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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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Die Stellung der Frau in einem Volke kann die Stellung des Volkes unter den Völkern erklären, und ich glaube, daß es in diesem Zusammenhange kein Zufall ist, daß in dem Lande vorgeschrittener Frauenfreiheit, in Amerika, die jüdischen Männer den Mut fanden, für ihre russischen Glaubensgenossen einzutreten.

Die zionistischen Frauen dürften sich nicht damit begnügen, den Geist althistorischer, jüdischer Frauen zu beschwören und wieder beleben zu wollen. Die moderne Zeit verlangt moderne Frauen mit Eigenschaften und Kräften, die, dem Stadium der heutigen sozialen Entwicklung sich anpassend, dem vorwärts drängenden Strome zu folgen vermögen.

Das Ideal einer solchen modernen Frau den Töchtern des Landes zu zeigen, statt ihnen zu schmeicheln und sie über wichtige Tatsachen hinwegzutäuschen, - das wäre eine dankenswerte Aufgabe für Frauenvereine in Galizien. Es gibt auch einige zionistische Vereine, wie z. B. die "Rachela" in Stanislau, die sich mit einer kleinen Anzahl von Kindern beschäftigen, aber nur zum Zwecke und im Sinne der zionistischen Tendenz. Außerdem gibt es Reformcheder, oder hebräische Schulen, von Zionisten unterhalten, die im Verhältnis zu den anderen Chedern sehr Gutes leisten und als Schulen Förderung und Unterstützung verdienen.

Nicht zu übergehen ist auch die Tatsache, daß die Zionisten im Rahmen ihrer kleinen Mittel Lesevereine und Bibliotheken gründen. Nur ist zu bedauern, daß der Lesestoff, den sie bieten, ein einseitig zionistischer ist, was die Kritiklosigkeit der Mitglieder befestigt. Aber immerhin sind diese Einrichtungen entwicklungsfähig und für das Land von weittragendster Bedeutung.

Auch für die Pflege der Geselligkeit sind die zionistischen Vereine in Galizien wertvoll. Sie geben Gelegenheit zu heiterem, anregenden Beisammensein, zur Förderung gesellschaftlichen Anstandes, zum Schliff der Manieren. Allerdings wäre es sehr wünschenswert, daß immer taktvolle und reife Elemente in diesen Vereinigungen tonangebend wären, damit, was edle Geselligkeit für die Jugend beider Geschlechter bewirken kann, nicht durch Übertreibungen ins Gegenteil ausarte.

Aus all diesen Einzelheiten wird begreiflich, daß der Zionismus geeignet ist, die Jugend zu gewinnen und Macht über die Geister zu erwerben.

Die Stellung der Frau in einem Volke kann die Stellung des Volkes unter den Völkern erklären, und ich glaube, daß es in diesem Zusammenhange kein Zufall ist, daß in dem Lande vorgeschrittener Frauenfreiheit, in Amerika, die jüdischen Männer den Mut fanden, für ihre russischen Glaubensgenossen einzutreten.

Die zionistischen Frauen dürften sich nicht damit begnügen, den Geist althistorischer, jüdischer Frauen zu beschwören und wieder beleben zu wollen. Die moderne Zeit verlangt moderne Frauen mit Eigenschaften und Kräften, die, dem Stadium der heutigen sozialen Entwicklung sich anpassend, dem vorwärts drängenden Strome zu folgen vermögen.

Das Ideal einer solchen modernen Frau den Töchtern des Landes zu zeigen, statt ihnen zu schmeicheln und sie über wichtige Tatsachen hinwegzutäuschen, – das wäre eine dankenswerte Aufgabe für Frauenvereine in Galizien. Es gibt auch einige zionistische Vereine, wie z. B. die „Rachela“ in Stanislau, die sich mit einer kleinen Anzahl von Kindern beschäftigen, aber nur zum Zwecke und im Sinne der zionistischen Tendenz. Außerdem gibt es Reformcheder, oder hebräische Schulen, von Zionisten unterhalten, die im Verhältnis zu den anderen Chedern sehr Gutes leisten und als Schulen Förderung und Unterstützung verdienen.

