf einem Maskenball. In zwei einander gegenüberstehenden Menschen, die sich messen, spielt also der Dämon mit seinem &#x201E;alter ego&#x201C;; beide in Maske. Und ich, der sinliche Erfahrungsmensch, bin nur gut zum Maskenspiel. Wir sind nur Marjonetten, gezogen an fremden uns unbekanten Schnüren. Unser Glük: die Illusion, wir bewegten uns selbst. Wenigstens für den vulgären Menschen. Der Denker weiss genau, wie er dran ist. Deshalb ist er unglücklich, verbittert, resignirt. Warum wolte er den Schleier der Maya lüften?! Das brutalste Glük und die schmählichste Täuschung, die uns begegnet: die erotische Beziehung zwischen Mann und Weib, wo wir meinen zu empfinden, zu handeln, und nur die Arbeit eines Höheren verrichten, dem an Multiplizirung und Proliferirung sinlicher, illusion-erzeugender Aparate liegt.</p>
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[50/0051] ich bin nicht allein. Mag der Dämon ein Einfaches oder Vielfaches sein. Er ist da. Er tritt mir gegenüber. Wohl nur in Maske. Wir sind wie Blindgeborene, deren hereditär überkommene Gesichtsvorstellungen sie ahnen lässt, dass etwas mehr da ist, als was sie greifen und hören. Aber solange das Auge nicht operativ geöffnet wird, bleibt ihnen die geahnte Welt, das was hinter ihren Tast- und Gehörs-Empfindungen noch da ist, nämlich die räumliche Projekzion, verschlossen. – In der Erscheinungswelt trift sich also der Dämon von zwei Seiten, maskirt, wie auf einem Maskenball. In zwei einander gegenüberstehenden Menschen, die sich messen, spielt also der Dämon mit seinem „alter ego“; beide in Maske. Und ich, der sinliche Erfahrungsmensch, bin nur gut zum Maskenspiel. Wir sind nur Marjonetten, gezogen an fremden uns unbekanten Schnüren. Unser Glük: die Illusion, wir bewegten uns selbst. Wenigstens für den vulgären Menschen. Der Denker weiss genau, wie er dran ist. Deshalb ist er unglücklich, verbittert, resignirt. Warum wolte er den Schleier der Maya lüften?! Das brutalste Glük und die schmählichste Täuschung, die uns begegnet: die erotische Beziehung zwischen Mann und Weib, wo wir meinen zu empfinden, zu handeln, und nur die Arbeit eines Höheren verrichten, dem an Multiplizirung und Proliferirung sinlicher, illusion-erzeugender Aparate liegt. Nur der Tod macht dem Spuk ein Ende. Für mich ein Ende. Denn Alles spricht dafür, dass ich, mein Denken, nichts weiss, dass mein Leichnam – ein illusionistisches Produkt – stinkend dort liegt, ein Schauspiel der Andern. Der Dämon zieht sich zurük. Die kreatorische Tätigkeit stelt er ein. Und die Hülse, die Maske, verfault zusehends im illusorischen Genuss – der Andern, Ueberlebenden. Dass kein Rest, kein Denk-Rest, soweit Menschen-Erfahrung reicht, von mir übrig bleibt, muss uns, so eifrig nach „Erhaltung der Kraft“ Spürende, doch aufmerksam machen, dass hier etwas zum Teufel geht, wie man vulgär sagt, – wohin? Etwas, das Denken, wohin? – Und die Maske verfault vor unseren Augen. Sie mischt sich in die Masse der übrigen illusorischen Produkte. Sie geht ohne Rest auf.

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/51>, abgerufen am 23.11.2024.