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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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Unterordnung, durch Selbstzucht in jedem Sinne können die Juden nach und nach die Eignung erwerben, nicht für immer ein Volk zwischen den Völkern bleiben zu müssen, sondern eine Nation neben den Nationen zu werden.

Die Zionisten sind schlechte Bauleute. Ihre Luftschlösser sind Hochbauten ohne Tiefbau. Jeder von ihnen hält sich als Theoretiker auf irgend einem geistigen Gebiete für so bedeutend und wertvoll, daß er sich für zu gut hält, eine physische Arbeitsleistung von sich zu fordern. Und so sind die heutigen Zionistenführer alle Minister ohne Portefeuille im Zukunftsstaate der Juden!

Wie fasziniert starren sie auf das Ziel: "ein eigenes Land" und vergessen darüber den Weg: "Erziehung des Volkes". Der Weg führt über Kleinarbeit, und Kleinarbeit wird von den Zionisten verachtet. Sie verstehen sie nicht, weder technisch, noch ihrem Werte nach. Sie versprechen dem jüdischen Volke, es werde unter Dattelpalmen wandeln, aber sie scheinen die alte Fabel vom Knaben und der Dattelpalme nicht zu kennen.

Was die Zionisten zu ihrem großen Vorteil von den Sozialisten gelernt haben, ist, daß sie sich für ihre Zwecke an die Mitarbeiterschaft der Frau wenden. Aber wie fassen die zionistischen Frauen in Galizien ihre Aufgabe auf, die sich absolut mit der sozialen Aufgabe deckt, die alle Frauen in Galizien und alle Frauen in der ganzen Welt zu erfüllen haben?

Klären sie die Frauen und Mädchen etwa darüber auf, was jenseits ihrer Geistesschranken schon nicht mehr eine Frauenfrage sondern Frauenbewegung ist? Belehren sie die Jugend des Volkes über den Wert und den Segen der Arbeit? Zeigen sie ihnen praktisch, oder lehren sie sie theoretisch die Wichtigkeit der Kinder- und Krankenpflege? Klären sie sie auf über den Zusammenhang von sittlichem Leben und Gesundheit? Schildern sie ihnen die Gefahren der Tuberkulose und deren Bekämpfung? Haben die zionistischen Frauen den Mut, die Sittlichkeitsfrage als wichtigsten Programmpunkt ihrer Bewegung aufzustellen?

Nein! All das wird von den zionistischen Frauen in Galizien nicht verstanden, nicht beachtet, oder gar verachtet. Vorträge, Versammlungen und, wie bei den Männern, Propaganda des Wortes ohne Propaganda der Tat. Und dennoch haben die Zionisten recht: an die Frauen muß man sich wenden zum Heile eines Volkes.

Unterordnung, durch Selbstzucht in jedem Sinne können die Juden nach und nach die Eignung erwerben, nicht für immer ein Volk zwischen den Völkern bleiben zu müssen, sondern eine Nation neben den Nationen zu werden.

Die Zionisten sind schlechte Bauleute. Ihre Luftschlösser sind Hochbauten ohne Tiefbau. Jeder von ihnen hält sich als Theoretiker auf irgend einem geistigen Gebiete für so bedeutend und wertvoll, daß er sich für zu gut hält, eine physische Arbeitsleistung von sich zu fordern. Und so sind die heutigen Zionistenführer alle Minister ohne Portefeuille im Zukunftsstaate der Juden!

Wie fasziniert starren sie auf das Ziel: „ein eigenes Land“ und vergessen darüber den Weg: „Erziehung des Volkes“. Der Weg führt über Kleinarbeit, und Kleinarbeit wird von den Zionisten verachtet. Sie verstehen sie nicht, weder technisch, noch ihrem Werte nach. Sie versprechen dem jüdischen Volke, es werde unter Dattelpalmen wandeln, aber sie scheinen die alte Fabel vom Knaben und der Dattelpalme nicht zu kennen.

