Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.daß ich in Krakau eine gleichfalls von Frauen sehr gut geleitete Volksküche oder Suppenanstalt fand. Zum Glück für ihre Besucher muß man dort aus finanziellen Gründen an dem einzig richtigen Prinzip, kleine Preise für die einzelnen Portionen zu nehmen, festhalten. Dadurch sind Mißbräuche ausgeschlossen, wie sie in Anstalten zu treffen sind, die die Mizwoh als Himmelsschlüssel über die Vernunft stellen. Auch in Zloczow besteht unter Leitung einer Dame eine Volksküche unter denselben Bedingungen. Sonst erfuhren wir noch von Schulkinder-Speisungen durch die Baron Hirsch-Stiftung und in Lemberg durch die Gemeinde. Die Ordnung und Stille, mit der dort an 600 Kinder, die klassenweise in geordnetem Zuge aufmarschiert kommen, unter Aufsicht von Lehrerinnen, resp. Lehrern ihr Mittagessen einnehmen, ist geradezu musterhaft. Eine eigentümliche Art von Naturalgabe an ein Hospital fanden wir in Tarnow in dem sogenannten Jausenvereine. Dort besteht ein Frauenverein, dessen Mitglieder, im Turnus, nachmittags mit ihrer Privatköchin in der Spitalküche erscheinen, um dort den mitgebrachten Kaffee zu kochen, und, mit Zutaten, an die Kranken zu verteilen. Es wird seitens der Spitalverwaltung auf diese Gabe sehr gerechnet. Sie wird aber den Damen, so klein sie ist - ich vermute der Form wegen - oft sehr lästig. Wie man sieht, sind es nur sehr wenige stabile Einrichtungen, über die ich zu berichten habe. Es werden an anderen Orten noch andere sein, die nicht zu meiner Kenntnis kommen konnten, aber vermutlich stehen sie auf demselben Niveau wie diejenigen, die wir sahen. Für Galizien könnten diese Institutionen sicher zu Ansätzen einer künftigen, entwicklungsfähigen, sozialen Hilfstätigkeit werden. Heute sind sie dem Geiste nach noch Wohltätigkeitsanstalten im traditionellen Sinne, denn soziales Denken, soziales Gewissen sind in den Kreisen der jüdischen Intelligenz Galiziens noch sehr wenig geweckt. Maßgebend hiefür scheint mir die absolut passive Stellung, die die bürgerliche Klasse dem ausgedehnten Haus- und Straßenbettel gegenüber einnimmt. Außer den Neumondtagen, den Tagen vor hohen Festtagen, sind vielfach noch Montag und Donnerstag daß ich in Krakau eine gleichfalls von Frauen sehr gut geleitete Volksküche oder Suppenanstalt fand. Zum Glück für ihre Besucher muß man dort aus finanziellen Gründen an dem einzig richtigen Prinzip, kleine Preise für die einzelnen Portionen zu nehmen, festhalten. Dadurch sind Mißbräuche ausgeschlossen, wie sie in Anstalten zu treffen sind, die die Mizwoh als Himmelsschlüssel über die Vernunft stellen. Auch in Zloczow besteht unter Leitung einer Dame eine Volksküche unter denselben Bedingungen. Sonst erfuhren wir noch von Schulkinder-Speisungen durch die Baron Hirsch-Stiftung und in Lemberg durch die Gemeinde. Die Ordnung und Stille, mit der dort an 600 Kinder, die klassenweise in geordnetem Zuge aufmarschiert kommen, unter Aufsicht von Lehrerinnen, resp. Lehrern ihr Mittagessen einnehmen, ist geradezu musterhaft. Eine eigentümliche Art von Naturalgabe an ein Hospital fanden wir in Tarnow in dem sogenannten Jausenvereine. Dort besteht ein Frauenverein, dessen Mitglieder, im Turnus, nachmittags mit ihrer Privatköchin in der Spitalküche erscheinen, um dort den mitgebrachten Kaffee zu kochen, und, mit Zutaten, an die Kranken zu verteilen. Es wird seitens der Spitalverwaltung auf diese Gabe sehr gerechnet. Sie wird aber den Damen, so klein sie ist – ich vermute der Form wegen – oft sehr lästig. Wie man sieht, sind es nur sehr wenige stabile Einrichtungen, über die ich zu berichten habe. Es werden an anderen Orten noch andere sein, die nicht zu meiner Kenntnis kommen konnten, aber vermutlich stehen sie auf demselben Niveau wie diejenigen, die wir sahen. Für Galizien könnten diese Institutionen sicher zu Ansätzen einer künftigen, entwicklungsfähigen, sozialen Hilfstätigkeit werden. Heute sind sie dem Geiste nach noch Wohltätigkeitsanstalten im traditionellen Sinne, denn soziales Denken, soziales Gewissen sind in den Kreisen der jüdischen Intelligenz Galiziens noch sehr wenig geweckt. Maßgebend hiefür scheint mir die absolut passive Stellung, die die bürgerliche Klasse dem ausgedehnten Haus- und Straßenbettel gegenüber einnimmt. 