Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.und verfolgten Menschen. Jedoch darf damit noch nicht das letzte Wort über diese Unternehmungen gesprochen sein. Einen gewissen Wert haben die Anstalten doch, da sie einen Erwerbszweig für diejenigen jüdischen Mädchen schaffen, die einmal erwerbsfähig selbständige Schritte zur Verbesserung ihrer Lage werden machen können. Hierher gehören die ebenfalls von philanthropischer Seite ausgehenden Hausindustrien, die jüdischen Mädchen einen Erwerbszweig zu verschaffen suchen. Hier ist die Haarnetzindustrie zu nennen, die von dem Wiener Hilfsverein für die notleidende jüdische Bevölkerung in Galizien im Jahre 1900 in Galizien eingeführt worden war. Nach einem Berichte vom Jahre 1902 beschäftigt die Haarnetzindustrie mehr als 2000 jüdische Mädchen und Frauen. Der Arbeitslohn beträgt im Durchschnitt 2 Gulden wöchentlich, was dem Arbeitslohne einer Fabrikarbeiterin entspricht. In manchen Orten wurde auch seitens der J. C. A. versucht, eine hausindustrielle Strumpfwirkerei dadurch zu errichten, daß an jüdische Frauen und Mädchen von bestimmten Zentren aus Strickmaschinen und Wolle verteilt und ihnen ihre Erzeugnisse abgekauft wurden. Beide Versuche sind insofern zu begrüßen, als sie jüdischen Mädchen und Frauen eine Erwerbsquelle bieten - eine entscheidende Bedeutung auf die ökonomische und soziale Entwicklung der Bevölkerung können sie jedoch nicht haben. Das Handwerk ist überall von den Juden stark besetzt; die weiblichen Berufe, wie z. B. die der Näherinnen und Modistinnen sind derart überfüllt, daß eine Näherin oder Modistin etwa zwei Gulden wöchentlich verdient. Dabei ist zu bemerken, daß die Arbeiterinnen ihr Handwerk sehr schlecht verstehen, um so mehr, als ihre Lehrzeit zumeist zu häuslichen Diensten bei der Lehrherrin ausgenutzt wird. Dies bewirkt nicht nur die Armut der galizischen Handwerker, resp. der Arbeiterinnen, sondern macht sie auch völlig emigrationsunfähig, so daß die galizischen Näherinnen und Modistinnen, die ins Ausland kommen, dort gewöhnlich keine Beschäftigung in ihrem Berufe finden können und in ihrer Armut und vollständigen Unfähigkeit zu irgend einem Berufe allen Gefahren der Prostitution preisgegeben sind. Den Stand der männlichen jüdischen Handwerker Galiziens zu heben, war der Zweck der Handwerkerschulen und und verfolgten Menschen. Jedoch darf damit noch nicht das letzte Wort über diese Unternehmungen gesprochen sein. Einen gewissen Wert haben die Anstalten doch, da sie einen Erwerbszweig für diejenigen jüdischen Mädchen schaffen, die einmal erwerbsfähig selbständige Schritte zur Verbesserung ihrer Lage werden machen können. Hierher gehören die ebenfalls von philanthropischer Seite ausgehenden Hausindustrien, die jüdischen Mädchen einen Erwerbszweig zu verschaffen suchen. Hier ist die Haarnetzindustrie zu nennen, die von dem Wiener Hilfsverein für die notleidende jüdische Bevölkerung in Galizien im Jahre 1900 in Galizien eingeführt worden war. Nach einem Berichte vom Jahre 1902 beschäftigt die Haarnetzindustrie mehr als 2000 jüdische Mädchen und Frauen. Der Arbeitslohn beträgt im Durchschnitt 2 Gulden wöchentlich, was dem Arbeitslohne einer Fabrikarbeiterin entspricht. In manchen Orten wurde auch seitens der J. C. A. versucht, eine hausindustrielle Strumpfwirkerei dadurch zu errichten, daß an jüdische Frauen und Mädchen von bestimmten Zentren aus Strickmaschinen und Wolle verteilt und ihnen ihre Erzeugnisse abgekauft wurden. Beide Versuche sind insofern zu begrüßen, als sie jüdischen Mädchen und Frauen eine Erwerbsquelle bieten – eine entscheidende Bedeutung auf die ökonomische und soziale Entwicklung der Bevölkerung können sie jedoch nicht haben. Das Handwerk ist überall von den Juden stark besetzt; die weiblichen Berufe, wie z. B. die der Näherinnen und Modistinnen sind derart überfüllt, daß eine Näherin oder Modistin etwa zwei Gulden wöchentlich verdient. Dabei ist zu bemerken, daß die Arbeiterinnen ihr Handwerk sehr schlecht verstehen, um so mehr, als ihre Lehrzeit zumeist zu häuslichen Diensten bei der Lehrherrin ausgenutzt wird. Dies bewirkt nicht nur die Armut der galizischen Handwerker, resp. der Arbeiterinnen, sondern macht sie auch völlig emigrationsunfähig, so daß die galizischen Näherinnen und Modistinnen, die ins Ausland kommen, dort gewöhnlich keine Beschäftigung in ihrem Berufe finden können und in ihrer Armut und vollständigen Unfähigkeit zu irgend einem Berufe allen Gefahren der Prostitution preisgegeben sind. Den Stand der männlichen jüdischen Handwerker Galiziens zu heben, war der Zweck der Handwerkerschulen und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0075" n="75"/> und verfolgten Menschen. Jedoch darf damit noch nicht das letzte Wort über diese Unternehmungen gesprochen sein. Einen gewissen Wert haben die Anstalten doch, da sie einen Erwerbszweig für diejenigen jüdischen Mädchen schaffen, die einmal erwerbsfähig selbständige Schritte zur Verbesserung ihrer Lage werden machen können. Hierher gehören die ebenfalls von philanthropischer Seite ausgehenden Hausindustrien, die jüdischen Mädchen einen Erwerbszweig zu verschaffen suchen. Hier ist die Haarnetzindustrie zu nennen, die von dem Wiener Hilfsverein für die notleidende jüdische Bevölkerung in Galizien im Jahre 1900 in Galizien eingeführt worden war.