Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.Es sind dies u. a. die Tallis (Gebetmäntel)Webereien und die durch Heimarbeit hergestellten Aturos, das sind die silbernen Zierborten, die an einer Seite der Gebetmäntel angebracht sind. Die Tallisweber sind organisierte Arbeiter, die dem österreichischen Weberverband mit seinem Bureau in Wien angehören. Wir haben unter ihnen sehr intelligente Männer getroffen, die, obwohl Analphabeten, doch politisch reif und durchgebildet sind. Die Lage dieser Arbeiter ist eine sehr schlechte. Die Handwebestühle sind sehr primitiver Konstruktion, und ihr Betrieb verzehrt unverhältnismäßig viel Kraft; sie stehen in Räumen, die nach jeder Richtung unzulänglich find, und der Verdienst - ein Stücklohn, an dem sich die Unternehmer bereichern - ist sehr gering. Eine kleine Lohnerhöhung trat vor einiger Zeit ein, da nach einem mühsam durchfochtenen Streik das Richten der Stühle, eine sehr zeitraubende Vorbereitung zur eigentlichen Arbeit, jetzt eine besondere Entlohnung findet. Da diese Tallisweber aber arbeiten können, konsequent und regelmäßig, da sie sozialpolitisch denken, so bin ich der sicheren Überzeugung, daß die Weberei in Galizien ein entwicklungsfähiges Gewerbe ist. So gut diese Tallisweber "Tüchel" weben, könnten sie auf modern konstruierten Webestühlen auch andere Stoffe weben, oder weben lernen, und die ganze Herstellung könnte sich wenigstens teilweise nach einer Richtung ausdehnen, die, profanen Zwecken dienend, einem wachsenden Konsum im Lande entspräche. Die Aturos werden, wie man uns sagte, nur an einem einzigen Orte in Galizien, in Sassow, hergestellt. Diese Borten sind eine Art Posamentierarbeit, auf Klöppelkissen mit Silberfäden über Baumwolleinlagen geknüpft. Es arbeiten innerhalb der Organisation ungefähr 200 Leute, die kürzlich beschlossen, zum Schutze der Zunft keine Lehrlinge, besonders keine Lehrmädchen aufzunehmen. Wir sahen eine große Anzahl von ornamentalen Mustern (Variationen einiger immer wiederkehrender Formen), die den Eindruck schöner, schwerer Silberstickerei machten. Auch dieser Industriezweig könnte, wenn moderner Geist sich sowohl der technischen, wie der geschäftlichen Seite belebend annähme, Es sind dies u. a. die Tallis (Gebetmäntel)Webereien und die durch Heimarbeit hergestellten Aturos, das sind die silbernen Zierborten, die an einer Seite der Gebetmäntel angebracht sind. Die Tallisweber sind organisierte Arbeiter, die dem österreichischen Weberverband mit seinem Bureau in Wien angehören. Wir haben unter ihnen sehr intelligente Männer getroffen, die, obwohl Analphabeten, doch politisch reif und durchgebildet sind. Die Lage dieser Arbeiter ist eine sehr schlechte. Die Handwebestühle sind sehr primitiver Konstruktion, und ihr Betrieb verzehrt unverhältnismäßig viel Kraft; sie stehen in Räumen, die nach jeder Richtung unzulänglich find, und der Verdienst – ein Stücklohn, an dem sich die Unternehmer bereichern – ist sehr gering. Eine kleine Lohnerhöhung trat vor einiger Zeit ein, da nach einem mühsam durchfochtenen Streik das Richten der Stühle, eine sehr zeitraubende Vorbereitung zur eigentlichen Arbeit, jetzt eine besondere Entlohnung findet. Da diese Tallisweber aber arbeiten können, konsequent und regelmäßig, da sie sozialpolitisch denken, so bin ich der sicheren Überzeugung, daß die Weberei in Galizien ein entwicklungsfähiges Gewerbe ist. So gut diese Tallisweber „Tüchel“ weben, könnten sie auf modern konstruierten Webestühlen auch andere Stoffe weben, oder weben lernen, und die ganze Herstellung könnte sich wenigstens teilweise nach einer Richtung ausdehnen, die, profanen Zwecken dienend, einem wachsenden Konsum im Lande entspräche. Die Aturos werden, wie man uns sagte, nur an einem einzigen Orte in Galizien, in Sassow, hergestellt. Diese Borten sind eine Art Posamentierarbeit, auf Klöppelkissen mit Silberfäden über Baumwolleinlagen geknüpft. Es arbeiten innerhalb der Organisation ungefähr 200 Leute, die kürzlich beschlossen, zum Schutze der Zunft keine Lehrlinge, besonders keine Lehrmädchen aufzunehmen. Wir sahen eine große Anzahl von ornamentalen Mustern (Variationen einiger immer wiederkehrender Formen), die den Eindruck schöner, schwerer Silberstickerei machten. Auch dieser Industriezweig könnte, wenn moderner Geist sich sowohl der technischen, wie der geschäftlichen Seite belebend annähme, <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0035" n="35"/> <p> Es sind dies u. a. die Tallis (Gebetmäntel)Webereien und die durch Heimarbeit hergestellten Aturos, das sind die silbernen Zierborten, die an einer Seite der Gebetmäntel angebracht sind.