Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862].

Bild:
<< vorherige Seite

andre, die sogenannte Thurm-Bibliothek, ent-
hielt in dem sinnreich benutzten Raume eines
runden mittelalterlichen Thurmes die sehr be-
deutende Sammlung von kriegswissenschaftlichen
Werken, denen der Grossherzog eine besondere
Aufmerksamkeit zuwendete.

Beim Medicinalrath v. Froriep fand ich den
Professor Gans, und konnte bald bemerken,
dass diese beiden Naturen sich schwerlich har-
monisch stimmen würden. Das etwas vorlaute
und absprechende Wesen des Gans konnte dem
gehaltenen, diplomatischen Froriep unmöglich
zusagen. Die Rede kam unter andern auf den
im Jahr 1816 verstorbenen König Friedrich I.
von Würtemberg.

Das war ein Tyrann! fuhr Gans heraus.

Herr Professor, entgegnete tiefeinathmend
Froriep, ich hatte mehrere Jahre die Ehre,
Leibarzt des Königs zu sein, den Sie einen
Tyrannen zu nennen belieben; ich kann Sie
versichern, dass es damit so arg nicht war, als
seine Widersacher ausbreiteten. Napoleon
nannte ihn "un geant qui se demene dans un
entresol", und in der That hatte er ausser

andre, die sogenannte Thurm-Bibliothek, ent-
hielt in dem sinnreich benutzten Raume eines
runden mittelalterlichen Thurmes die sehr be-
deutende Sammlung von kriegswissenschaftlichen
Werken, denen der Grossherzog eine besondere
Aufmerksamkeit zuwendete.

Beim Medicinalrath v. Froriep fand ich den
Professor Gans, und konnte bald bemerken,
dass diese beiden Naturen sich schwerlich har-
monisch stimmen würden. Das etwas vorlaute
und absprechende Wesen des Gans konnte dem
gehaltenen, diplomatischen Froriep unmöglich
zusagen. Die Rede kam unter andern auf den
im Jahr 1816 verstorbenen König Friedrich I.
von Würtemberg.

Das war ein Tyrann! fuhr Gans heraus.

Herr Professor, entgegnete tiefeinathmend
Froriep, ich hatte mehrere Jahre die Ehre,
Leibarzt des Königs zu sein, den Sie einen
Tyrannen zu nennen belieben; ich kann Sie
versichern, dass es damit so arg nicht war, als
seine Widersacher ausbreiteten. Napoléon
nannte ihn „un géant qui se demêne dans un
entresol“, und in der That hatte er ausser

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0076" n="71"/>
        <p xml:id="ID_242" prev="#ID_241">     andre, die sogenannte Thurm-Bibliothek, ent-<lb/>
hielt in dem sinnreich benutzten Raume eines<lb/>
runden mittelalterlichen Thurmes die sehr be-<lb/>
deutende Sammlung von kriegswissenschaftlichen<lb/>
Werken, denen der Grossherzog eine besondere<lb/>
Aufmerksamkeit zuwendete.     </p><lb/>
        <p xml:id="ID_243">     Beim Medicinalrath v. Froriep fand ich den<lb/>
Professor Gans, und konnte bald bemerken,<lb/>
dass diese beiden Naturen sich schwerlich har-<lb/>
monisch stimmen würden. Das etwas vorlaute<lb/>
und absprechende Wesen des Gans konnte dem<lb/>
gehaltenen, diplomatischen Froriep unmöglich<lb/>
zusagen. Die Rede kam unter andern auf den<lb/>
im Jahr 1816 verstorbenen König Friedrich I.<lb/>
von Würtemberg.     </p><lb/>
        <p xml:id="ID_244">     Das war ein Tyrann! fuhr Gans heraus.     </p><lb/>
        <p xml:id="ID_245" next="#ID_246">     Herr Professor, entgegnete tiefeinathmend<lb/>
Froriep, ich hatte mehrere Jahre die Ehre,<lb/>
Leibarzt des Königs zu sein, den Sie einen<lb/>
Tyrannen zu nennen belieben; ich kann Sie<lb/>
versichern, dass es damit so arg nicht war, als<lb/>
seine Widersacher ausbreiteten. Napoléon<lb/>
nannte ihn &#x201E;un géant qui se demêne dans un<lb/>
entresol&#x201C;, und in der That hatte er ausser </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0076] andre, die sogenannte Thurm-Bibliothek, ent- hielt in dem sinnreich benutzten Raume eines runden mittelalterlichen Thurmes die sehr be- deutende Sammlung von kriegswissenschaftlichen Werken, denen der Grossherzog eine besondere Aufmerksamkeit zuwendete. Beim Medicinalrath v. Froriep fand ich den Professor Gans, und konnte bald bemerken, dass diese beiden Naturen sich schwerlich har- monisch stimmen würden. Das etwas vorlaute und absprechende Wesen des Gans konnte dem gehaltenen, diplomatischen Froriep unmöglich zusagen. Die Rede kam unter andern auf den im Jahr 1816 verstorbenen König Friedrich I. von Würtemberg. Das war ein Tyrann! fuhr Gans heraus. Herr Professor, entgegnete tiefeinathmend Froriep, ich hatte mehrere Jahre die Ehre, Leibarzt des Königs zu sein, den Sie einen Tyrannen zu nennen belieben; ich kann Sie versichern, dass es damit so arg nicht war, als seine Widersacher ausbreiteten. Napoléon nannte ihn „un géant qui se demêne dans un entresol“, und in der That hatte er ausser

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-08-05T13:43:06Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/76
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862], S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/76>, abgerufen am 23.11.2024.