</p> <p>Nach einem Berichte vom Jahre 1902 beschäftigt die Haarnetzindustrie mehr als 2000 jüdische Mädchen und Frauen. Der Arbeitslohn beträgt im Durchschnitt 2 Gulden wöchentlich, was dem Arbeitslohne einer Fabrikarbeiterin entspricht.</p> <p>In manchen Orten wurde auch seitens der J. C. A. versucht, eine hausindustrielle Strumpfwirkerei dadurch zu errichten, daß an jüdische Frauen und Mädchen von bestimmten Zentren aus Strickmaschinen und Wolle verteilt und ihnen ihre Erzeugnisse abgekauft wurden. Beide Versuche sind insofern zu begrüßen, als sie jüdischen Mädchen und Frauen eine Erwerbsquelle bieten – eine entscheidende Bedeutung auf die ökonomische und soziale Entwicklung der Bevölkerung können sie jedoch nicht haben.</p> <p>Das Handwerk ist überall von den Juden stark besetzt; die weiblichen Berufe, wie z. B. die der Näherinnen und Modistinnen sind derart überfüllt, daß eine Näherin oder Modistin etwa zwei Gulden wöchentlich verdient.</p> <p>Dabei ist zu bemerken, daß die Arbeiterinnen ihr Handwerk sehr schlecht verstehen, um so mehr, als ihre Lehrzeit zumeist zu häuslichen Diensten bei der Lehrherrin ausgenutzt wird.</p> <p>Dies bewirkt nicht nur die Armut der galizischen Handwerker, resp. der Arbeiterinnen, sondern macht sie auch völlig emigrationsunfähig, so daß die galizischen Näherinnen und Modistinnen, die ins Ausland kommen, dort gewöhnlich keine Beschäftigung in ihrem Berufe finden können und in ihrer Armut und vollständigen Unfähigkeit zu irgend einem Berufe allen Gefahren der Prostitution preisgegeben sind. Den Stand der männlichen jüdischen Handwerker Galiziens zu heben, war der Zweck der Handwerkerschulen und </p> </div> </body> </text> </TEI> [75/0075]
und verfolgten Menschen. Jedoch darf damit noch nicht das letzte Wort über diese Unternehmungen gesprochen sein. Einen gewissen Wert haben die Anstalten doch, da sie einen Erwerbszweig für diejenigen jüdischen Mädchen schaffen, die einmal erwerbsfähig selbständige Schritte zur Verbesserung ihrer Lage werden machen können. Hierher gehören die ebenfalls von philanthropischer Seite ausgehenden Hausindustrien, die jüdischen Mädchen einen Erwerbszweig zu verschaffen suchen. Hier ist die Haarnetzindustrie zu nennen, die von dem Wiener Hilfsverein für die notleidende jüdische Bevölkerung in Galizien im Jahre 1900 in Galizien eingeführt worden war.
Nach einem Berichte vom Jahre 1902 beschäftigt die Haarnetzindustrie mehr als 2000 jüdische Mädchen und Frauen. Der Arbeitslohn beträgt im Durchschnitt 2 Gulden wöchentlich, was dem Arbeitslohne einer Fabrikarbeiterin entspricht.
In manchen Orten wurde auch seitens der J. C. A. versucht, eine hausindustrielle Strumpfwirkerei dadurch zu errichten, daß an jüdische Frauen und Mädchen von bestimmten Zentren aus Strickmaschinen und Wolle verteilt und ihnen ihre Erzeugnisse abgekauft wurden. Beide Versuche sind insofern zu begrüßen, als sie jüdischen Mädchen und Frauen eine Erwerbsquelle bieten – eine entscheidende Bedeutung auf die ökonomische und soziale Entwicklung der Bevölkerung können sie jedoch nicht haben.
Das Handwerk ist überall von den Juden stark besetzt; die weiblichen Berufe, wie z. B. die der Näherinnen und Modistinnen sind derart überfüllt, daß eine Näherin oder Modistin etwa zwei Gulden wöchentlich verdient.
Dabei ist zu bemerken, daß die Arbeiterinnen ihr Handwerk sehr schlecht verstehen, um so mehr, als ihre Lehrzeit zumeist zu häuslichen Diensten bei der Lehrherrin ausgenutzt wird.
Dies bewirkt nicht nur die Armut der galizischen Handwerker, resp. der Arbeiterinnen, sondern macht sie auch völlig emigrationsunfähig, so daß die galizischen Näherinnen und Modistinnen, die ins Ausland kommen, dort gewöhnlich keine Beschäftigung in ihrem Berufe finden können und in ihrer Armut und vollständigen Unfähigkeit zu irgend einem Berufe allen Gefahren der Prostitution preisgegeben sind. Den Stand der männlichen jüdischen Handwerker Galiziens zu heben, war der Zweck der Handwerkerschulen und
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