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Lehrern ihr Mittagessen einnehmen, ist geradezu musterhaft.</p> <p>Eine eigentümliche Art von Naturalgabe an ein Hospital fanden wir in Tarnow in dem sogenannten Jausenvereine. Dort besteht ein Frauenverein, dessen Mitglieder, im Turnus, nachmittags mit ihrer Privatköchin in der Spitalküche erscheinen, um dort den mitgebrachten Kaffee zu kochen, und, mit Zutaten, an die Kranken zu verteilen. Es wird seitens der Spitalverwaltung auf diese Gabe sehr gerechnet. Sie wird aber den Damen, so klein sie ist – ich vermute der Form wegen – oft sehr lästig.</p> <p>Wie man sieht, sind es nur sehr wenige stabile Einrichtungen, über die ich zu berichten habe. Es werden an anderen Orten noch andere sein, die nicht zu meiner Kenntnis kommen konnten, aber vermutlich stehen sie auf demselben Niveau wie diejenigen, die wir sahen.</p> <p>Für Galizien könnten diese Institutionen sicher zu Ansätzen einer künftigen, entwicklungsfähigen, sozialen Hilfstätigkeit werden. Heute sind sie dem Geiste nach noch Wohltätigkeitsanstalten im traditionellen Sinne, denn soziales Denken, soziales Gewissen sind in den Kreisen der jüdischen Intelligenz Galiziens noch sehr wenig geweckt.</p> <p>Maßgebend hiefür scheint mir die absolut passive Stellung, die die bürgerliche Klasse dem ausgedehnten Haus- und Straßenbettel gegenüber einnimmt. Außer den Neumondtagen, den Tagen vor hohen Festtagen, sind vielfach noch Montag und Donnerstag </p> </div> </body> </text> </TEI> [19/0019]
daß ich in Krakau eine gleichfalls von Frauen sehr gut geleitete Volksküche oder Suppenanstalt fand.
Zum Glück für ihre Besucher muß man dort aus finanziellen Gründen an dem einzig richtigen Prinzip, kleine Preise für die einzelnen Portionen zu nehmen, festhalten. Dadurch sind Mißbräuche ausgeschlossen, wie sie in Anstalten zu treffen sind, die die Mizwoh als Himmelsschlüssel über die Vernunft stellen.
Auch in Zloczow besteht unter Leitung einer Dame eine Volksküche unter denselben Bedingungen.
Sonst erfuhren wir noch von Schulkinder-Speisungen durch die Baron Hirsch-Stiftung und in Lemberg durch die Gemeinde. Die Ordnung und Stille, mit der dort an 600 Kinder, die klassenweise in geordnetem Zuge aufmarschiert kommen, unter Aufsicht von Lehrerinnen, resp. Lehrern ihr Mittagessen einnehmen, ist geradezu musterhaft.
Eine eigentümliche Art von Naturalgabe an ein Hospital fanden wir in Tarnow in dem sogenannten Jausenvereine. Dort besteht ein Frauenverein, dessen Mitglieder, im Turnus, nachmittags mit ihrer Privatköchin in der Spitalküche erscheinen, um dort den mitgebrachten Kaffee zu kochen, und, mit Zutaten, an die Kranken zu verteilen. Es wird seitens der Spitalverwaltung auf diese Gabe sehr gerechnet. Sie wird aber den Damen, so klein sie ist – ich vermute der Form wegen – oft sehr lästig.
Wie man sieht, sind es nur sehr wenige stabile Einrichtungen, über die ich zu berichten habe. Es werden an anderen Orten noch andere sein, die nicht zu meiner Kenntnis kommen konnten, aber vermutlich stehen sie auf demselben Niveau wie diejenigen, die wir sahen.
Für Galizien könnten diese Institutionen sicher zu Ansätzen einer künftigen, entwicklungsfähigen, sozialen Hilfstätigkeit werden. Heute sind sie dem Geiste nach noch Wohltätigkeitsanstalten im traditionellen Sinne, denn soziales Denken, soziales Gewissen sind in den Kreisen der jüdischen Intelligenz Galiziens noch sehr wenig geweckt.
Maßgebend hiefür scheint mir die absolut passive Stellung, die die bürgerliche Klasse dem ausgedehnten Haus- und Straßenbettel gegenüber einnimmt. Außer den Neumondtagen, den Tagen vor hohen Festtagen, sind vielfach noch Montag und Donnerstag
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