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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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wenn unversehens jemand kommt, diese Arbeit leicht zu verstecken ist!!! Weitere Experimente des galizischen Hilfsvereins waren die Knopfnäherei und Krawattenfabrikation. Weshalb die Knopfnäherei nicht eingeschlagen hat, konnte ich nicht erfahren.

Die Krawattenfabrikation scheiterte an der unglücklichen Art ihrer Einführung. Anstatt eine gute, geübte Krawattenarbeiterin als Lehrerin und Betriebsleiterin so einzustellen, daß sie, unter Kontrolle, in irgend einer Weise am Erfolg interessiert gewesen wäre, ließ man eine Schullehrerin in der Arbeit ausbilden. Nach vier Wochen schon sollte die Dame das eben Gelernte weiter lehren und den Betrieb leiten.

Unter diesen Umständen konnte die Arbeit nur schlecht und für den Verkauf unbrauchbar sein. Dieser Mißerfolg ist aber nicht maßgebend, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß bei richtiger Handhabung die Krawattenfabrikation dennoch eine Zukunft hat.

Der galizische Hilfsverein steht nämlich erstaunlicherweise auf dem Standpunkt, nur Industriezwecke zu verfolgen, und zwar in dem Sinne, eine Anregung zu bringen, eventuell einige Lehrkräfte zu bezahlen, und die Entwicklung der Dinge dann sich selbst zu überlassen. Als Maßstab und Vergleich werden dann die Industriezentren anderer österreichischer Kronländer herangezogen.

Wenn aber nicht in Galizien alle Verhältnisse anders lägen als in anderen Ländern, wenn die jüdische Bevölkerung in Galizien die Kraft systematischer, konsequenter Arbeit schon kennte, - wozu brauchte man dann einen galizischen Hilfsverein? Dort genügt es heute noch nicht, eine Idee zu bringen, Handfertigkeit und Handgriffe zu lehren. Der Anfang ist dort noch schwerer als an anderen Orten, und der erziehliche Einfluß, den die Arbeit ausübt, kann sich nicht so rasch fühlbar machen, daß man die jungen, kaum gewonnenen Arbeitsrekruten nicht noch gewissermaßen beobachten und schützen müßte bis zu der Zeit, wo sie, durch Arbeit erstarkt, im stande sind, sich dem großen Heere anzuschließen, ohne gleich als Marodeure oder Deserteure wieder abzufallen.

Ganz getrennt von den genannten, künstlichen Versuchen, Arbeitsgelegenheit ins Land zu bringen, bestehen in Galizien einige nationale Industriezweige, die, da sie einem Bedürfnis der Bevölkerung entsprungen sind, auch eine ganz andere Entwicklung nehmen konnten.

wenn unversehens jemand kommt, diese Arbeit leicht zu verstecken ist!!! Weitere Experimente des galizischen Hilfsvereins waren die Knopfnäherei und Krawattenfabrikation. Weshalb die Knopfnäherei nicht eingeschlagen hat, konnte ich nicht erfahren.

Die Krawattenfabrikation scheiterte an der unglücklichen Art ihrer Einführung. Anstatt eine gute, geübte Krawattenarbeiterin als Lehrerin und Betriebsleiterin so einzustellen, daß sie, unter Kontrolle, in irgend einer Weise am Erfolg interessiert gewesen wäre, ließ man eine Schullehrerin in der Arbeit ausbilden. Nach vier Wochen schon sollte die Dame das eben Gelernte weiter lehren und den Betrieb leiten.

Unter diesen Umständen konnte die Arbeit nur schlecht und für den Verkauf unbrauchbar sein. Dieser Mißerfolg ist aber nicht maßgebend, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß bei richtiger Handhabung die Krawattenfabrikation dennoch eine Zukunft hat.

Der galizische Hilfsverein steht nämlich erstaunlicherweise auf dem Standpunkt, nur Industriezwecke zu verfolgen, und zwar in dem Sinne, eine Anregung zu bringen, eventuell einige Lehrkräfte zu bezahlen, und die Entwicklung der Dinge dann sich selbst zu überlassen. Als Maßstab und Vergleich werden dann die Industriezentren anderer österreichischer Kronländer herangezogen.

