Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.Unter unehelichen Kindern sind aber jene Kinder nicht zu verstehen, die einer nach jüdischem Gesetz geschlossenen staatlich nicht anerkannten Ehe entstammen. Diese Kinder stehen unter dem Schutze ihrer Eltern und sind auch in dem weiteren Kreise ihrer Familie voll anerkannt. Es gibt aber auch eine verhältnismäßig große Anzahl von jüdischen Mädchen geborener Kinder, die meistens bei Bäuerinnen zum Engelmachen untergebracht werden. Die am Leben bleiben, sind heimatlos, rechtlos, verachtet, werden herumgestoßen und mißhandelt, sodaß es vollständig begreiflich ist, wenn sie sich nur unter vorherrschender Entwicklung der eigensüchtigen Triebe in ihrer Existenz behaupten können. Da diese bedauernswerten Geschöpfe gewissermaßen vogelfrei sind, wäre ihre Erziehung leichter zu leiten, als die der ehelichen Kinder, bei denen man sehr oft mit einem unvernünftigen Familienanhang zu kämpfen hat. Nach dieser Richtung weiß die Leitung der Haushaltungsschulen der Baron Hirsch-Stiftung von mancher Schwierigkeit zu berichten. Dennoch geben diese Anstalten ein sehr erfreuliches Bild zivilisatorischer Tätigkeit. In den Anstaltsräumen herrscht die größte Sauberkeit, die Mädchen sehen gut gepflegt aus und werden stramm zur Hausarbeit angehalten. Freilich weiß ich auch, daß man bei einer Anstalt, die äußerlich einen guten Eindruck macht, sein Urteil über dieselbe noch nicht abschließen darf. Ich habe die Mädchen nicht arbeiten und nicht essen sehen, nicht im Verkehr miteinander und mit Fremden beobachtet, ich weiß nicht, ob die Anstaltsleitung nicht manches als Luxus bezeichnen würde, was ich als notwendiges Requisit der Reinlichkeit bezeichne. Um das und noch vieles andere wissen zu können, hätte ich ein paar Tage mit den Mädchen leben müssen. Aber jedenfalls ist auch hier viel guter Wille, und es ist auch gelungen, mit relativ geringen Mitteln viel Förderndes zu leisten. In Tarnow und in Kolomea lernten wir zwei Damen der Lokalkomitees kennen, die für ihre Aufgabe den Haushaltungsschulen gegenüber großes Verständnis zeigten. Besonders in Tarnow hatten wir das Glück, durch das ungewöhnlich liebenswürdige und sehr dankenswerte Entgegenkommen eines ortsansässigen Ehepaares viel Wissenswertes zu erfahren. Im Anschluß an die Haushaltungsschulen habe ich zu berichten, Unter unehelichen Kindern sind aber jene Kinder nicht zu verstehen, die einer nach jüdischem Gesetz geschlossenen staatlich nicht anerkannten Ehe entstammen. Diese Kinder stehen unter dem Schutze ihrer Eltern und sind auch in dem weiteren Kreise ihrer Familie voll anerkannt. Es gibt aber auch eine verhältnismäßig große Anzahl von jüdischen Mädchen geborener Kinder, die meistens bei Bäuerinnen zum Engelmachen untergebracht werden. Die am Leben bleiben, sind heimatlos, rechtlos, verachtet, werden herumgestoßen und mißhandelt, sodaß es vollständig begreiflich ist, wenn sie sich nur unter vorherrschender Entwicklung der eigensüchtigen Triebe in ihrer Existenz behaupten können. Da diese bedauernswerten Geschöpfe gewissermaßen vogelfrei sind, wäre ihre Erziehung leichter zu leiten, als die der ehelichen Kinder, bei denen man sehr oft mit einem unvernünftigen Familienanhang zu kämpfen hat. Nach dieser Richtung weiß die Leitung der Haushaltungsschulen der Baron Hirsch-Stiftung von mancher Schwierigkeit zu berichten. Dennoch geben diese Anstalten ein sehr erfreuliches Bild zivilisatorischer Tätigkeit. In den Anstaltsräumen herrscht die größte Sauberkeit, die Mädchen sehen gut gepflegt aus und werden stramm zur Hausarbeit angehalten. Freilich weiß ich auch, daß man bei einer Anstalt, die äußerlich einen guten Eindruck macht, sein Urteil über dieselbe noch nicht abschließen darf. Ich habe die Mädchen nicht arbeiten und nicht essen sehen, nicht im Verkehr miteinander und mit Fremden beobachtet, ich weiß nicht, ob die Anstaltsleitung nicht manches als Luxus bezeichnen würde, was ich als notwendiges Requisit der Reinlichkeit bezeichne. Um das und noch vieles andere wissen zu können, hätte ich ein paar Tage mit den Mädchen leben müssen. Aber jedenfalls ist auch hier viel guter Wille, und es ist auch gelungen, mit relativ geringen Mitteln viel Förderndes zu leisten. In Tarnow und in Kolomea lernten wir zwei Damen der Lokalkomitees kennen, die für ihre Aufgabe den Haushaltungsschulen gegenüber großes Verständnis zeigten. Besonders in Tarnow hatten wir das Glück, durch das ungewöhnlich liebenswürdige und sehr dankenswerte Entgegenkommen eines ortsansässigen Ehepaares viel Wissenswertes zu erfahren. 