Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862].

Bild:
<< vorherige Seite

goldnen Sprüche über die Kunst in Versen und
in Prosa verdanken, sich sehr wohl bewusst
war, es mangele ihm in allen konkreten Fäl-
len ein selbständiges Kunsturtheil. Deshalb
schätzte er so sehr die praktischen Kenntnisse
des Kunst-Meyers, mit dem ihn überdies die
innigste Freundschaft verband. Jn Weimar
wollte man bemerkt haben, dass Goethe über
kein ihm zugeschicktes neues Blatt oder Bild
eine Ansicht zu äussern wage, ehe der Kunst-
Meyer es gesehn. Hatte er dann einen realen
Anhalt gewonnen, so that er aus der Fülle
seines Geistes die vollendete Form hinzu.

So mögen jene richtigen Bemerkungen über
Zelters Bildniss entstanden sein, die hinter
Goethes Briefe an Zelter vom 1. Sept. 1827
als "Beylage" folgen. (4, 365.)

"Bei jedem neuen Anblick scheint es le-
bendiger zu werden, geistig bedeutender sich
auszusprechen. Der abgebildete, nicht zu ver-
kennende Würdige horcht auf, er hört zu mit
Vergnügen und Befriedigung; doch giebt er sich
dem Genuss nicht hin, sondern er ist zugleich
Richter: er hebt unwillkührlich den Zeigefinger

goldnen Sprüche über die Kunst in Versen und
in Prosa verdanken, sich sehr wohl bewusst
war, es mangele ihm in allen konkreten Fäl-
len ein selbständiges Kunsturtheil. Deshalb
schätzte er so sehr die praktischen Kenntnisse
des Kunst-Meyers, mit dem ihn überdies die
innigste Freundschaft verband. Jn Weimar
wollte man bemerkt haben, dass Goethe über
kein ihm zugeschicktes neues Blatt oder Bild
eine Ansicht zu äussern wage, ehe der Kunst-
Meyer es gesehn. Hatte er dann einen realen
Anhalt gewonnen, so that er aus der Fülle
seines Geistes die vollendete Form hinzu.

So mögen jene richtigen Bemerkungen über
Zelters Bildniss entstanden sein, die hinter
Goethes Briefe an Zelter vom 1. Sept. 1827
als „Beylage“ folgen. (4, 365.)

„Bei jedem neuen Anblick scheint es le-
bendiger zu werden, geistig bedeutender sich
auszusprechen. Der abgebildete, nicht zu ver-
kennende Würdige horcht auf, er hört zu mit
Vergnügen und Befriedigung; doch giebt er sich
dem Genuss nicht hin, sondern er ist zugleich
Richter: er hebt unwillkührlich den Zeigefinger

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0065" n="60"/>
        <p xml:id="ID_218" prev="#ID_217">     goldnen Sprüche über die Kunst in Versen und<lb/>
in Prosa verdanken, sich sehr wohl bewusst<lb/>
war, es mangele ihm in allen konkreten Fäl-<lb/>
len ein selbständiges Kunsturtheil. Deshalb<lb/>
schätzte er so sehr die praktischen Kenntnisse<lb/>
des Kunst-Meyers, mit dem ihn überdies die<lb/>
innigste Freundschaft verband. Jn Weimar<lb/>
wollte man bemerkt haben, dass Goethe über<lb/>
kein ihm zugeschicktes neues Blatt oder Bild<lb/>
eine Ansicht zu äussern wage, ehe der Kunst-<lb/>
Meyer es gesehn. Hatte er dann einen realen<lb/>
Anhalt gewonnen, so that er aus der Fülle<lb/>
seines Geistes die vollendete Form hinzu.     </p><lb/>
        <p xml:id="ID_219">     So mögen jene richtigen Bemerkungen über<lb/>
Zelters Bildniss entstanden sein, die hinter<lb/>
Goethes Briefe an Zelter vom 1. Sept. 1827<lb/>
als &#x201E;Beylage&#x201C; folgen. (4, 365.) </p><lb/>
        <p xml:id="ID_220" next="#ID_221"> &#x201E;Bei jedem neuen Anblick scheint es le-<lb/>
bendiger zu werden, geistig bedeutender sich<lb/>
auszusprechen. Der abgebildete, nicht zu ver-<lb/>
kennende Würdige horcht auf, er hört zu mit<lb/>
Vergnügen und Befriedigung; doch giebt er sich<lb/>
dem Genuss nicht hin, sondern er ist zugleich<lb/>
Richter: er hebt unwillkührlich den Zeigefinger     </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0065] goldnen Sprüche über die Kunst in Versen und in Prosa verdanken, sich sehr wohl bewusst war, es mangele ihm in allen konkreten Fäl- len ein selbständiges Kunsturtheil. Deshalb schätzte er so sehr die praktischen Kenntnisse des Kunst-Meyers, mit dem ihn überdies die innigste Freundschaft verband. Jn Weimar wollte man bemerkt haben, dass Goethe über kein ihm zugeschicktes neues Blatt oder Bild eine Ansicht zu äussern wage, ehe der Kunst- Meyer es gesehn. Hatte er dann einen realen Anhalt gewonnen, so that er aus der Fülle seines Geistes die vollendete Form hinzu. So mögen jene richtigen Bemerkungen über Zelters Bildniss entstanden sein, die hinter Goethes Briefe an Zelter vom 1. Sept. 1827 als „Beylage“ folgen. (4, 365.) „Bei jedem neuen Anblick scheint es le- bendiger zu werden, geistig bedeutender sich auszusprechen. Der abgebildete, nicht zu ver- kennende Würdige horcht auf, er hört zu mit Vergnügen und Befriedigung; doch giebt er sich dem Genuss nicht hin, sondern er ist zugleich Richter: er hebt unwillkührlich den Zeigefinger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-08-05T13:43:06Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/65
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862], S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/65>, abgerufen am 23.11.2024.