Was die Zionisten zu ihrem großen Vorteil von den Sozialisten gelernt haben, ist, daß sie sich für ihre Zwecke an die Mitarbeiterschaft der Frau wenden. Aber wie fassen die zionistischen Frauen in Galizien ihre Aufgabe auf, die sich absolut mit der sozialen Aufgabe deckt, die alle Frauen in Galizien und alle Frauen in der ganzen Welt zu erfüllen haben?

Klären sie die Frauen und Mädchen etwa darüber auf, was jenseits ihrer Geistesschranken schon nicht mehr eine Frauenfrage sondern Frauenbewegung ist? Belehren sie die Jugend des Volkes über den Wert und den Segen der Arbeit? Zeigen sie ihnen praktisch, oder lehren sie sie theoretisch die Wichtigkeit der Kinder- und Krankenpflege? Klären sie sie auf über den Zusammenhang von sittlichem Leben und Gesundheit? Schildern sie ihnen die Gefahren der Tuberkulose und deren Bekämpfung? Haben die zionistischen Frauen den Mut, die Sittlichkeitsfrage als wichtigsten Programmpunkt ihrer Bewegung aufzustellen?

Nein! All das wird von den zionistischen Frauen in Galizien nicht verstanden, nicht beachtet, oder gar verachtet. Vorträge, Versammlungen und, wie bei den Männern, Propaganda des Wortes ohne Propaganda der Tat. Und dennoch haben die Zionisten recht: an die Frauen muß man sich wenden zum Heile eines Volkes.

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[43/0043] Unterordnung, durch Selbstzucht in jedem Sinne können die Juden nach und nach die Eignung erwerben, nicht für immer ein Volk zwischen den Völkern bleiben zu müssen, sondern eine Nation neben den Nationen zu werden. Die Zionisten sind schlechte Bauleute. Ihre Luftschlösser sind Hochbauten ohne Tiefbau. Jeder von ihnen hält sich als Theoretiker auf irgend einem geistigen Gebiete für so bedeutend und wertvoll, daß er sich für zu gut hält, eine physische Arbeitsleistung von sich zu fordern. Und so sind die heutigen Zionistenführer alle Minister ohne Portefeuille im Zukunftsstaate der Juden! Wie fasziniert starren sie auf das Ziel: „ein eigenes Land“ und vergessen darüber den Weg: „Erziehung des Volkes“. Der Weg führt über Kleinarbeit, und Kleinarbeit wird von den Zionisten verachtet. Sie verstehen sie nicht, weder technisch, noch ihrem Werte nach. Sie versprechen dem jüdischen Volke, es werde unter Dattelpalmen wandeln, aber sie scheinen die alte Fabel vom Knaben und der Dattelpalme nicht zu kennen. Was die Zionisten zu ihrem großen Vorteil von den Sozialisten gelernt haben, ist, daß sie sich für ihre Zwecke an die Mitarbeiterschaft der Frau wenden. Aber wie fassen die zionistischen Frauen in Galizien ihre Aufgabe auf, die sich absolut mit der sozialen Aufgabe deckt, die alle Frauen in Galizien und alle Frauen in der ganzen Welt zu erfüllen haben? Klären sie die Frauen und Mädchen etwa darüber auf, was jenseits ihrer Geistesschranken schon nicht mehr eine Frauenfrage sondern Frauenbewegung ist? Belehren sie die Jugend des Volkes über den Wert und den Segen der Arbeit? Zeigen sie ihnen praktisch, oder lehren sie sie theoretisch die Wichtigkeit der Kinder- und Krankenpflege? Klären sie sie auf über den Zusammenhang von sittlichem Leben und Gesundheit? Schildern sie ihnen die Gefahren der Tuberkulose und deren Bekämpfung? Haben die zionistischen Frauen den Mut, die Sittlichkeitsfrage als wichtigsten Programmpunkt ihrer Bewegung aufzustellen? Nein! All das wird von den zionistischen Frauen in Galizien nicht verstanden, nicht beachtet, oder gar verachtet. Vorträge, Versammlungen und, wie bei den Männern, Propaganda des Wortes ohne Propaganda der Tat. Und dennoch haben die Zionisten recht: an die Frauen muß man sich wenden zum Heile eines Volkes.

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/43>, abgerufen am 27.04.2024.