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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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sich nicht selbst aufhelfen. Die Hilfe muß von außen kommen, und der erste Schritt ist dazu geschehen; man fängt an in größeren Kreisen Interesse für Galizien zu bekommen.

Ob dieses Interesse ein egoistisches oder altruistisches ist, ist objektiv gleichgiltig, ist schon deshalb gleichgiltig, weil die Anschauungsweise eine mit der Zeit verschiebbare ist. Wer sich heute aus dem egoistischen Grunde für Galizien interessiert, weil die Angst besteht, die gefürchteten Polacken könnten in immer größerer Zahl ihr Land verlassen und sich unangenehm in einem geliebten, sauberen Erdenwinkel oder Stadtteil niederlassen, kann zur Abwehr dieser Kalamität dasselbe tun, wie ein anderer, der aus altruistischen Gründen einem Haufen leidender, sinkender, intelligenter Menschen Hilfe bringen will. Und dabei ist es noch nicht ausgeschlossen, daß die Arbeit selbst den Egoisten zum Altruisten umwandelt.

Ich glaube, daß der Auftrag für Fräulein Doktor Rabinowitsch und mich, die Studienreise zu machen, aus einer solchen Kombination von Anschauungen und Gefühlen entstanden ist.

Vorschläge.

Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, durch meinen Bericht über die Zustände in Galizien die Notwendigkeit klarzulegen, daß in erster Linie Kultur, d. h. Erziehung und hygienische Begriffe ins Land zu tragen sind, und daß man sich als Pflanzstätten derselben der Kinder und der heranwachsenden Jugend zu sichern haben wird, und zwar schon der Kinder im zartesten Alter.

Also erstens Krippen und Kindergärten! Aus Gründen, deren Darlegung mich zu weit führen würde, halte ich Stanislau, Tarnow und Brody für geeignete Orte, mit solchen Einrichtungen anregungsweise zu beginnen in der festen Überzeugung, daß sie rasch Nachahmung finden werden.

Jede derartige Anstalt muß nicht nur dazu dienen, eine relativ kleine Anzahl von Kindern aufzunehmen, sondern es ist ebenso wichtig, sie zu einem Lehrmittel für die ganze Stadt auszugestalten. Soweit ich die Verhältnisse und das Verständnis für solche Dinge seitens der galizischen Bevölkerung beurteilen zu können glaube, wird man Krippe und Kindergarten nicht trennen

sich nicht selbst aufhelfen. Die Hilfe muß von außen kommen, und der erste Schritt ist dazu geschehen; man fängt an in größeren Kreisen Interesse für Galizien zu bekommen.

Ob dieses Interesse ein egoistisches oder altruistisches ist, ist objektiv gleichgiltig, ist schon deshalb gleichgiltig, weil die Anschauungsweise eine mit der Zeit verschiebbare ist. Wer sich heute aus dem egoistischen Grunde für Galizien interessiert, weil die Angst besteht, die gefürchteten Polacken könnten in immer größerer Zahl ihr Land verlassen und sich unangenehm in einem geliebten, sauberen Erdenwinkel oder Stadtteil niederlassen, kann zur Abwehr dieser Kalamität dasselbe tun, wie ein anderer, der aus altruistischen Gründen einem Haufen leidender, sinkender, intelligenter Menschen Hilfe bringen will. Und dabei ist es noch nicht ausgeschlossen, daß die Arbeit selbst den Egoisten zum Altruisten umwandelt.

Ich glaube, daß der Auftrag für Fräulein Doktor Rabinowitsch und mich, die Studienreise zu machen, aus einer solchen Kombination von Anschauungen und Gefühlen entstanden ist.

Vorschläge.

Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, durch meinen Bericht über die Zustände in Galizien die Notwendigkeit klarzulegen, daß in erster Linie Kultur, d. h. Erziehung und hygienische Begriffe ins Land zu tragen sind, und daß man sich als Pflanzstätten derselben der Kinder und der heranwachsenden Jugend zu sichern haben wird, und zwar schon der Kinder im zartesten Alter.

Also erstens Krippen und Kindergärten! Aus Gründen, deren Darlegung mich zu weit führen würde, halte ich Stanislau, Tarnow und Brody für geeignete Orte, mit solchen Einrichtungen anregungsweise zu beginnen in der festen Überzeugung, daß sie rasch Nachahmung finden werden.

Jede derartige Anstalt muß nicht nur dazu dienen, eine relativ kleine Anzahl von Kindern aufzunehmen, sondern es ist ebenso wichtig, sie zu einem Lehrmittel für die ganze Stadt auszugestalten. Soweit ich die Verhältnisse und das Verständnis für solche Dinge seitens der galizischen Bevölkerung beurteilen zu können glaube, wird man Krippe und Kindergarten nicht trennen

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[52/0052] sich nicht selbst aufhelfen. Die Hilfe muß von außen kommen, und der erste Schritt ist dazu geschehen; man fängt an in größeren Kreisen Interesse für Galizien zu bekommen. Ob dieses Interesse ein egoistisches oder altruistisches ist, ist objektiv gleichgiltig, ist schon deshalb gleichgiltig, weil die Anschauungsweise eine mit der Zeit verschiebbare ist. Wer sich heute aus dem egoistischen Grunde für Galizien interessiert, weil die Angst besteht, die gefürchteten Polacken könnten in immer größerer Zahl ihr Land verlassen und sich unangenehm in einem geliebten, sauberen Erdenwinkel oder Stadtteil niederlassen, kann zur Abwehr dieser Kalamität dasselbe tun, wie ein anderer, der aus altruistischen Gründen einem Haufen leidender, sinkender, intelligenter Menschen Hilfe bringen will. Und dabei ist es noch nicht ausgeschlossen, daß die Arbeit selbst den Egoisten zum Altruisten umwandelt. Ich glaube, daß der Auftrag für Fräulein Doktor Rabinowitsch und mich, die Studienreise zu machen, aus einer solchen Kombination von Anschauungen und Gefühlen entstanden ist. Vorschläge. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, durch meinen Bericht über die Zustände in Galizien die Notwendigkeit klarzulegen, daß in erster Linie Kultur, d. h. Erziehung und hygienische Begriffe ins Land zu tragen sind, und daß man sich als Pflanzstätten derselben der Kinder und der heranwachsenden Jugend zu sichern haben wird, und zwar schon der Kinder im zartesten Alter. Also erstens Krippen und Kindergärten! Aus Gründen, deren Darlegung mich zu weit führen würde, halte ich Stanislau, Tarnow und Brody für geeignete Orte, mit solchen Einrichtungen anregungsweise zu beginnen in der festen Überzeugung, daß sie rasch Nachahmung finden werden. Jede derartige Anstalt muß nicht nur dazu dienen, eine relativ kleine Anzahl von Kindern aufzunehmen, sondern es ist ebenso wichtig, sie zu einem Lehrmittel für die ganze Stadt auszugestalten. Soweit ich die Verhältnisse und das Verständnis für solche Dinge seitens der galizischen Bevölkerung beurteilen zu können glaube, wird man Krippe und Kindergarten nicht trennen

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/52>, abgerufen am 24.11.2024.