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Da diese bedauernswerten Geschöpfe gewissermaßen vogelfrei sind, wäre ihre Erziehung leichter zu leiten, als die der ehelichen Kinder, bei denen man sehr oft mit einem unvernünftigen Familienanhang zu kämpfen hat. Nach dieser Richtung weiß die Leitung der Haushaltungsschulen der Baron Hirsch-Stiftung von mancher Schwierigkeit zu berichten. Dennoch geben diese Anstalten ein sehr erfreuliches Bild zivilisatorischer Tätigkeit. In den Anstaltsräumen herrscht die größte Sauberkeit, die Mädchen sehen gut gepflegt aus und werden stramm zur Hausarbeit angehalten. Freilich weiß ich auch, daß man bei einer Anstalt, die äußerlich einen guten Eindruck macht, sein Urteil über dieselbe noch nicht abschließen darf.</p> <p>Ich habe die Mädchen nicht arbeiten und nicht essen sehen, nicht im Verkehr miteinander und mit Fremden beobachtet, ich weiß nicht, ob die Anstaltsleitung nicht manches als Luxus bezeichnen würde, was ich als notwendiges Requisit der Reinlichkeit bezeichne. 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Unter unehelichen Kindern sind aber jene Kinder nicht zu verstehen, die einer nach jüdischem Gesetz geschlossenen staatlich nicht anerkannten Ehe entstammen. Diese Kinder stehen unter dem Schutze ihrer Eltern und sind auch in dem weiteren Kreise ihrer Familie voll anerkannt.
Es gibt aber auch eine verhältnismäßig große Anzahl von jüdischen Mädchen geborener Kinder, die meistens bei Bäuerinnen zum Engelmachen untergebracht werden. Die am Leben bleiben, sind heimatlos, rechtlos, verachtet, werden herumgestoßen und mißhandelt, sodaß es vollständig begreiflich ist, wenn sie sich nur unter vorherrschender Entwicklung der eigensüchtigen Triebe in ihrer Existenz behaupten können. Da diese bedauernswerten Geschöpfe gewissermaßen vogelfrei sind, wäre ihre Erziehung leichter zu leiten, als die der ehelichen Kinder, bei denen man sehr oft mit einem unvernünftigen Familienanhang zu kämpfen hat. Nach dieser Richtung weiß die Leitung der Haushaltungsschulen der Baron Hirsch-Stiftung von mancher Schwierigkeit zu berichten. Dennoch geben diese Anstalten ein sehr erfreuliches Bild zivilisatorischer Tätigkeit. In den Anstaltsräumen herrscht die größte Sauberkeit, die Mädchen sehen gut gepflegt aus und werden stramm zur Hausarbeit angehalten. Freilich weiß ich auch, daß man bei einer Anstalt, die äußerlich einen guten Eindruck macht, sein Urteil über dieselbe noch nicht abschließen darf.
Ich habe die Mädchen nicht arbeiten und nicht essen sehen, nicht im Verkehr miteinander und mit Fremden beobachtet, ich weiß nicht, ob die Anstaltsleitung nicht manches als Luxus bezeichnen würde, was ich als notwendiges Requisit der Reinlichkeit bezeichne. Um das und noch vieles andere wissen zu können, hätte ich ein paar Tage mit den Mädchen leben müssen. Aber jedenfalls ist auch hier viel guter Wille, und es ist auch gelungen, mit relativ geringen Mitteln viel Förderndes zu leisten.
In Tarnow und in Kolomea lernten wir zwei Damen der Lokalkomitees kennen, die für ihre Aufgabe den Haushaltungsschulen gegenüber großes Verständnis zeigten. Besonders in Tarnow hatten wir das Glück, durch das ungewöhnlich liebenswürdige und sehr dankenswerte Entgegenkommen eines ortsansässigen Ehepaares viel Wissenswertes zu erfahren.
Im Anschluß an die Haushaltungsschulen habe ich zu berichten,
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