Nicht zu übergehen ist auch die Tatsache, daß die Zionisten im Rahmen ihrer kleinen Mittel Lesevereine und Bibliotheken gründen. Nur ist zu bedauern, daß der Lesestoff, den sie bieten, ein einseitig zionistischer ist, was die Kritiklosigkeit der Mitglieder befestigt. Aber immerhin sind diese Einrichtungen entwicklungsfähig und für das Land von weittragendster Bedeutung.

Auch für die Pflege der Geselligkeit sind die zionistischen Vereine in Galizien wertvoll. Sie geben Gelegenheit zu heiterem, anregenden Beisammensein, zur Förderung gesellschaftlichen Anstandes, zum Schliff der Manieren. Allerdings wäre es sehr wünschenswert, daß immer taktvolle und reife Elemente in diesen Vereinigungen tonangebend wären, damit, was edle Geselligkeit für die Jugend beider Geschlechter bewirken kann, nicht durch Übertreibungen ins Gegenteil ausarte.

Aus all diesen Einzelheiten wird begreiflich, daß der Zionismus geeignet ist, die Jugend zu gewinnen und Macht über die Geister zu erwerben.

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[44/0044] Die Stellung der Frau in einem Volke kann die Stellung des Volkes unter den Völkern erklären, und ich glaube, daß es in diesem Zusammenhange kein Zufall ist, daß in dem Lande vorgeschrittener Frauenfreiheit, in Amerika, die jüdischen Männer den Mut fanden, für ihre russischen Glaubensgenossen einzutreten. Die zionistischen Frauen dürften sich nicht damit begnügen, den Geist althistorischer, jüdischer Frauen zu beschwören und wieder beleben zu wollen. Die moderne Zeit verlangt moderne Frauen mit Eigenschaften und Kräften, die, dem Stadium der heutigen sozialen Entwicklung sich anpassend, dem vorwärts drängenden Strome zu folgen vermögen. Das Ideal einer solchen modernen Frau den Töchtern des Landes zu zeigen, statt ihnen zu schmeicheln und sie über wichtige Tatsachen hinwegzutäuschen, – das wäre eine dankenswerte Aufgabe für Frauenvereine in Galizien. Es gibt auch einige zionistische Vereine, wie z. B. die „Rachela“ in Stanislau, die sich mit einer kleinen Anzahl von Kindern beschäftigen, aber nur zum Zwecke und im Sinne der zionistischen Tendenz. Außerdem gibt es Reformcheder, oder hebräische Schulen, von Zionisten unterhalten, die im Verhältnis zu den anderen Chedern sehr Gutes leisten und als Schulen Förderung und Unterstützung verdienen. Nicht zu übergehen ist auch die Tatsache, daß die Zionisten im Rahmen ihrer kleinen Mittel Lesevereine und Bibliotheken gründen. Nur ist zu bedauern, daß der Lesestoff, den sie bieten, ein einseitig zionistischer ist, was die Kritiklosigkeit der Mitglieder befestigt. Aber immerhin sind diese Einrichtungen entwicklungsfähig und für das Land von weittragendster Bedeutung. Auch für die Pflege der Geselligkeit sind die zionistischen Vereine in Galizien wertvoll. Sie geben Gelegenheit zu heiterem, anregenden Beisammensein, zur Förderung gesellschaftlichen Anstandes, zum Schliff der Manieren. Allerdings wäre es sehr wünschenswert, daß immer taktvolle und reife Elemente in diesen Vereinigungen tonangebend wären, damit, was edle Geselligkeit für die Jugend beider Geschlechter bewirken kann, nicht durch Übertreibungen ins Gegenteil ausarte. Aus all diesen Einzelheiten wird begreiflich, daß der Zionismus geeignet ist, die Jugend zu gewinnen und Macht über die Geister zu erwerben.

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/44>, abgerufen am 28.04.2024.