</p> <p>Die Tallisweber sind organisierte Arbeiter, die dem österreichischen Weberverband mit seinem Bureau in Wien angehören.</p> <p>Wir haben unter ihnen sehr intelligente Männer getroffen, die, obwohl Analphabeten, doch politisch reif und durchgebildet sind. Die Lage dieser Arbeiter ist eine sehr schlechte. Die Handwebestühle sind sehr primitiver Konstruktion, und ihr Betrieb verzehrt unverhältnismäßig viel Kraft; sie stehen in Räumen, die nach jeder Richtung unzulänglich find, und der Verdienst – ein Stücklohn, an dem sich die Unternehmer bereichern – ist sehr gering. Eine kleine Lohnerhöhung trat vor einiger Zeit ein, da nach einem mühsam durchfochtenen Streik das Richten der Stühle, eine sehr zeitraubende Vorbereitung zur eigentlichen Arbeit, jetzt eine besondere Entlohnung findet.</p> <p>Da diese Tallisweber aber arbeiten können, konsequent und regelmäßig, da sie sozialpolitisch denken, so bin ich der sicheren Überzeugung, daß die Weberei in Galizien ein entwicklungsfähiges Gewerbe ist. So gut diese Tallisweber „Tüchel“ weben, könnten sie auf modern konstruierten Webestühlen auch andere Stoffe weben, oder weben lernen, und die ganze Herstellung könnte sich wenigstens teilweise nach einer Richtung ausdehnen, die, profanen Zwecken dienend, einem wachsenden Konsum im Lande entspräche.</p> <p>Die Aturos werden, wie man uns sagte, nur an einem einzigen Orte in Galizien, in Sassow, hergestellt.</p> <p>Diese Borten sind eine Art Posamentierarbeit, auf Klöppelkissen mit Silberfäden über Baumwolleinlagen geknüpft. Es arbeiten innerhalb der Organisation ungefähr 200 Leute, die kürzlich beschlossen, zum Schutze der Zunft keine Lehrlinge, besonders keine Lehrmädchen aufzunehmen.</p> <p>Wir sahen eine große Anzahl von ornamentalen Mustern (Variationen einiger immer wiederkehrender Formen), die den Eindruck schöner, schwerer Silberstickerei machten.</p> <p>Auch dieser Industriezweig könnte, wenn moderner Geist sich sowohl der technischen, wie der geschäftlichen Seite belebend annähme, </p> </div> </body> </text> </TEI> [35/0035]
Es sind dies u. a. die Tallis (Gebetmäntel)Webereien und die durch Heimarbeit hergestellten Aturos, das sind die silbernen Zierborten, die an einer Seite der Gebetmäntel angebracht sind.
Die Tallisweber sind organisierte Arbeiter, die dem österreichischen Weberverband mit seinem Bureau in Wien angehören.
Wir haben unter ihnen sehr intelligente Männer getroffen, die, obwohl Analphabeten, doch politisch reif und durchgebildet sind. Die Lage dieser Arbeiter ist eine sehr schlechte. Die Handwebestühle sind sehr primitiver Konstruktion, und ihr Betrieb verzehrt unverhältnismäßig viel Kraft; sie stehen in Räumen, die nach jeder Richtung unzulänglich find, und der Verdienst – ein Stücklohn, an dem sich die Unternehmer bereichern – ist sehr gering. Eine kleine Lohnerhöhung trat vor einiger Zeit ein, da nach einem mühsam durchfochtenen Streik das Richten der Stühle, eine sehr zeitraubende Vorbereitung zur eigentlichen Arbeit, jetzt eine besondere Entlohnung findet.
Da diese Tallisweber aber arbeiten können, konsequent und regelmäßig, da sie sozialpolitisch denken, so bin ich der sicheren Überzeugung, daß die Weberei in Galizien ein entwicklungsfähiges Gewerbe ist. So gut diese Tallisweber „Tüchel“ weben, könnten sie auf modern konstruierten Webestühlen auch andere Stoffe weben, oder weben lernen, und die ganze Herstellung könnte sich wenigstens teilweise nach einer Richtung ausdehnen, die, profanen Zwecken dienend, einem wachsenden Konsum im Lande entspräche.
Die Aturos werden, wie man uns sagte, nur an einem einzigen Orte in Galizien, in Sassow, hergestellt.
Diese Borten sind eine Art Posamentierarbeit, auf Klöppelkissen mit Silberfäden über Baumwolleinlagen geknüpft. Es arbeiten innerhalb der Organisation ungefähr 200 Leute, die kürzlich beschlossen, zum Schutze der Zunft keine Lehrlinge, besonders keine Lehrmädchen aufzunehmen.
Wir sahen eine große Anzahl von ornamentalen Mustern (Variationen einiger immer wiederkehrender Formen), die den Eindruck schöner, schwerer Silberstickerei machten.
Auch dieser Industriezweig könnte, wenn moderner Geist sich sowohl der technischen, wie der geschäftlichen Seite belebend annähme,
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