Wenn aber nicht in Galizien alle Verhältnisse anders lägen als in anderen Ländern, wenn die jüdische Bevölkerung in Galizien die Kraft systematischer, konsequenter Arbeit schon kennte, – wozu brauchte man dann einen galizischen Hilfsverein? Dort genügt es heute noch nicht, eine Idee zu bringen, Handfertigkeit und Handgriffe zu lehren. Der Anfang ist dort noch schwerer als an anderen Orten, und der erziehliche Einfluß, den die Arbeit ausübt, kann sich nicht so rasch fühlbar machen, daß man die jungen, kaum gewonnenen Arbeitsrekruten nicht noch gewissermaßen beobachten und schützen müßte bis zu der Zeit, wo sie, durch Arbeit erstarkt, im stande sind, sich dem großen Heere anzuschließen, ohne gleich als Marodeure oder Deserteure wieder abzufallen.

Ganz getrennt von den genannten, künstlichen Versuchen, Arbeitsgelegenheit ins Land zu bringen, bestehen in Galizien einige nationale Industriezweige, die, da sie einem Bedürfnis der Bevölkerung entsprungen sind, auch eine ganz andere Entwicklung nehmen konnten.

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[34/0034] wenn unversehens jemand kommt, diese Arbeit leicht zu verstecken ist!!! Weitere Experimente des galizischen Hilfsvereins waren die Knopfnäherei und Krawattenfabrikation. Weshalb die Knopfnäherei nicht eingeschlagen hat, konnte ich nicht erfahren. Die Krawattenfabrikation scheiterte an der unglücklichen Art ihrer Einführung. Anstatt eine gute, geübte Krawattenarbeiterin als Lehrerin und Betriebsleiterin so einzustellen, daß sie, unter Kontrolle, in irgend einer Weise am Erfolg interessiert gewesen wäre, ließ man eine Schullehrerin in der Arbeit ausbilden. Nach vier Wochen schon sollte die Dame das eben Gelernte weiter lehren und den Betrieb leiten. Unter diesen Umständen konnte die Arbeit nur schlecht und für den Verkauf unbrauchbar sein. Dieser Mißerfolg ist aber nicht maßgebend, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß bei richtiger Handhabung die Krawattenfabrikation dennoch eine Zukunft hat. Der galizische Hilfsverein steht nämlich erstaunlicherweise auf dem Standpunkt, nur Industriezwecke zu verfolgen, und zwar in dem Sinne, eine Anregung zu bringen, eventuell einige Lehrkräfte zu bezahlen, und die Entwicklung der Dinge dann sich selbst zu überlassen. Als Maßstab und Vergleich werden dann die Industriezentren anderer österreichischer Kronländer herangezogen. Wenn aber nicht in Galizien alle Verhältnisse anders lägen als in anderen Ländern, wenn die jüdische Bevölkerung in Galizien die Kraft systematischer, konsequenter Arbeit schon kennte, – wozu brauchte man dann einen galizischen Hilfsverein? Dort genügt es heute noch nicht, eine Idee zu bringen, Handfertigkeit und Handgriffe zu lehren. Der Anfang ist dort noch schwerer als an anderen Orten, und der erziehliche Einfluß, den die Arbeit ausübt, kann sich nicht so rasch fühlbar machen, daß man die jungen, kaum gewonnenen Arbeitsrekruten nicht noch gewissermaßen beobachten und schützen müßte bis zu der Zeit, wo sie, durch Arbeit erstarkt, im stande sind, sich dem großen Heere anzuschließen, ohne gleich als Marodeure oder Deserteure wieder abzufallen. Ganz getrennt von den genannten, künstlichen Versuchen, Arbeitsgelegenheit ins Land zu bringen, bestehen in Galizien einige nationale Industriezweige, die, da sie einem Bedürfnis der Bevölkerung entsprungen sind, auch eine ganz andere Entwicklung nehmen konnten.

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/34>, abgerufen am 28.04.2024.